Wie die Zeit doch vergeht… Im folgenden Sammelartikel verabschieden wir uns vom alten Jahr 2024 mit unseren Medienhighlights des Jahres. Viel Spaß beim Lesen!

Deutschrap-Underground 2024 (Lorenz)

Mein ambivalentes Verhältnis zu deutschsprachiger Rapmusik hat sich auch dieses Jahr wieder in den harten Fakten meiner Spotify-Wrapped-Statistik manifestiert: So zwiegespalten ich auch angesichts der Qualität des Musikgenres sein mag, ich höre es doch zu regelmäßig, um es nicht in diesem Jahresrückblick zu erwähnen. Daher möchte ich euch 3 eher unbekannte Deutschrap-Alben und EPs vorstellen, die für mich dieses Jahr qualitativ herausgestochen sind und mich durch mein Medienjahr 2024 begleitet haben.

Privot Miller & Jay Pop: PRIVOT POP – PING PONG

Der Bremer Rapper Privot Miller (auch: Ali Whales, Young Meyerlack, b&dbbb) gehört zu meiner Lieblings-Deutschrap-Gruppe ETR (Erotik Toy Records) und liefert mit PRIVOT POP – PING PONG eine selbst für seine Verhältnisse erstaunlich softe, ruhige EP. Ganz im Stile der “most sensitive Crew alive”, spitten (oder eher: nuscheln) Privot Miller und das ETR-Crewmitglied Jay Pop technisch halbgare, doch immer gefühlsstarke Reime auf langsame, verträumte Instrumentals. Und diese Verträumtheit ist genau das, was mir an PRIVOT POP – PING PONG besonders gefallen hat. Die EP fühlt sich an, als würde man einem Kumpel, der tief in einen hartnäckigen Liebeskummer versunken ist, bei einem Teechen in dessen WG-Küche beim Sinnieren zuhören. Klein, leise, intim, ruhig, ehrlich und angenehm.

Lieblingstracks: SSP, Rosen

Flausen & MC Dauerwelle: Doppelwumms EP

Die (laut ihrer Instagram-Bio) unbekannten, talentierten Leipziger MCs Flausen und MC Dauerwelle haben mich mit ihrer 2024 erschienenen Doppelwumms EP begeistert. Auf klassischen, staubigen Kopfnicker-Beats mit nostalgischen Samples und jeder Menge Punchlines räumen Flausen und MC Dauerwelle die von Sexismus und toxischer Männlichkeit geplagte Deutschrap-Szene ordentlich auf. Weibliche Repräsentation ist in deutschsprachigen Rap nach wie vor rar gesät, und paart sich diese auch noch mit Underground-Ästhetik, klassischen Boom-Bap-Beats, ruppigen Punchlines, Kapitalismuskritik und einer gewissen sympathischen Amateurhaftigkeit, dann ergibt das eine der besten und interessantesten Deutschrap-EPs des Jahres und eine große Empfehlung für die Doppelwumms EP und ihre Schöpferinnen Flausen und MC Dauerwelle!

Lieblingstracks: Donau, Rotznase

JACE: 9 Leben

Wenn es ein Deutschrap-Album gegeben hat, das mein Medienjahr 2024 geprägt hat, dann ist es 9 Leben vom Hamburger Rapper JACE. Auf Platz 4 meiner meistgehörten Künstler*innen dieses Jahres thront JACE, wozu sein neuestes Album 9 Leben wohl keinen unerheblichen Beitrag geleistet hat. Mit seinem einzigartigen Flow, Reimen und Punchlines im schwammigen Grenzgebiet zwischen Jahrtausendflex und Selbstironie, und wunderschönen, ungewöhnlichen Beats von Dexter sticht 9 Leben aus den Deutschrap-Releases 2024 hervor.  Neben gewohnten (wenn auch außerordentlich kreativen) Flex und Punchlines finden sich auf 9 Leben allerdings auch ernste Themen. JACE rappt unter anderem über Drogensucht, Erwachsenwerden und sein Verhältnis zur Religion. Auch thematisch hat 9 Leben also einiges zu bieten. Dennoch scheint die breite Masse JACE dieses Jahr noch nicht auf dem Schirm gehabt zu haben, weshalb ich ihn als einen der spannendsten Newcomer fürs Jahr 2025 betrachte und euch 9 Leben als meine größte Deutschrap-Underground-Empfehlung ans Herz legen möchte.

