Liebe Leser,
da beginnen wir das neue Semester schon etwas frühzeitig im Dis+positiv. Die Baumaschinen dröhnen im Hintergrund noch und errichten uns eine neue Seite (Wer also Anregungen und Kritik hat, darf uns ruhig kontaktieren und das los werden. Wir basteln gerade noch.) und aus dem Baustaub des heißen Sommers steigt hervor unsere neu erwählte Königin. Sie hustet ein bisschen und klopft sich den Schmutz von der Kleidung. „Dafür bin ich zu eitel!“, ruft sie und wirft ihre kurzen Haare über die Schulter. Wenn sie spricht, spricht sie leise, aber durch ihre Auszeichnung als versierte Schreiberin achtet die Redaktion auf jedes ihrer Worte und der Raum verstummt auf ihr Geheiß. Wie eine Elfenkönigin sitzt sie in ihrem Chefsessel, der dadurch zum Chefsessel wird, dass sie darin sitzt (Liebe Leser, in dem Kopfkino, das ich euch gerade male, gab es gerade einen absurde Ortswechsel von der sonnigen Baustelle hin zum Redaktionsbüro. Das kam schon rüber, oder?).

elective monarchy

Hört die Edikte der Königin des Dis+positivs!“ Ich rufe über die Unruhe der Masse hinweg. Mit einem letzten Husten verstummt der Hof erst, als die Stimme der Elfekönigin erklingt und sie ihren Willen verlauten lässt (Ja, unser Redaktionsbüro hat sich in eine mittelalterliche Hofhaltung verwandelt, an dem unsere Elfenkönigin Recht spricht). Sie spricht von den Arten unserer Artikel, von den Zuständen und dem Traum, den sie hat. Sie richtet das Ruder in Richtung Fiktion und schließt letztendlich: „…nur weil es in unseren Köpfen ist, heißt es nicht, dass es nicht wahr werden kann.“

Mein schwerer Heroldsstab saust dreimal auf den Boden nieder. „So let it be written, so shall it be done, so say we all!

So say we all!“ erwidert der Hof jubelnd, unsere Königin preisend. (Die Sprache musste für das Yul Brynner- und das „Battlestar Galactica“-Zitat umgestellt werden. Stellt euch einfach vor ihr hättet eine Katze und sie wäre auf die Fernbedienung getreten.)

Die Elfenkönigin erhebt sich und zieht sich in ihre privaten Gemächer zurück. Im Gefolge ihre drei treuen Ressortleiter. Matthias Heider, Verantwortlicher für digitale Medien, Jan Niklas Wilken, verantwortlich für Kultur, Theater, Literatur und alles andere, sowie meine bescheidene Wenigkeit, verbleibend als der Verantwortliche für Film- und Fernsehen. Immer der Königin devot. Unserer Auserwählten. Meine Frondienste äußern sich aber neben den redaktionellen Pflichten auch weiterhin durch Artikel. Diesen widme ich heute also ihr, der Elfenkönigin, der Einen, der Auserwählten:

the chosen one

Anakin Skywalker soll die Macht ins Gleichgewicht bringen, der Avatar Innos‘ soll die Entscheidung fällen and Ricky Wilson was born to be a dancer. Was der Powermetal so intensiv besingt und Vogler als Heldenreise definiert, ist eines der ältesten Konzepte der Geschichtserzählung. Die Fiktion, die so herrlich ist, weil sie eben nicht wahr ist. Der Eine ist eben Protagonist, weil er der auserwählte Held ist. Im Gebrauch dieser Trope sticht besonders ein Medium heraus, aber lasst mich länger ausholen (Yes, this is going to be an all-nighter. I hope you brought a tent.)
Seit Geschichten festgehalten werden können, haben sie auch immer genau den Nachteil, dass sie relativ unveränderlich sind, sobald die Worte in Stein gemeißelt und die Bilder an der Wand sind. Der Protagonist hat einen geschriebenen Weg. Er ist seiner Geschichte unausweichlich ausgeliefert und kann sie nicht verändern. Das ist Determination, Schicksal, Zufall, göttliche Fügung und all das, worauf ein Mensch keinen Einfluss hat, sondern Dinge, die einfach passieren. Ein Auserwählter zeichnet sich genau dadurch aus, dass er ein Schicksal hat, einen festgelegten Weg, eine Geschichte, die nicht verändert wird. Da ist erstmal egal, ob er zufällig in diese Rolle gerutscht ist oder ob ihm die Sache in die Wiege gelegt ist.

