8a077c645aa45a3e817589f67776fc9c705279ce36a4fd3c128000e07b8d02ebNadja und Jannik waren bei der restlos ausverkauften Premiere von Die Tribute von Panem – Catching Fire dabei, der bereits jetzt als der Blockbuster des Jahres angepriesen wird. Aber kann der zweite Teil der Reihe seinem Vorgänger das Wasser reichen oder ihn gar überbieten? Wird er seiner literarischen Vorlage gerecht? Ein Film – Zwei Meinungen.

Handlung der Die Tribute von Panem

Nadja:

Was macht die Handlung der Die Tribute von Panem-Reihe aus? … Sie hält der Menschheit den Spiegel vor!

Es geht um ein Machtsystem, das Kapitol, das seine Kontrolle über die zwölf umliegenden Distrikte aufrecht erhält, indem es jährlich die Hungerspiele feiert. „Feiern“ klingen immer toll, nur geht es bei dieser speziellen Art des Festes darum, Tribute aus jedem Distrikt in eine Art Arena zu schicken, um sie einem Wettkampf um Leben und Tod auszusetzen. Nur einer von vierundzwanzig Tributen wird gewinnen und somit überleben.

Trotz vielfältigen Aufarbeitungen des Themas in Literatur und Film sind die Die Tribute von Panem kein aufgewärmter Einheitsbrei, denn das Thema ist immer aktuell – egal in welcher Adaption. Vor allem das Zukunftssetting verleiht dem Ganzen einen wichtigen Diskurs: Es wird prophezeit, dass die Menschheit immer unfähig sein wird, sich in Einklang zu regieren. Es wird immer nach Macht strebenden Personen geben, die absolute Systeme errichten und mit Gewalt die Macht behalten möchten. Und es wird immer Rebellen geben, die viel mehr Macht aufbringen können, indem Anhänger einer Meinung sich zusammenschließen, und die das System so zerstören können. Es wird gezeigt, dass die Geschichte sich immer wieder wiederholen wird. Nicht umsonst erinnern die Hungerspiele gezielt an die Gladiatorenkämpfe des antiken Roms. Auch hier derselbe Gedanke: Wenn man den Leuten Unterhaltung bietet, kommen sie nicht auf die Idee den Staat zu hinterfragen. Unterhaltung für die Armen, während die gutsituierten Machthabenden ihre Dekadenz pflegen. Nicht umsonst erinnert das Szenenbild des Kapitols an die opulenten Betonbauten des Nationalsozialismus. Und es wird ausgesagt, dass die Menschheit nicht lernen wird: Wie konnte es nach der Gestapo nur zu der Stasi kommen?

Weil absolute Systeme, Macht durch Gewalt, Macht durch Angstverbreitung, Macht durch Propaganda heute immer noch existieren und mit ziemlicher Sicherheit irgendwann irgendwo wieder passieren werden, deshalb begeistert die Handlung.

Die Tribute von Panem greift damit große gesellschaftspolitische Theorien auf: Macht durch Gewalt, Propaganda als Werkzeug und Menschen als Spielfiguren. Das Tüpfelchen auf dem „i“, welches Tribute von Panem noch ausmacht, ist die Medienkritik. Das ganze Ereignis der Hungerspiele wird populär inszeniert und medial in alle Distrikte übertragen – Das Sterben live im Fernsehen. Niemals wird es soweit kommen? Wer weiß! Irgendwann werden es vielleicht nicht mehr ein Haufen C-Promis sein, der irgendwo im Dschungel sitzt, während wir ihnen beim Scheißen und Insektenfressen zuschauen. Sondern irgendwann wird es vielleicht ein ganz normaler unschuldiger Mensch sein, der durch Los in eine Arena geschickt wird – und dort töten und sterben muss, während wir Popcorn vor dem Fernseher essen.

Jannik:

Da hast du Recht – die völlig verrückten Fernsehshows waren bereits im ersten Teil der große Lichtblick. Eine nicht sehr subtile, aber dafür immerhin eindeutige Kritik an den Medien, am Voyeurismus des Zuschauers und der Kaltblütigkeit der Gesellschaft. Stellen wir uns also mal vor, die Hungerspiele wären real und würden live im Fernsehen übertragen werden. Würden wir nicht auch einschalten – sei es nun aus morbider Faszination oder gar Begeisterung? Hat sich die Menschheit seit der Antike ethisch wirklich so viel weiterentwickelt, oder würden wir uns nicht auch gerne Gladiatorenkämpfe anschauen? Dieter Bohlen gegen Jürgen Drews – und zack, einer weniger. Ein nicht sehr erschreckender, sondern durchaus verlockender Gedanke.