Lieblingstracks: Weg des Jacek, Mohnblumen

Das Comeback von Stefan Raab (Puya)

Stefan Raab feiert sein Comeback, und ich bin ehrlich gesagt hin- und hergerissen. Für jemanden wie mich, der mit „TV total“, der „Stock Car Crash-Challenge“ und „Schlag den Raab“ aufgewachsen ist, war Raab früher ein echter Held und Vorbild. Seine Shows waren Pflichtprogramm, ein wilder Mix aus Witz, Chaos und einer Portion Größenwahn. Aber jetzt, fast zehn Jahre später, fühlt sich seine Rückkehr ein bisschen so an, als wäre ein Onkel wieder aufgetaucht, den man eigentlich mag, der aber irgendwie nicht mehr so richtig in die Zeit passt und an Weihnachten gebeten wird, bitte früher zu gehen.

Als Kind habe ich Raabs Humor gefeiert: seine frechen Sprüche, seine Sticheleien gegen Promis und seine total verrückten Challenges. Es war ein Entertainment, das damals genau ins Schwarze getroffen hat. Doch jetzt, wo er mit der neuen Show „Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“ zurückkommt, wirkt das Ganze irgendwie aus der Zeit gefallen. Das gleiche blaue Hemd, der gleiche toxische Ehrgeiz und Zähne aus der Colgate-Werbung. Es ist, als ob er versucht, die Magie von damals einfach zu kopieren, nur das die Welt weitergezogen ist.

Ich hatte wirklich Gänsehaut, als ich ihn beim Boxkampf gegen Regina Halmich im TV wieder gesehen hab. Jahrelang wirkte er für mich wie ein Phantom, ein Schulfreund, der ohne Vorwarnung umziehen musste und jetzt wieder in mein Leben tritt. Alles ist gleich, nur das er nicht mehr das Gesicht von ProSieben ist, sondern zu RTL weitergezogen ist. Da schwingt eine Doppelmoral mit, wenn man bedenkt, dass er sich jahrelang über RTL-Formate lustig gemacht hat.

Raab ist und bleibt ein Pionier, das will ich nicht abstreiten. Aber vielleicht ist es besser, wenn Legenden in Erinnerung bleiben, anstatt sich an ein Comeback zu wagen, das niemand so richtig wollte. TV Total, Wetten Dass oder Geh aufs Ganze!, wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Es tut fast weh, das zu sagen, aber vielleicht sollte dieser Onkel, den wir alle lieben, einfach wieder hinter die Kulissen zurückkehren. Dort, wo seine Kreativität glänzen kann, ohne dass er sich selbst auf der Bühne in unangenehme Situationen bringt und hoffnungslos glorreiche Zeiten anpeilt.

100 Angst – Bazzazian (Lennart) 

Bazzazian heißt mit bürgerlichem Namen Benjamin Bazzazian, ist 45 Jahre alt und vor allem als Musikproduzent von Haftbefehl bekannt. Ich hatte allerdings nie Berührungspunkte mit Haftbefehl und habe seine Musik auch nie wirklich gefeiert. Dennoch bin ich in das erste Soloalbum von Bazzazian hineingestolpert – ein Album, das er ohne einen einzigen Track mit Haftbefehl gemacht hat – und konnte kaum fassen, wie gut es ist. Vielleicht habe ich einfach unterschätzt, wie herausragend Bazzazian Musik macht.

Die drückenden Bässe, die chilligen Vibes, die perfekte Abmischung von Text und Melodie, die Drops, die eigene Handschrift und die langjährige Erfahrung mischen sich hier zu einem spannenden und abwechslungsreichen Album. Und dann die Features! Zum Dahinschmelzen, mit wem er alles zusammengearbeitet hat: Schmyt, Trettmann, Haiyti, Brutalismus 3000, Souly, Tarek von K.I.Z., Blumengarten, Casper, Edwin Rosen und Miss Platnum. Das sind einige der erfolgreichsten, einflussreichsten und spannendsten Musiker*innen des deutschsprachigen Raums dieser Jahre. Wie er es schafft, all diese Künstler*innen auf einem Album zu vereinen, obwohl sie so unterschiedlich sind, holt mich einfach total ab.

