© Drew Escriva

Dieser Beitrag stellt eine Kollaboration mit unserem Uni-Radiosender Schalltwerk da. Der Beitrag war Teil der Folge vom 31.10.2022. Ihr findet ihn hier.

Jonathan Ng, bekannt unter seinem Künstlernamen EDEN, ist ein 26-jähriger Musiker aus Dublin, Irland. Er ist seit langem mein absoluter Lieblingskünstler und vor einem Monat ist sein neues Album In case you missed it erschienen. Ich möchte euch diesen geheimen Schatz zeigen und euch erklären, warum EDEN einer der brillantesten Producer unserer Zeit ist. 

EDEN ist ein Internet-Phänomen, wie auch Justin Bieber oder Billie Eilish. Natürlich nicht mit der gleichen Reichweite. Aber er ist genau wie sie über das Internet, vor allem YouTube und Soundcloud, später dann Spotify, weltberühmt geworden, während Nachbarn aus seiner Heimatstadt nicht mal wussten, dass er Musik macht. Er hat auch nie in den lokalen Bars und Clubs von Dublin gespielt, sondern wurde schnell in größeren Städten wie London oder New York gebucht. In New York lebt er mittlerweile auch. 

Übrigens, bevor er unter dem Namen EDEN Musik gemacht hat, nannte er sich EDEN Project und seine Musik konnte eher der Electronic Dance Music und Dubstep zugeordnet werden. Aber schon damals hatte er diese weiche und sanfte Stimme. Die Dubstep-Einflüsse kommen auch heute noch bei seinen neueren Songs durch. Seine Musik lässt sich jetzt aber vor allem dem Genre Indie Pop zuordnen. Es ist nur sehr trauriger Indie-Pop.

Alleine schon die Titel der Alben lassen erahnen, dass es hier um Themen geht, über die man nicht glücklich singen kann. EDEN verliert sich im Weltschmerz und im Selbstschmerz. Er singt über verlorene Zeit, vergangene Freundschaften und den schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens. Er fängt das Gefühl musikalisch ein, wie es ist, zu versuchen seinen Platz in der Welt einzunehmen.  

Sein erstes Album End Credits ist 2015 erschienen. Ich finde, es ist eines der besten Konzeptalben, die je gemacht wurden. End Credits ist eigentlich ein langer Song, der sich über das ganze Album erstreckt. Übrigens sind alle EDEN Alben Konzeptalben. Das heißt, man MUSS sie von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge hören. Wenn man sie nämlich shuffelt, kommt plötzlich aus dem Nichts ein krass großer EDEN-Fan (ich zum Beispiel) und haut einem auf die Finger. Kleiner Spaß. Shuffelt die Alben einfach nicht. Sie sind viel besser, wenn man sie in der richtigen Reihenfolge hört.

Ein Jahr nach End Credits kam das Album I think you think too much of me. Darin besingt er vor allem im vierten Song rock + roll seine Angst, nicht genug für sich selbst, seine Freunde und seine Fans zu sein. Er wäre gerne so gut wie Jimmy Hendrix oder die Rolling Stones. Und nur vielleicht erinnert man sich auch an ihn, wenn er stirbt. Das wäre sein größter Wunsch. Zwei Jahre darauf folgte sein erstes längeres Album vertigo, was so viel heißt wie Höhenangst. Thematisch haben die Songs auch alle etwas mit dem Himmel und der Luft zu tun. Auf dem Cover sieht man eine sich auflösende Wolke. vertigo pushed die depressed Seite der Songs noch mal ans Limit. Der Song crash ist so unglaublich traurig, dass es fast körperlich schmerzt. Manche hören traurige Musik und es zieht sie nur noch mehr runter. Andere hören sie und es geht ihnen danach besser. Ich gehöre zu letzteren. Es ist schön zu wissen, dass jemand schonmal Ähnliches oder Gleiches gefühlt hat wie man selbst. EDENs Musik fühlt sich wie eine Umarmung von jemandem an, der dich vollkommen versteht und in den schlimmsten Momenten sagt: “Ich weiß. Ich kenne das. Ich habe das auch schon durchgemacht.” 