Aber wachen wir mal auf aus dem schönen Traum: Die Geschichte von Die Tribute von Panem ist alles andere als neu, sondern eine dreiste Kopie. Nichts davon ist originell, auch leider nicht das, was uns im zweiten Teil präsentiert wird. Bereits im Jahr 2000 gab es den japanischen Spielfilm Battle Royale, in dem sich eine Schulklasse an die Gurgel gehen musste. Ja, auch in einer dystopischen Zukunft, auch begleitet von einem bizarren Medienandrang und ja, auch Battle Royale hat eine Fortsetzung, in dem es zum Aufstand gegen das System kommt. Die Unterschiede sind marginal – so hindern nicht elektromagnetische Schilder die Kandidaten an der Flucht, sondern kleine Sprengsätze an der Halsschlagader. Ich habe das bessere Original leider schon vorher gesehen. Die Tribute von Panem sind für mich deshalb nur ein müder Aufguss des wirklich nervenzerfetzenden Films Battle Royale. Schuld daran ist sicherlich nicht das Filmteam von Catching Fire, sondern die literarische Vorlage, die bereits im Kern alt, kopiert und verfault ist. Neu hinzugekommen ist lediglich ein Hauch von altem Rom, der durch das Kapitol weht. Aber genial ist das auch nicht, wenn man schon über Gladiatorenkämpfe schreibt. Eher ein laues Lüftchen.

Gelingt die filmische Umsetzung?

Jannik – mit Blick auf die Literaturvorlage:

Während die nervöse Regiearbeit im ersten Teil der Reihe zusätzlich Verwirrung stiftete, gelingt die Übertragung von Buch zu Film in Catching Fire deutlich besser. Die ersten 45 Minuten überzeugen auf ganzer Linie, da sie es schaffen, den Kontrast zu vermitteln zwischen dem Kapitol voller Prunk und römischer Dekadenz und den Distrikten, die aussehen wie die Sowjetunion an einem besonders schlechten Tag. Die Gesichter rußgeschwärzt, das Brot ohne Belag. Aber in dem berühmten Leitspruch „Panem et circensis“ („Brot und Spiele“), auf den in Buch und Film an jeder Ecke angespielt wird, ist ja auch nicht von Käse oder Fleischsalat die Rede.

Die Bewohner der 12 Distrikte haben keine Lust mehr, den ganzen Tag zu schuften und auf ihren Fleischsalat verzichten zu müssen. Sie wollen sich auch nicht länger durch die Hungerspiele einschüchtern lassen – eine Rebellion liegt in der Luft. Mir geht es da ähnlich, denn mir reicht nicht das, was mir in Catching Fire vorgesetzt wird. Vor allem, weil die zweite Hälfte des Films es nicht schafft, an die erste Hälfte anzuknüpfen. Sobald die 75. Hungerspiele beginnen, geht es mit dem Film bergab. Immer häufiger ertappte ich mich bei dem Wunsch, mir das alles nochmal in Ruhe durchlesen zu wollen. Nicht vor lauter Begeisterung, sondern weil mir eines erschreckend klar gemacht wurde: Das Kino ist zwar gut darin, es auf der Leinwand krachen und dem Zuschauer die Haare zu Berge stehen zu lassen, doch wenn es um die Beschreibung komplexer physischer Vorgänge geht, hat die Literatur eindeutig die Nase vorn. In den Hungerspielen geht es zwangsläufig unübersichtlich zu, sicherlich, doch der Film lässt den Zuschauer völlig ratlos im blutigen Chaos stehen. Alles geht viel zu schnell. Wo bei den Verfilmungen von Harry Potter die Logik mehr als einmal auf der Strecke blieb und beim Herr der Ringe Nebenstränge wie Tom Bombadil entfielen, da stolpert Die Tribute von Panem über ein vermeintliches Steckenpferd des Films: Die Action.

Zweifellos gelingt die filmische Umsetzung in Catching Fire dank einer geschmackvolleren Regiearbeit um Längen besser als im ersten Teil. In den ersten Szenen hat Regisseur Francis Lawrence es sogar geschafft, das Niveau des Buches zu erreichen. Im direkten Vergleich mit dem Vorgänger neigt man deshalb schnell dazu, den Film in den höchsten Tönen zu loben. Doch Vorsicht! Nach einem Eimer Mist schmeckt auch Trockenbrot nach Kaviar.