Das Thema Angst zieht sich durch jeden Song – musikalisch wie textlich. Immer wieder spürt man diese Angst, sei es durch die drückenden Bässe und Töne (vor allem im Song mit Brutalismus 3000: Fleisch & Geld), die einen förmlich erdrücken, oder durch bestimmte Lines, die einem Angst machen oder in denen man sich genau wiederfindet, weil sie so präzise dieses eine Gefühl beschreiben.

Den Höhepunkt der Angst auf dem Album findet man vielleicht im Casper-Feature von Kaum Vertrauen:

Auch wenn sie dir sagen, lass mich zurück

Nimmst du mich mit

Bin der Grund, warum du scheiße schläfst (Ja)

Warum du dich im Kreise drehst (Ja)

Bin jede deiner Lüge, nur der Grund

Wieso du Freund und Feind verrätst (Ja)

Bin deine zitternden Hände

Und egal, wie sehr du mich verdräng’n willst

Begleit‘ ich dich bis an dein Ende

Ich bin alle deine Ängste 

Das trifft tief und sitzt ganz nah am Herzen, an den Lungen, an den Orten, wo Atemnot und Panikattacken entstehen. Für alle, die deutschen RnB und deutschen Hip-Hop schätzen, kann ich dieses Album nur wärmstens empfehlen. Es sticht heraus. Es ist anders. Es ist mutig.

Arcane Season 2 (Lennart)

Es war für mich das größte mediale Ereignis dieses Jahres. Seit dem Ende der ersten Staffel habe ich sehnsüchtig und täglich auf die Fortsetzung in der zweiten Staffel von Arcane: A League of Legends Story gewartet. Es hat sich gelohnt. 

Natürlich bin ich voreingenommen: Die erste Staffel hat mir bereits unglaublich gut gefallen, ich spiele seit Jahren League of Legends und verfolge auch ein bisschen die E-Sport-Szene. Aber dass Riot Games und das französische Animationsstudio Fortiche Production so dermaßen den Vogel abschießen würden, hätte ich nicht erwartet. Klar, sie hatten ein Budget von 250 Millionen Dollar, was Arcane zu einer der aufwändigsten Animationsserien unserer Zeit macht. Aber trotzdem bleibt immer ein kleiner Schimmer Angst, dass sie es doch nicht so gut machen oder die Erwartungen zu hoch waren. (Spoiler: Erwartungen waren nicht zu hoch.)

Bei jeder Folge konnte ich kaum fassen, wohin die Story mich führte und was mit meinen Lieblings Charakteren passierte. Es gab so viele geniale dramaturgische Wendungen. Die Serie war spannend, cool, lustig, romantisch, emotional mitreißend und vor allem natürlich verdammt actionreich. So vieles, das passiert ist, hätte ich niemals erwartet. So sehr, dass ich manchmal von der Couch springen musste oder mal kurz vergaß zu atmen – und ich bin sicher, ich werde mir die Staffel noch ein weiteres Mal anschauen. Es war einfach unfassbar.

Besonders begeistert hat mich, wie schon bei der ersten Staffel, die Musik. Jede Folge enthielt einen eigenen Abschnitt für einen Musiktrack, der sich im Animations- und Zeichenstil deutlich von der Serie unterschied. Es waren wie kleine Musikvideos, in die die Charaktere eingebunden waren – und das hat mich wirklich tief beeindruckt und abgeholt. Auch weil hier mit vielen talentierten Künstler*innen zusammengearbeitet wurde. Unter anderem Woodkid und Twenty One Pilots. 

Das wirklich Coole ist (und das sagen nicht nur eingefleischte Fans): Selbst Menschen, die noch nie eine Minute League of Legends gespielt haben, können mit der Serie etwas anfangen. Es gibt an dieser Serie nichts auszusetzen – außer vielleicht, dass sie viel zu kurz war. Handlung, Charaktere, Dialoge, Musik, Look, Konflikte, Action-Sequenzen, Spannung, Erzähl- und Animationsstil – hier stimmt einfach alles.

