“It’s a wizarding world, […] The train station has a half a thing, and no one can see it, and we can ride dragons and you’ve got a pet owl… Who should run the bank? Jews.”
So äußerste sich Schauspieler, Regisseur, Comedian und Moderator von Comedy Centrals “Daily Show”, Jon Stewart, Anfang dieses Jahres über J.K. Rowlings “Harry Potter” Romane und deren gleichnamigen Filmadaptionen. Die Rede ist von “Gringotts Wizarding Bank”, einer fiktiven Bank, die von kleinen, geldgierigen Goblins mit großen, spitzen Nasen geführt wird.
Stewarts Familienstammbaum lässt sich selbst auf litauische Juden zurückführen und auch die Jüdische Allgemeine hat bereits auf das Thema jüdischer Allegorien, bzw. Stereotype in J.R.R. Tolkiens weltberühmten “Der Herr der Ringe” Romanen aufmerksam gemacht. Laut dem Herr der RingeWiki, “Ardapedia”, sind seine Zwerge übrigens ganz bewusst dem Judentum nachempfunden.
“Die Zwerge aus dem Volke Durins sind laut Tolkien selbst (trotz dessen Ablehnung von Allegorien) den Juden nachempfunden, insofern sie wie diese ihre Heimat verlassen mussten, sich in der Diaspora ihre eigene Kultur bewahren konnten und (analog zu den Berichten im Alten Testament) als ein kriegerisches Volk auftraten.”
John D. Rateliff: The History of the Hobbit. Houghton Mifflin, Boston 2007. S. 79 f.
Dabei wurden aber nicht nur die narrative Gestaltung sondern wohl auch Stereotype, in Bezug auf Aussehen, Charakter und ‘Rasse’ adaptiert. Der Deutschlandfunk hat sich auch bereits mit dem Thema auseinandergesetzt, jedoch in Bezug auf die Zwerge in Richard Wagners Opern. Wagner ist in Jüdischen Gemeinden “ein rotes Tuch” und wird auch darüber hinaus als vorantreibende Kraft des Antisemitismus, im 19. Jahrhunderts gehandelt.
Wie Jon Stewart ganz richtig in Bezug auf Rowlings Fantasy sagte: “[…] some tropes are so embedded in society that they’re basically invisible, even in a considered process like movie-making.“
Doch wie tief reichen diese unsichtbaren Vernetzungen, realer Kultur und Geschichte und fiktiver Abenteuererzählungen? Mir wurde bei den Recherchen zu einer Seminararbeit über die Geschichte der Darstellung des jüdisch-mythologischen Golems bewusst, wie viele antisemitische Vorurteile, vor der Vernichtung der Juden in Europa und wie viele unkonservierte Rudimente jüdischer Kultur, nach der Vernichtung der Juden in Europa, in fiktiven Erzählungen aufgegriffen, neu interpretiert und auf vorherrschende Motive heruntergebrochen wurden. Jon Stewart zeigte, dass die Gemeinsamkeiten, von Bildern aus alter antisemitischer Literatur und den modernen Fabelwesen so groß waren, dass wir sie heutzutage schwer auseinanderhalten können.
Für den Golem gab es mehrere Ursprungslegenden, aus jüdischen Gemeinden in Prag, im heutigen Tschechien und aus Polen, wobei eine polnische Legende die Älteste ist. Der Golem war in diesen Erzählungen ein humanoides Wesen aus Ton, das von einem Rabbi mittels mystischer Rituale und geschriebener, göttlicher Worte zum Leben erweckt wurde. Vergleicht man verschiedene Überlieferungen, fällt jedoch auf, dass über die Jahre hinweg in den Geschichten rund um die Erschaffung des Golems wichtige Nuancen verändert wurden. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Prager Legende die bekannteste ist. Sie wurde auch von Bertolt Brecht und den Gebrüdern Grimm rezitiert.
Im zwanzigsten Jahrhundert diente der Golem auch als Vorlage für das Konzept der Roboter, der Science-Fiction. Der Tschechische Schriftsteller Karel Čapek nutzte 1920 die Idee des Golem in seinem Werk “R.U.R. – Rossum’s Universal Robots” und begründete damit die Roboter-Science-Fiction. “Robot” kann aus dem Westslawischen übrigens als “Fronarbeit” übersetzt werden.
Während in den alten polnischen Überlieferungen der Golemlegende die Erschaffungen eines dienstleistenden Androiden im Vordergrund steht, rückte in den späteren Nacherzählungen die Erschaffung des Golems als Killermaschine immer mehr in den Vordergrund. In unserer zeitgenössischen Fantasy ist es die zerstörerische Tobsucht, Gewalt und Unzerstörbarkeit durch konventionelle Mittel, die einen Golem auszeichnen und somit dessen Erschaffung auch erst legitimieren.
Neben dem Golem gibt es noch Zwerge oder Zauberer, denen bei genauerer Betrachtung stereotypische, etische (also ‘mit den Augen eines Außenseiters’ wahrgenommene), antisemitische Eigenschaften verpasst wurden. Während Zwerge oft mit großen Nasen, langen Bärten und einer tief im Charakter verwurzelten Gier dargestellt werden, sind das die gleichen Vorurteile, die sich Juden betreffend bis in die Gegenwart gehalten haben. Hinzu kommt das konspirative Verhalten der Zwerge gegenüber Außenseitern, das eine Parallele zur antisemitischen Scheintheorie der jüdischen Weltverschwörung bildet.