Nadja – mit detailliertem Blick auf Handlung und Machart:

Eine Fortsetzung von The Hunger Games? Wie soll die denn aussehen? Aha, Katniss muss wieder an den Spielen teilnehmen. Eine Endlosschleife von Hungerspielen – das hatte ich erwartet. Aber ich wurde überrascht: Catching Fire schlug sein Setting zwar im Altbekannten des ersten Teiles auf und übernahm auch wieder die Abfolge der Handlung, doch hat er es geschafft dieses Altbekannte neu zu inszenieren – und das im Sinne des fließenden Überganges zwischen den anderen Teilen der Trilogie. Distrikt 12  geht es noch schlechter, das Kapitol ist noch reicher, dazwischen die siegreichen Tribute, die eigentlich im Glück leben und doch zwischen den Stühlen sitzen. Da die diesjährigen Spiele ja keine gewöhnlichen sind, gab dieser Umstand der ganzen Hungerspiel-Geschichte einen neuen Anreiz. Demnach wurde auch die Arena selbst anspruchsvoller. Alles in allem gab es also auch für den Zuschauer eine Steigerung in allen Sinnen. Auch wenn man in der Arena die Thematik mit der Uhr noch länger ausbauen hätte können – dafür wäre bestimmt auch noch Zeit geblieben, denn generell ging der Film äußerst schnell vorbei.

Das Gute an der Die Tribute von Panem-Reihe ist für mich, dass die Liebesgeschichte zwischen Katniss und Peeta nicht übertrieben und kitschig ist. Nicht umsonst hat der Film den schwedischen Bechdel-Test bestanden. Die Liebesgeschichte ist glaubhaft inszeniert, auch die Twists zwischen Katniss und Peeta sind, obwohl sie gravierend sind, für mich persönlich nachempfindbar und verständlich.

Kommen wir zum Highlight der Die Tribute von Panem-Reihe: Das Medienereignis rund um das ganze Spektakel. In The Hunger Games wurde die Ausstrahlung der Hungerspiele in der Bevölkerung und Kommentierung jedes Schrittes durch die Moderatoren mehr im Mittelpunkt gestellt (Übrigens im ersten Teil dramaturgisch wunderbar eingesetzt, um den realen Zuschauer die nötigen Informationen zu vermitteln). In Catching Fire wird die eigentliche Fernsehshow wärend des Hungerspiels vollkommen ausgeblendet und der reale Zuschauer erfährt erst am Ende des Filmes, was während der Übertragung in den Distrikten passiert ist. (gewollt? Oder einfach wegen der überlaufenden Action in der Arena vergessen?).

Was schon im ersten Teil gut gelungen ist, wurde im zweiten weiter verfolgt: Die Gefühlswelt der Tribute ist glaubhaft und intensiv erfahrbar. Ein Umstand, der wahrscheinlich nicht nur der entfesselten Kamera, die den Film in den entscheidenen Szenen so wirken lässt, als ob man aus Katniss‘ Augen sieht, geschuldet ist, sondern wahrscheinlich auch dem, dass man als Zuschauer sich ständig fragt, wie es einem selbst wohl ergehen würde. Dadurch beginnt man emotional mitzufiebern und innerlich ungläubig den Kopf zu schütteln.

Ein großes Plus der Filme ist die Flmmusik von James Newton Howard. In Kombination mit – für mein emotionales Herz – ergreifenden Szenen wirkt sie schnell tränenrührend: Im ersten Teil war es der Tod Rues, der mich vollkommen ergriffen hat. Auch in Catching Fire wird auf diese Handlung eingegangen und das Symbol der drei erhobenen Finger wird wieder aufgegriffen. Wenn eine Gruppe zusammenhält und gemeinsam ein Zeichen des Widerstands leistet, bleibt mein Auge nie trocken.