Die meisten, die das hier lesen, haben die zweite Staffel auf Netflix wahrscheinlich schon gesehen. An den Rest: Ihr tut mir einfach nur leid. Wirklich. 

Ein tolles Festival, trotz des Schocks: Erlebnisbericht vom Highfield (Marc)

Leipzig – Samstag, den 17. August.

Das Highfield-Festival lief in vollem Gange und ich war begeistert von meinem ersten Besuch am Störmthaler See. Am Abend gegen 21:00 Uhr suchten wir nach einem langen Tag ohne richtige Mahlzeit etwas zu essen. Wir liefen von der Green Stage quer über das Gelände, zum hinteren Ende der Blue Stage, wo sich die Essensstände befanden. Dort angekommen, trennte ich mich von meiner Gruppe, um Wasser aufzufüllen. Der beste Ort dafür war die kaum besuchte Wasserstelle am Ausgang der Green Stage. Also zurück, vorbei an Menschen, Ständen und Attraktionen. Mit der vollen Flasche ging ich zurück und machte ein Bild der Kulisse mit der Blickrichtung zum Riesenrad. Ein schöner Abend. 21:09 Uhr. Auf dem Weg zurück führte mich mein Weg an diesem vorbei. Als ich nah daran vorbeiging, bemerkte ich ein Feuer auf der linken Seite des Fahrgeschäfts. Dort, wo eigentlich die Gondeln in den Himmel stiegen. Ich sah, wie die Menschen bereits mit Feuerlöschern hantierten, es schien nicht weiter von Bedeutung zu sein. Doch je weiter ich die Stelle verließ, desto mehr Raum entstand um den Platz vor dem Riesenrad. Das Feuer wurde größer und größer, bis eine ganze Gondel in Flammen stand. An den Essensständen angekommen, bekam niemand mit, was gerade passierte. Alle aßen und lauschten dem Konzert von Ski Aggu, der auf der Blue Stage performte. Noch während ich meiner Gruppe von dem Feuer erzählte, rauschten die ersten Einsatzkräfte heran. Es waren noch Menschen auf dem Riesenrad. Die Sekunden vergingen und immer mehr Rettungskräfte preschten aufs Gelände. Jetzt bekam auch Ski Aggu mit, was dort hinten passierte und unterbrach seine Show. Damit wurde die gesamte Aufmerksamkeit auf das Feuer gelegt. Alle drehten sich um und schauten. So weit, so normal. Um eine Panik zu verhindern, redete der Sänger weiter, zunächst nichts Bestimmtes. Wie später bestätigt wurde, handelte er entsprechend dem, was man ihm aufs Ohr gab. Unglücklicherweise machte er Werbung für sein Spotify-Profil, was der Crowd nicht sehr gut gefiel. Sie buhte ihn aus. Das soll kein Vorwurf an Ski Aggu sein, er war überfordert, wie alle in diesen Minuten. Wem ich einen Vorwurf mache, ist der Trottel, der keine fünf Meter neben mir stand. Unabhängig von den Buh-Rufen schrie er in Richtung der Stage „Halt die Fresse!” und hob die Faust in die Luft. Die Aussage: Hör auf zu reden, damit wir uns das Feuer anschauen können. Wenige Sekunden später stimmte jeder mit ein. Von den Ständen bis zur ersten Reihe, jeder schrie mit. Einige hatten dabei den Blick auf die Unglücksstelle gerichtet. Tausende Menschen gafften auf das Geschehen, viele filmten. Ich war und bin noch immer irritiert und schockiert von diesen Rufen. Denn was bis dahin jeder sehen konnte, war die brennende Gondel, die mittlerweile auf den höchsten Punkt getrieben wurde. Sie sollte wohl ausbrennen, denn die Feuerwehr konnte durch den starken Wind hoch oben nicht löschen. Das Risiko, dass die Flammen übergriffen, war zu groß. Und doch passierte es. Eine zweite Gondel fing Feuer. Wieder drehte sich das Rad, um die letzten Menschen zu bergen. Dann ließen sie die Gondeln oben ausbrennen. Dann war alles vorbei. Das Festival war für etwa zwei Stunden unterbrochen. Die Einsatzkräfte rückten ab, die (Schwer-)Verletzten kamen ins nächste Krankenhaus, teilweise mit dem Hubschrauber. Erst um 22:54 Uhr ging es mit dem Auftritt von Cro weiter. Eine schöne Geste seinerseits war, dass er seinen Voract einen Song performen ließ, da sein Auftritt dem Feuer zum Opfer fiel. Abschließend ein Lob an die Einsatzkräfte und manche Besucher, die sich vorbildlich verhielten und den Betroffenen halfen, wo sie konnten. Und an die Tausenden, die sich an den Rufen beteiligten und filmten: Schämt euch!

