Liebe Gemeinde,

Wir haben uns hier und heute versammelt, um unseren Horizont ein wenig zu erweitern. Ist die Kirche in der heutigen Zeit wirklich nach wie vor die einzige Institution, in der man sich seinem Glauben voll und ganz hingeben kann? Kann es sein, dass andere Bauten mittlerweile eine ähnliche Struktur aufweisen? Bei meinem letzten Kinobesuch hatte ich nach dem Abspann diesbezüglich eine buchstäbliche Erleuchtung.

Ich sah, was jeder von Ihnen nach Ende dieses Gottesdienstes sehen wird. Menschen, die sich die Zeit dazu genommen haben, sich mit einer ihnen präsentierten Erzählung auseinanderzusetzen. Menschen, die darüber zu reflektieren beginnen, was diese Erzählung mit ihnen zu tun hat. Menschen, die eine Wertung abgeben. Menschen, die einen Dialog beginnen. Diese Einsicht brachte mich dazu, mich nach weiteren Ähnlichkeiten umzusehen. Was soll ich sagen? Ich wurde fündig!

Zunächst stellte ich fest, dass das Kino, ähnlich wie unsere Kirche, einen starken Symbolcharakter besitzt. Kirchen sind ein Sinnbild unseres christlichen Glaubens. Sie geben dem nur schwer greifbaren Konzept des Glaubens ein für alle sichtbares Gesicht. Das Gebäude lässt sich unmöglich von unserem Glauben trennen. Doch muss man eine Kirche betreten um glauben zu können? Wohl kaum. Das Verhältnis zwischen dem Kino und dem Film ist sehr ähnlich gestrickt. Sehen Sie ein Kino, so verbinden Sie dieses vermutlich nahezu automatisch mit Filmen. Ein Kino zu betreten, ohne die Absicht zu haben einen Film zu sehen, ergibt nur wenig Sinn. Gleichzeitig ist es aber selbstverständlich möglich, Filme außerhalb von Kinos zu sehen. So wird der Fernseher in Ihrem Wohnzimmer metaphorisch zum Kreuz, das über Ihrer Türschwelle hängt.

Auch jenseits der Fassade konnte ich Ähnlichkeiten feststellen. Beide Gebäude haben eine Vielzahl an Sitzen, welche allesamt in Richtung eines Zielpunktes ausgerichtet sind. In unserem Fall ist dieser Punkt der Altar, im Kino hingegen die Leinwand. Das jeweilige Pendant stellt den Dreh,- und Angelpunkt des Gebäudes dar. Dort werden Glaube und Film zelebriert. Beginnt unsere Feier, so wird sie durch Glockenläuten angekündigt. Analog dazu kündigen einige Kinos den Beginn des Films durch einen Gong an.

Kommen wir nun aber zum Kern der beiden Gebäude. Das Konzept, ohne das beide ihre Daseinsberechtigung verlieren würden. Warum Glaube in der Kirche eine wichtige Rolle spielt, werde ich ihnen wohl kaum erklären müssen. Jedoch werden Sie überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, dass dieser auch im Kino eine zentrale Rolle spielt. Glauben Sie beim Betrachten eines Films nicht an das, was Sie sehen, oder beginnen es anzuzweifeln, so fällt der Film in sich zusammen. Machen Sie sich bewusst, dass es sich bei dem Actionhelden um eine fiktive Figur handelt, so verfliegt jegliche Form der Spannung. Warum sollten Sie sich um eine Figur sorgen, der eigentlich gar nichts passieren kann? So ist quasi der Suspension of Disbelief der Glaube des Kinos.

Falls Sie sich nun Sorgen machen, dass all die jungen Leute bei dieser großen Anzahl an Ähnlichkeiten das Kino bevorzugen würden, so kann ich Sie beruhigen. Es gibt nämlich einen Punkt, in dem wir dieser Ersatzreligion meilenweit voraus sind.

Sie sind aufrichtige Menschen. Sie können der Versuchung der Ablenkung widerstehen. Es mag sein, dass einige von ihnen meine heutige Predigt für ziemlichen Nonsense halten, aber sie haben den Anstand mir zuzuhören und alle anderen Anwesenden nicht abzulenken. Sicherlich ist die Versuchung groß, mit Ihrem Sitznachbar zu reden, oder einen Blick auf Ihr Handy zu werfen. Sie tun es aber nicht, da Sie auf dem rechtschaffenen Pfad des Herren wandeln. Dies ist eine Eigenschaft, die vielen Kinogängern abhanden gekommen ist. Hörte ich während einer Vorstellung auch nur eine einzelne Person reden, so erinnerte mich dies an ein blökendes Schaf, das seine Herde verloren hat. Sicherlich würde ein Kinosaal von einem guten Hirten, der diesem Schaf den Weg zum Ausgang deutet, profitieren. Einst gab es eine Zeit, in der dies noch ansatzweise versucht wurde. Damals prangte die Aufforderung “Bitte schalten Sie Ihr Handy aus” wie ein elftes Gebot auf der Leinwand, bevor der Film begann. Doch scheinbar haben die Kinobetreiber diesen Kampf schon lange aufgegeben.

Wäre ich an deren Stelle, so würde ich es Jesus gleichtun und die Ketzer mit einer Peitsche aus dem heiligen Tempel vertreiben! Wenn sie jedoch weiterhin alles hinnehmen und Verständnis für jedes noch so inakzeptable Verhalten zeigen, so dürfen sie sich auch nicht wundern, wenn ihr Heiligtum langsam aber sicher zum Sündenpfuhl der Gesellschaft verfällt. Lasst uns für diese verlorenen Seelen beten!