Catching Fire als zweiter Teil der Trilogie

Jannik:

Der zweite Teil einer Trilogie (auch wenn der dritte Teil von Panem in zwei Filme aufgeteilt wird) hat es meistens nicht leicht. Er muss es schaffen, an die Handlung anzuknüpfen, ohne Neulingen den Einstieg unmöglich zu machen und die Fans zu langweilen. Zudem braucht es einen gelungenen Cliffhanger, der nicht unbefriedigend ist und Lust auf den Abschluß der Reihe macht. Wo Fluch der Karibik 2 damals völlig gescheitert ist, wird Catching Fire der schwierigen Aufgabe gerecht – er überflügelt den ersten Teil bei weitem und lässt auf einen originellen dritten Film hoffen, der das abgekupferte Buch hinter sich lässt und eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt. In einem ziemlich schwachen Kinojahr überschlagen sich die Medien derzeit mit Lob für den Film, doch man sollte auch ein wenig realistisch bleiben. Catching Fire schlägt eine Brücke und eröffnet dem dritten Teil die Möglichkeit, ein guter Film zu werden. Er ist es selbst aber noch lange nicht. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.

Nadja:

Wie Jannik richtig angemerkt hat, ist der Umstand, der zweite Teil einer Trilogie zu sein, kein leichtes Los. Er muss eine tragende Brücke zwischen den gegenüberliegenden Ufern bilden. Oft ist die Brücke brüchig und verhindert dadurch, dass der Zuschauer den Weg auf die andere Seite gehen kann. Oft gibt es auch nur eine Brücke, die mit nur einem Ufer verbunden ist. Catching Fire habe ich jedoch als vorbildlichen Zwischenteil empfunden, nicht zuletzt, da ich darauf eingestellt war, einen Film zu sehen, der ebenso abläuft wie der erste. Mein Kinobegleiter hat mich schon vor dem Film sagen hören: „Dass Katniss gewinnt, weiß man ja sowieso!“. Und so konnte mich der Film überraschen, da er plötzlich eine Wendung nahm, mit der ich nicht gerechnet hatte. Er führt das Gegebene in The Hunger Games weiter und schlägt eine solide Brücke zu dem, was im dritten Teil kommen wird: Die Rebellion. Dass nach dem ersten Teil nicht sofort eine Rebellion aufkeimt (oder aufkeimen kann), ist klar. Eine Rebellion braucht Zeit und einen Auslöser. Katniss‘ erste Hungerspiele haben den Finger auf die Missstände gelegt, die Ursache der Rebellion. Das zweite Einziehen der Tribute und der erhöhte Gewalteinsatz der Machthabenden – nun nicht nur symbolisch über die Tribute sondern aktiv an der Bevölkerung – war der Auslöser. Nun kann die Rebellion im dritten Teil beginnen. Die Brücke ist stabil und sicher und es ist nicht nötig, ein Warnschild davor aufzustellen.

Long Story Short

Nadja:

Ich vermag nicht zu sagen, welcher Teil mir besser gefallen hat. Wie ich die Handlung und die Umsetzung finde, habe ich schon ausführlich erläutert. Für mich steht schlicht und einfach fest, dass mich die Handlung vollkommen hinreißt und für mich einen wichtigen gesellschaftspolitischen Diskurs eröffnet. Es ist einfach das Unfassbare, was mich mitfiebern lässt: Gedanken wie „Was wäre, wenn…“, „Wie kann das sein?“. Und das ist ja das wichtige an Filmen: Einfach mitgerissen zu werden!

Jannik:

Catching Fire überflügelt seinen Vorgänger mit Leichtigkeit und bietet in den ersten Szenen ein unterhaltsames Szenario, das Lust auf mehr macht. Danach kommt nicht mehr viel. Die Medienkritik per Holzhammer und die phantasievollen Frisuren und Kostüme der Bewohner des Kapitols ragen aus dem allzu bekannten, aufgewärmten Brei heraus. Ich wurde von dem Film nicht enttäuscht, sondern eher positiv überrascht, hatte ich doch eine absolute Katastrophe erwartet. Dennoch macht es mich ein wenig ratlos, dass niemand Battle Royale kennt und eine ziemlich weichgespühlte amerikanische Variante als großes Meisterwerk angepriesen wird. Noch schlimmer, dass man Die Tribute von Panem nun schon mit Filmreihen wie Harry Potter oder dem Herr der Ringe auf eine Stufe stellt. Ja, wir alle haben Sehnsucht nach einem neuen mehrteiligen Epos im Kino, auf das wir uns Jahr für Jahr freuen können. Die kleine Hoffnung darauf kann in The Hunger Games nur eins: Kläglich verhungern. Trockenbrot ist auch nicht mehr, was es mal war. Und als ich aus dem Kino kam, hat es auch noch geregnet.