Die Passion 2024 (RTL) / SANCTA (Staatsoper Stuttgart) – (Tim)

Die Kirchenaustritte steigen weiter an, die blasphemische Darstellung des Christentums wird in der Theaterszene propagiert und die sozialen Medien erfüllen unser Leben mit Hass und Hetze… Gottseidank gibt es da noch einen Zufluchtsort mit drei einfachen Buchstaben: R – T – L. Wenn sie nicht gerade dabei sind Stars wie der Verschwörungstheoretiker Gigi Biforio oder der bezaubernden Kader Loth im Dschungel mit Tierorganen oder Kot eine Bühne zu bieten, kümmern die Programmchef*innen wenigstens um eins: den christlichen Glauben. So haben sie sich entschlossen das Medienhighlight von 2022 wieder aufleben zu lassen, das Musical Live Event der Passion Christis strahlte erneut auf den Bildschirmen Fernsehdeutschlands, allerdings mit einem neuen Anstrich.

Aus Essen wird Kassel, der gecancelte Thomas „Man darf ja heute nichts mehr sagen“ Gottschalk wird zu Hannes Jaenicke und Jesus ist jetzt der KiKa Ben. Was 2022 ein lustiger Fiebertraum war, wurde zu einem langweiligen, fremdschämenden Abend des Selbsthass und nicht der Nächstenliebe. Ich finde es immer noch verrückt, dass RTL das ganze Konzept tatsächlich ernst meint! Die Highlights im Schnelldurchlauf: Jimi Blue Ochsenknecht als Judas. Jimi Blue Ochsenknecht chillt mit 11 jährigen Kindern auf dem Skateplatz, Jimi Blue Ochsenknecht singt „Nie Genug“ während er auf dem Herkules Denkmal posiert und eine epische Drohenfahrt um ihn herumschwirrt, Jimi Blue Ochsenknecht singt zusammen mit Ben „Out of the Dark“ als Judas Jesus verrät, Jimi Blue Ochsenknechts Mikro, welches am Ende des Events einfach ausgeschalten war, Jenny Elvers die in einem komplett leeren und sauberen Hauptbahnhof eine blinde Person spielt die durch Ben geheilt wird und zu guter Letzt das Paar welches das Kreuz mit trugen und dabei erzählten, dass der Mann nach 7 Jahren Ehe eine 2-Jährige Affäre hatte, seine Frau ihm aber aufgrund Jesus‘ Nächstenliebe vergeben hat und nun wieder verheiratet sind.

Die Passion 2022 war lustig, die Passion 2024 war schlecht, schlechter als man von Trash TV gewohnt ist. Wie dieser Abend voller Lächerlichkeit und Z-List RTL Star Cameos ausgestrahlt werden, ohne dass eine Welle an Hass und fundamentalistischen Christ*innen sich darüber entrüsten ist mir fragwürdig. Dazu muss man sagen die hatten 2024 auch schon ganz schön viel zu tun, denn während sich die Verunstaltung namens „Die Passion auf RTL“ in Kassel abspielte, nistete sich in Stuttgart/Schwerin/Wien einige Monate später ein größeres Monstrum für die Kirche ein: Weiblichkeit.

Am 09. Oktober prangte die Headline in der FAZ : „In der Oper gewesen, gekotzt“. Kurz darauf überflutet die Stuttgarter Staatsoper ein regelrechter Shitstorm von Christ*innen, die sich über Florentina Holzingers Stück SANCTA erschauffierten. Sie nannten es blasphemisch, schrieben Morddrohungen an das Team, bezeichneten es als die Ausgeburt des Teufels und so weiter und so fort. Das was man halt mit Nächstenliebe macht. Doch was war da überhaupt los? Ich hatte das Glück in einer der beiden Vorstellungen zu sitzen, in der „gekotzt“ wurde, bevor die Medien davon Wind bekamen – und nein, ich kann bestätigen, dass tatsächlich niemand gekotzt hat, sondern der Clickbait-Hammer mal wieder zugeschlagen hat.