Die Zauberei der modernen Fantasy wurde stark von der Kabbala beeinflusst. Die kabbalistische Lehre war eine jüdische, mystische Praxis, wie sie im Mittelalter in allen Weltreligionen praktiziert wurden. Die kabbalistischen “Gelehrten” versuchten metaphysisch, über das göttliche Wort und Schrift, die Beziehung zwischen Menschen zu Gott zu ergründen. Ab dem 15. Jahrhundert wurde die Kabbala auch in nichtjüdischen Kreisen fortgeführt. Im Zuge meiner Recherchen fand ich einen Unterschied zwischen modernen und antiken Zaubersprüchen, die ich (zumindest teilweise) auf den Einfluss der Kabbala auf die Europäische Kultur zurückführe. Denn während bei moderner, fiktiver, Zauberei oftmals das Zauberwort im Vordergrund steht, waren in der Antike performative Zauber-Handlungen wichtiger, vergleichbar mit Schamanischen Trance-Gesängen und Tänzen, oder Vodoo. Dazu Martin Jehne in seinem Artikel “Zauberei in der Antike”:
“Zur Zauberei wurden – so war die allgemeine Überzeugung – absonderliche Substanzen benötigt, außerdem konnte die Magie nur im Geheimen und nachts so richtig gedeihen, und wenn man Geister dazu bringen wollte, Personen nach den eigenen Wünschen zu lenken, dann waren Püppchen als Abbild der zu steuernden Zielsubjekte ein gängiges Hilfsmittel.”
Jehne, Martin: “Magie und Zauberei in der Antike”, in: Helmut Knüppel, Manfred Osten, Uwe Rosenbaum, Julius H. Schoeps, Peter Steinbach (Hrsg.): Wege und Spuren, Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik, Band 10, 2007, S. 212.
Hier müsste jedoch noch einmal geschichtswissenschaftlich gründlich nachgehakt werden.
Ebenfalls interessant sind aber auch die visuellen Darstellungen von Zauberern in popkulturellen Medien, die oftmals antijüdische Klischees bedienen und darüber hinaus antijüdische Praktiken reproduzieren. Typische Zauberer wie Gandalf, Dumbledore und Co., tragen wie die Zwerge und orthodoxen Juden einen langen Bart und scheinen oft auf verschwörerische Weise einen größeren Plan zu verfolgen, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Ebenfalls nennenswert ist der Zauberhut, der einerseits an das Stigma des Judenhuts, andererseits aber auch an die Hüte der Brauerinnen der britischen Inseln erinnert. Wahrscheinlich ist, dass sich die Hüte als typische Eigenschaft von Hexen und Magiern, in der Stigmatisierung beider mittelalterlichen Gruppen wurzelt. Die sog. “Ale Wives” trugen absichtlich einen Hut, um sich auf Märkten erkenntlich zu machen. Mit dem Wandel des Bierbrauens, zu einem typisch männlich dominierten Berufsfeld, wurden im Zuge protoindustrieller Entwicklungen, die kleinen Heimbrauerinnen mit den großen Hüten, von institutionalisierten Brauereien aus der Konkurrenz vertrieben. Dies wurde u.a. durch die negative Stigmatisierung ihres Markenzeichens geschafft.
Juden hingegen mussten bereits einige Jahrhunderte nach ihrer Ansiedlung in Europa, protorassistische und vor allem antijudaistische Urteile über sich ergehen lassen. Neben farbigen Kennzeichnungen auf der Kleidung mussten sie auch lange, spitze Hüte tragen, um sich der Mehrheit der christlichen Bevölkerung zu erkennen zu geben. Aufgrund der Verknüpfung der christlichen Heilsgeschichte zum Judentum, wurde die jüdische Bevölkerung zwar als Gottes auserwähltes Volk von Schirmherren geschützt, jedoch aufgrund ihrer Rolle bei der Kreuzigung Christis ebenso ausgebeutet, stigmatisiert und in kritischen Situationen angeschuldigt und hintergangen.
Also, wie sich zeigt wurde in der Geschichte die Kultur der Juden schon immer stark in Mitleidenschaft gezogen. Doch es bleibt eine Lesart, die uns Goblins, Zwerge und Co. als Menschen mit Jüdischen Wurzeln interpretieren lässt. Ich denke, dass die wenigsten Autor*innen böswillig ihre Geschöpfe Stereotypen nachempfinden, aber wie Jon Stewart sagte, sind manche Tropes schon zu lange Gang und Gäbe, um sie instinktiv zu hinterfragen. Deshalb denke ich, dass Aufklärung, neue Geschichten und alte Kreaturen mit neuen Eigenschaften, dazu beitragen können auch strukturalisierte Formen von Diskriminierung aufzubrechen, ohne Zwerge, Zauberer und Co. komplett neu interpretieren zu müssen.
Noch keine Kommentare