Auf der Berlinale bekommt man die Chance, Internationale Filme zu sehen. Filme wie We are little Zombies sind der Grund, warum man Sie ergreifen sollte
Wie alt muss man werden, um einen Song zu schreiben, der den Nerv der Zeit trifft? Einen Song der den “Teen Spirit” einer Generation von heranwachsenden Japaner*innen verkörpert, die nie gelernt haben, emotionale Verbindungen aufzubauen. In Makoto Nagahisas Debutfilm We are little Zombies sind es Kinder, nicht älter als 13, die genau das schaffen. Die vier Jugendlichen lernen sich vor den Hallen des Krematoriums kennen, in dem ihre Eltern verbrannt werden. Vier verschiedene Geschichten, vier verschiedene Todesursachen, doch alle vereint, dass die zurückgebliebenen Waisenkinder keine Träne vergießen. Nüchtern, sogar apathisch blickt der junge Protagonist hoch zum Schornstein. Doch das einzige an das ihn der aufsteigende Rauch erinnert ist geriebener Parmesan. Im Anblick des Absurden beschließen die Vier wegzulaufen und mit einem alten E-Bass, einer Wokpfanne, einem Keyboard und einer Handheld Konsole eine Band zu gründen. “We are Little Zombies” heißt dann auch der titelgebende Debutsong. „Zukunft, Geld, Mut, Liebe, ich weiß nicht was diese Dinge sind, weiß nicht, ob ich lebe oder tot bin, Wir sind kleine Zombies!“ heißt es darin. Man kennt diesen Hilfeschrei. Wie ein nie enden wollendes Echo hallt er in jeder Generation wider. Gesendet von jungen Menschen, deren Eltern sie metaphorisch oder tatsächlich verlassen haben, die nie den Umgang mit Trauer, Wut oder Liebe gelernt haben. Die deshalb versuchen, ihre Gefühle mit blinkenden Lichtern, Drogen oder Selbstverletzung zu wecken. Und immer spielt die Musik mit. In den europäischen und amerikanischen Charts fanden diese Emotionen, oder eher deren Abwesenheit, unter den Namen Punk, Grunge, Emo und seit ein paar Jahren auch Emo-Rap ihren Platz. Doch in Tokio, der Stadt der Computerspiele, Mangas und überdimensionalen Werbe-LEDs bekommen wir eine Mischung aus Anime-Opening, Chiptune und Garagenrock.
Die vier Flüchtigen starten ihre Bandkarriere in einem verlassenen Parkhaus. Mit der Hilfe von dort übernachtenden Obdachlosen (wunderbare Kostüme) drehen sie dort ihr Musikvideo (ebenfalls wunderbares Set-Design), das völlig viral geht und sie mit einem Schlag in ihre 15-Minuten Ruhm katapultiert.
Anders als das Musikvideo, das in einem Take und auf einem iPhone gedreht wurde, lebt der Rest vom Film von seinen schnellen unkonventionellen Schnitten, Nahaufnahmen und geometrisch präzisen Kameraeinstellungen. Es fühlt sich an wie ein Wes Anderson Film auf LSD. Die bunten Pastellfarben werden knalliger und synthetischer, aus Vintage wird Neon. Die Puppenhausästhetik Andersons weicht einem gegensätzlichen und doch auffallend Verwandten Blick, nämlich der des Computerspiels. Die Vier Jugendlichen werden auf ihrer Reise mehr als einmal wie Videospielfiguren inszeniert. Ob aus einer Top-Down Perspektive (sprich Pac-Man, Pokémon 1. Generation) oder als 2D-Sidescroller (Super Mario, Metroid), wir sehen die Welt wie aus den Augen eines 13-jährigen, dessen größter Schatz seine Spielekonsole ist.
Doch auch dieser Vergleich reicht nicht aus, um zu beschreiben, in was für eine Unzahl an Perspektiven die Kamera springt, um ein Seh- (und Hör-) erlebnis zu erschaffen, das vor Popkultur überläuft und trotzdem – oder gerade deswegen – einen authentischen und bewegenden Einblick in das Leben japanischer Mittelschüler öffnet.
Das Musikvideo zu We are Little Zombies ist auf YouTube zu sehen. Für Deutschland gibt es leider noch kein Erscheinungsdatum.
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