Die narrative Macht hinter einem „auserwählten“ Charakter war der Menschheit schon immer klar (Wollen wir nicht alle besonders und einzigartig sein, wie eine Schneeflocke?) und viele Geschichtenerzähler haben sich das zunutze gemacht und immer wieder gebrochen. Nun aber haben wir das tollste Medium „Spiel“ in unserem digitalen Zeitalter auf ein Level gebracht, welches uns erlaubt eine Geschichte, die ein anderer für uns programmiert hat, zu gestalten. Plötzlich wird eine sehr schwer interaktive Note in den Ring geworfen, von der gerade Aufbau- und Rollenspiele immer mehr Gebrauch machen.

The day comes when Tiax will point and click!
(Baldur’s Gate. Tiax, struggling with the destiny of living in 640×480 resolution.)

choices of the chosen one

Warum gibt es aber das Phänomen, dass wir gerade bei Spielen in arg vielen Fällen die Rolle eines von einer hanebüchenen Prophezeiung einer längst verstorbenen Kultur Auserwählte übernehmen und unsere Story doch wieder eine Eisenbahnstrecke ist, die vielleicht mit viele Abzweigungen immer wieder zu denselben Zielen führt? (Auch hier bestätigen Ausnahmen Regeln.) Interaktivität stößt auch an seine Grenzen. Wir können uns zwischen der hellen und der dunklen Seite der Macht entscheiden, ob wir eine Paragon oder ein Renegade sind, aber irgendwohin muss ja auch programmiert werden. Die Freiheit der Handlung hat ihre Grenzen. Und genau da kommt die Determination ins Spiel. Spielgrenzen geben uns ein Schicksal, eine Macht, auf die wir keinen Einfluss haben. Die Tür ist verschlossen, weil die Programmierer nicht jedes einzelne Haus gestalten können (außer man ist Bethesda und baut sich einen tollen Zufallsgenerator. „Zufall“? Aha!). Es ist nicht Teil der festen Schicksalsgeschichte „des einen“ Protagonisten. Die Programmierung ist das Schicksal des Helden (Hallo Matrix) und somit ist jeder Spielcharakter wie jeder Buchcharakter immer ein Auserwählter, der auf seine Welt nur bedingt Einfluss nehmen kann. Natürlich sind unsere Lieblingshelden auserwählt. Sie wurden auserwählt, das Spiel zu durchleben.

So hat auch unsere neue Elfenkönigin Nadja in all ihren Erscheinungsformen eine gewisse Geschichte zu durchleben, auf die sie vielleicht keine Macht hat. Wie jeder Mensch ist die Programmierung: Welt die eigene Grenze (Hallo Matrix!) Auch sie ist eine Schachfigur im großen Spiel. Aber die Königin ist die mächtigste und wertvollste Figur und so weit wir es bestimmen können ist das Leben eben nicht programmiert und nur durch die Gesetzmäßigkeiten ihrer Natur limitiert, nicht aber durch die Handlungsfreiheit ihrer Spieler, die wir „Lebewesen“ nennen. Haben wir aus allen Filmen der Welt nicht gelernt, dass ein Mensch sein Schicksal ändern kann? Oder zumindest tut, was er kann? Kann sie aber nicht zumindest das Schicksal des Dis+positivs selber aussuchen? Remember, Kindred, wherever you go: It is the blood of Caine that leads our fate.

„Nordom: Attention; Morte. I have a question. Do you have a destiny? A purpose?
Morte: Is Annah still wearing clothes?
Nordom: Affirmatory.
Morte: Then the answer is yes.“
(Plane Scape: Torment. Morte, choosing his own destiny.)

chosen by destiny

Ein entscheidender Faktor bei der Erwählung ist wohl derjenige, der erwählt. Wer auch immer die Macht hat zu erwählen, muss doch zweifellos mehr Macht haben als der Erwählte. Aber wieso erwählt man dann überhaupt jemanden? Die Antwort ist vermutlich das Mantra, welches ihr euch jedes mal vorbetet, wenn ihr wählen geht, sofern ihr zu den Menschen gehört, die klug genug sind, das trotz allem noch zu tun: Irgendwer muss es ja tun.