SANCTA ist ein Stück, welches in zwei Teile aufgeteilt ist, zu Beginn fängt es an mit der Oper Sancta Susanna von Paul Hindemith in welcher eine Nonne ihr sexual awakening hat und ihr Leben als Nonne hinterfragt. Als dies geschehen ist, grätscht Holzinger und ihre Kompanie hinein und beginnt mit dem zweiten Teil des Abends, eine feministische Aufarbeitung einer religiösen Messe. Es war grandios. Holzinger arbeitet mit unfassbar bildgewaltigen Szenerien und bedeutungsvollen Texten, die sich für mich ehrlich gesagt nicht ganz in Worte fassen lassen. Kritikpunkte der Christ*innen sind zum einen die konstante Nacktheit, „gewaltverherrlichende“ Bilder, sexuelle Inhalte und das Zufügen von realen Wunden an den Performerinnen. Doch das genau ist Holzingers Absicht, wie es in dem Programmheft steht: „There is no trigger warning before Catholic mass.“ Die Staatsoper hatte diesen Punkt jedoch sehr zu Herzen genommen und ausdrücklich im Vorfeld so intensiv auf die Trigger Warnungen und Vorbereitungsarbeit gesetzt, wie ich es noch nie erlebt habe, wenn also jemand das kritisiert würde ich fast schon behaupten, er/sie sind selbst schuld. Die sexuellen Handlungen und Nacktheit sind ein essenzieller Teil der Liberation von dem Glauben, im Gegensatz zu was einige Leute behaupten, in dem sie sagen, es sei „sexistisch und ausbeuterisch“… HALLO?? Haben wir dasselbe Stück gesehen? Allein diese Aussage zeigt auf, inwiefern unser Blick auf den weiblichen Körper durch die patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft aufgebaut sind, und damit zu brechen, macht genau Holzinger, nicht nur in SANCTA, sondern auch in ihren anderen Werken.

Florentina Holzinger gibt mit ihrer Truppe einen gewaltigen Abend ab, der bis ins Mark geht, und eine so wundervolle Aufarbeitung des Glaubens aus einer feministischen Perspektive, die wir so dringend alle brauchen. Obwohl der Abend auch in meinen Augen etwas zu lang und an gewissen Stellen plakativ wirkte, bin ich so unfassbar dankbar, dieses Stück gesehen zu haben und stellt auf jeden Fall mein MEDIENHIGHLIGHT 2024 dar.

Um es in den Worten der Marketing Kampagne abzuschließen: Jesus würde kommen.

Ruth-Maria Thomas – Die schönste Version (Emma)

Ich als absoluter Buch- und Literaturfan kann „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas ganz klar als mein Medienhighlight 2024 bezeichnen. In ihrem Debütroman erzählt die Autorin vom Frauwerden und Frausein in den Nullerjahren. Die Protagonistin Jella findet in Yannick ihre erste große Liebe und ihre erste feste Beziehung, die so aufregend und wunderschön zu sein scheint, wie sie es sich immer erträumt hat – bis sie Jahre später auf der Polizeiwache sitzt, um Yannick wegen häuslicher Gewalt anzuzeigen. Zurück in ihrem alten Kinderzimmer stellt sich Jella die Frage nach dem Warum. In zwei Erzählsträngen erinnert sie sich zum einen an ihre Jugend und an ihre Freundschaften in einer ostdeutschen Kleinstadt zurück und bewegt sich zum anderen im Schrecken der Gegenwart. 

Ungeschönt und schonungslos, gleichzeitig aber auch auf unheimlich zerbrechliche Art und Weise werden hier unter anderem im Sinne von male gaze Weiblichkeit, Sexualität, Gewalt in Beziehungen aber auch Freundschaft und weibliche Sozialisierung im Allgemeinen thematisiert. Ein unheimlich wertvolles Buch, in dem sich wohl jede Frau wiederfinden wird – und nicht umsonst für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert.