Joon-ho Bong jongliert in seinem neusten Film mit verschiedenen Genres und deren Konventionen, aber rekonstruiert diese auf uninspirierte und fast inzestuöse Weise ohne sie zu hinterfragen oder zu dekonstruieren. Was Potential für ein überraschendes und anspruchsvolles Kinohighlight gehabt hätte, entpuppt sich somit als enttäuschend und vorhersehbar.

Das „Neues Arena“ – Kino in München ist ein sehr unscheinbarer Ort. Das liegt hauptsächlich daran , dass er so ungeheuer klein ist. Bei geschätzten 25 Sitzplätzen ist der Vorführraum entsprechend eng und die verhältnismäßig große Leinwand frisst einen förmlich auf. Sie wirkt geradezu bedrohlich, wie ein Abgrund aus Licht, der einen jeden Moment aufsaugen könnte. Man könnte meinen, dass das einem Film wie „Mother“ entgegen kommt. Ein kleiner, kammerspielartiger Film und ein Raum, der in der Lage wäre durch seine Konzeption einen bedrückenden Grad an Unausweichlichkeit zu erzeugen. Leider scheint „Mother“ ein Film zu sein, den man mit mehr Distanz begegnen sollte. Nicht etwa, weil er sonderlich erschreckend oder unangenehm intensiv wäre, sondern eher, weil er bei unmittelbarem Erleben eben das nicht ist.

Bong’s aktuelles Werk erzählt eine thrillerartig inszenierte Detektivgeschichte über eine überführsorgliche Mutter, die bei dem Versuch, durch Eigenermittlungen die Unschuld ihres minderbemittelten, inhaftierten Sohnes zu beweisen, in eine Welt der selbstbestimmten Moral und Wirklichkeit abzudriften und in diesen Grauzonen unterzugehen droht. Im Grunde bietet der Film darüber hinaus ein vielschichtiges Themenspektrum, das stark in koreanischen Gesellschafts- und Kulturstrukturen verankert und daher teilweise schwierig nachzuvollziehen ist (was an sich natürlich kein Kritikpunkt ist). Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn z.B. scheint eine ziemlich diffizile Angelegenheit zu sein, die ein hohes Potenzial besitzt, sich in ein schwer neurotisches Geflecht zu verwandeln. Der Film untersucht dieses Geflecht pedantisch, inszeniert es aber eher als etwas Nebensächliches. Genau diese Szenen bilden durch ihre verstörende Wirkung die einsamen Highlights des Films. Denn größtenteils greift Bong sonst leider auf sehr konventionelle Muster zurück, die er sehr vorhersehbar einsetzt. Die erste non-lineare Unterbrechung wirkt nach der schleppenden Exposition zuerst überraschend, doch nach und nach schleicht sich Routine ein und entlarvt diese Erzählweise als ein enttäuschendes dramaturgisches Mittel, um krampfhaft erzeugte Plotpoints motivierter und überraschender erscheinen zu lassen. Zu oft setzt Bong auch auf das Stilmittel planting and pay off. Das eigentliche Prinzip ist, dass scheinbar unwichtige Details bzw. Gegenstände sich letzlich doch als relevant und gar entscheidend erweisen. Leider ist in unserem kollektiven Film-Bewusstsein das Wissen einprogrammiert, dass nichts was im Film gezeigt oder angesprochen wird, tatsächlich unbedeutend ist. So geht auch hier das Spiel mit den Konventionen nicht auf.  Selbst das Ende wird schon früh im Film merkbar angedeutet und unterstützt damit das Gefühl der Vorhersehbarkeit.

Auch der hochgelobte Humor Bongs ist nicht wirklich zum Schreien und kommt eher plump daher. Die Schlägerei des minderbemittelten Sohnes und seinem Freund mit einem reichen Professor und seinen Anhängseln auf einem Golfplatz soll wohl skurril wirken, entfaltet in seiner uninspirierten Inszenierung aber eher jenes unangenehme Gefühl des Fremdschämens, das man hat, wenn jemandem ein Scherz offensichtlichst misslingt. Das Ganze wird noch durch die größtenteils affektierte und überzogene Performance von Won Bin (der Sohn) unterstützt, die seinen Charakter so unsympathisch macht, dass man nicht anders kann, als sich empathisch von ihm abzuwenden, was dem Film somit einen wichtigen Teil seiner Motivation raubt. Als ähnlich plump erweist sich auch die Gesellschaftskritik: ein gewissenloser Anwalt, der sich seine Freizeit mit Nutten und Komasaufen vertreibt, ist nicht unbedingt die subtilste und originellste Form, um auf Missstände und Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Was dennoch motiviert den Film bis zum Ende zu sehen, ist die herausragende Kameraarbeit, die auf ästhetischer Ebene ein Gefühl der Tiefe erschafft, die auf der inhaltlichen Ebene beinahe vollends fehlt.

Man merkt Bong deutlich deutlich an, dass er mit „Mother“ die Nähe zum Zuschauer sucht. Doch wenn man sich auf diese Aufforderung einlässt, versucht dem angedeuteten Tiefgang nachzuforschen, entblößt der Film seine Ideenlosigkeit, und der bedrohliche Raum, in dem man sich zu Beginn noch befand, verwandelt sich in ein beliebiges Wohnzimmer und die glühende Leinwand in eine undurchdringliche Wand, die man nur unberührt anstarren kann und die nichts zurückgibt.