WuJi, sowie tausend andere Filme, Spiele, Bücher, Märchen – kurz: Geschichten – sagt, dass wir unser Schicksal nicht nur selber entscheiden können, sondern dass wir die Entscheidung auch korrigieren können. Vorausgesetzt, wir haben einen Freund aus dem Land des Schnees mit einem Umhang, der unsterblich macht und schneller als die Zeit. Joss Whedon zeigt uns in der letzten „Angel“-Staffel, dass ein Auserwählter tatsächlich relativ willkürlich ist, wenn einfach jemand anderes kommt und sagt „Ich bin’s!“. In Buffy wird die Regel einach geändert „Ein Auserwählter? Lächerlich!“. Willkür und Zufall (O fortuna! Für die Eingeweihten: Wem fallen die Ähnlichkeiten zwischen dem Rad der Göttin Fortuna und Voglers Heldenreise auf? Nein, das ist kein Zufall, das ist dasselbe Konzept. Geschichtenerzählung basiert auf dem Konzept des Schicksals/des Glücks/der Willkür, kurz: Der Fortuna. Und jetzt erinnert euch, wieviele derartige, sich immer wiederholende zirkuläre Modelle es noch gibt. All of this has happened before, all of this will happen again. Daraus behaupte ich, dass ein Auserwählter genauso funktioniert wie eine Sitcomfolge. Außerdem genauso wie die Hermeneutik, wie der Zirkel der Wiedergeburt, wie „Wuji“, die große unendliche Leere, wie die sich immer wiederholende Zeit. Wenn dein Kopf jetzt weh tut ist das in Ordnung, wenn du nicht mitkommst auch. Kluge Leute bemerken, dass ich Bullshit rede, noch klügere, dass es doch stimmt.) – jetzt habt ihr den Anfang des Satzes wieder vergessen, also fang ich neu an: Willkür und Zufall sind natürlich auch eine Form der Determination. „Mass Effect“ macht den Protagonisten eigentlich nur zum Auserwählten, ‚cause he gets the job done. Manchmal ist man nicht einmal „ein“ Auserwählter, sondern nur jemand, der sich ein Ziel gesetzt hat und etwas einfach gut kann, wie es in „Hero“ der Fall ist. Berühmt ist auch der Held, der zu Großem bestimmt ist, weil er der Sohn eines toten Gottes ist, eines Königs oder einfach der scheiß Novakim. In vielen Fällen ist der Auserwählte eigentlich auch nur der, der irgendwie in die Position gerutscht ist, „die Entscheidung“ zu treffen und vielleicht sogar gegen den eigentlichen Auserwählten oder eine Form des dunklen Messias kämpft (Luke Skywalker, Spike…). Fast genauso cool ist aber der Auserwählte durch Ausschluss, wie es zum Beispiel der letzte Mann auf Erden ist (Mann glaubt es sei eine tolle Sache, „Y“ überzeugt uns vom Gegenteil.) In tausend Formen hat ein Mensch noch mehr herrliche Möglichkeiten, Schicksal zu spielen oder zuminest vom Schicksal, aka den Schreibern, bespielt zu werden, um eine neue Geschichte, eine neue Fiktion zu erleben, die uns eine Realität zeigen, die wir nicht erleben können, wollen oder würden.

Kaylee: How come you don’t care where you’re going?
Book: ‚Cause how you get there is the worthier part.
(Firefly. Shepard Book, being wisdoms)

if destiny’s kind, you’ve got the rest on your mind

Und nachdem ich mir den Bezug zum realen Leben nicht nehmen kann (wofür sonst haben wir die Fiktion, die an sich eine Fiktion in der Realität ist, die selbst ja nur fiktiv sein kann. Oder so ähnlich, wie es unsere Elfenkönigin beschäftigt), gebe ich euch zwei Fragen mit auf euren zirkulären Weg, kein bisschen aus bester Popkultur entlehnt:

Was kann das Wesen eines Menschen ändern?

Seid ihr eingesperrt in Bayreuth oder ist Bayreuth eingesperrt mit euch?

So say we all.

(Psch! Wer alle Referenzen erkennt
bekommt ein Eis)