Sein drittes und längstes Album erschien kurz vor Corona und heißt no future. Der Albumtitel ist irgendwie sehr ironisch. Auch die Musikbranche lag im Lockdown still und irgendwie hatte niemand eine Zukunft. Natürlich steht es auch in Verbindung mit der no future Generation. Also alle nach 1990 Geborenen, die wegen nicht enden wollenden Problemen wie Umweltkatastrophen und Spätkapitalismus dieses Gefühl nicht loswerden, dass es nach uns keine Zukunft geben kann. Es ist Weltuntergangsstimmung. no future ist musikalisch ein bisschen anders als die Alben vorher. Man könnte sagen, es ging mehr Richtung Pop und war weniger experimentell. Aber die Melancholie ist trotzdem geblieben.

Vor einem Monat kam also das langersehnte neue Album In Case You Missed It. Es könnte auch wie eine Verlängerung von no future verstanden werden und es ist wie alle Alben ein ausgezeichnetes Konzeptalbum. Es geht wieder um die gleichen Ängste, um die EDEN immer und immer wieder kreist: Kontakt zu Freunden verlieren, Abschied und Veränderung. 

Was den Sound schon immer so einzigartig gemacht hat, ist der Mix aus analogen Instrumenten und elektronischen Sounds, die eine einzigartige Mischung ergeben. EDEN produziert seine Musik sehr fein mit Liebe zum Detail. Er legt zum Beispiel seine eigene Stimme übereinander, um einen Chor zu erzeugen, wie im ersten Song von vertigo: wrong.  

Er baut auch gerne kleine O-Töne aus Filmen oder Videos ein, die an den richtigen Stellen herzzerreißend sind. In Nocturne auf dem Album End Credits zum Beispiel gibt es einen O-Ton aus dem Film Cloud Atlas. Oder in dem kleinen Interlude in aus no future hört man einen O-Ton aus dem Anime your name. Das ist der Anfang des Films auf japanisch. Und heißt übersetzt so viel wie “Manchmal wenn ich morgens aufwache, weine ich und ich weiß nicht wieso”. Sehr passend zu EDENs traurigen Themen. 

Es gibt auch den O-Ton von einem afrikanischen Kinderchor am Ende von untitled. Das Video dazu kann man auf YouTube finden.

Berührend finde ich auch das Telefonat am Ende von rock + roll. Der Text dazu stammt vom Film Lost in Translation, ist aber kein O-Ton vom Film, sondern nachgestellt.

EDEN hat so eine zarte und gebrechliche Art, die ich wahnsinnig anziehend finde. Er steht für eine neue Männlichkeit, bei der es auch okay ist zu weinen, nicht stark sein zu müssen und seinen Gefühlen Platz und Ausdruck zu geben. In einer gewissen Art singt EDEN gegen toxische Männlichkeit. 

Mit seinem neuen Album geht er nächstes Jahr auf Tour und ist auch in Deutschland. Die Konzerte sind atmosphärische Meisterstücke und wenn euch EDEN nur zu hören nicht ausreicht, empfehle ich ihn unbedingt live zu sehen. Tickets gibt es auf iameden.eu oder Dice. 

EDEN ist die musikalische Umsetzung des Wortes und des Ortes aus der Bibel. Der Ort, an dem alle Wünsche erfüllt sind, zu dem man aber keinen Zugang mehr hat. Das Paradies ist Vergangenheit und was bleibt, ist der Weltschmerz und Selbstschmerz. Die Welt ist nicht schön und man selbst irgendwie auch nicht. Was bleibt, ist die bittersüße Erinnerung an einen Ort, an dem alles perfekt war. Über den kann man jetzt nur noch singen.