Letzten Sommer ging ein Aufschrei durch die Reihen der Anhänger fanservice orientierter japanischer Videospiele: Publisher PQube kündigte an, dass das Playstation Vita Spiel Omega Labyrinth Z nicht im Westen erscheinen wird. Und das obwohl bereits ein Erscheinungsdatum angesetzt und die Lokalisierungsarbeiten abgeschlossen waren. Grund dafür: Sony möchte das Spiel nicht auf seiner Plattform haben. Damit wurde Omega Labyrinth Z das erste Opfer von Sony‘s ominösen „Anti-Ecchi-Richtlinien“, den neuen Standards die der Plattforminhaber für den Umgang mit sexuellen Inhalten in, vor allem aus Japan stammenden, Videospielen entwickelt hat. Diese neuen Richtlinien gelten nicht nur für Spiele die in Amerika und Europa erscheinen, sondern weltweit. Also auch in Japan selbst. Was ist Ecchi überhaupt?

„In Ecchis wird (…) eher humorvoll mit dem Thema Sexualität umgegangen. In den Darstellungen finden sich häufig niedliche Figuren wieder, die sich ihrer sexuellen Anziehung nicht bewusst erscheinen, meist fröhlich gelaunt sind und unschuldig (kindlich) wirken. Aber auch das Gegenteil ist möglich. So werden Figuren auch immer wieder als ernsthaft, raffiniert und ihrer sexuellen Reize bewusst dargestellt.“ – Wikipedia

Ein weiteres prominentes „Opfer“ der neuen Richtlinien ist das Spiel Senran Kagura Burst Re:Newal. Bei diesem musste für das Playstation 4 Release der „Intimacy Mode“ entfernt werden, bei dem man die Brüste der Mädchen begrabschen und ihnen unter den Rock gucken kann (bei der Steam-Version des Spiels ist der Modus enthalten).

Sony’s verspätetes Statement

Im April 2019 äußerte sich Sony erstmals in einem Interview mit dem Wallstreet Journal zu den neuen Richtlinien. Man bestätigte dort die Existenz von selbst erarbeiteten Richtlinien für den Umgang mit sexuellen Inhalten, wollte jedoch keine genaue Auskunft darüber geben, seit wann diese Regeln bestehen und wie diese im Detail aussehen. Die neuen Richtlinien sollen Entwicklern die Möglichkeit geben „gut ausbalancierte Inhalte auf der Plattform anzubieten“ und sicherstellen, dass „Gaming nicht die gesunde Entwicklung junger Menschen beeinflusst“.

Eine Führungskraft bei Sony berichtete von wachsender Besorgnis, dass das weltweite Ansehen der Firma durch die sexuell explizite Videospiele, die in manchen Märkten angeboten werden, leiden könnte. Insbesondere von Spielen aus der japanischen Heimat des  Unternehmens ist die Rede, da dort die Toleranz für beinahe Nacktheit und die Darstellungen von jungen, minderjährigen aussehenden Frauen höher ist.

Als Gründe, diese Besorgnis in der Form von neuen Richtlinien umzusetzen wurde die #MeToo-Bewegung genannt, bei der man ungerne mit Inhalten, die Frauen gegenüber als erniedrigend angesehen werden könnten, assoziiert werden möchte. Ein weiterer Grund ist die Möglichkeit, die  Spiele mit den lockereren japanischen Standards heute durch Streaming mit Publikum aus der ganzen Welt zu teilen. Außerdem möchte Sony nicht das Ziel von sozialen und rechtlichen Konsequenzen werden.

Bei den Entwicklern dieser Spiele in Japan selbst stoßen die neuen Richtlinien auf wenig Begeisterung, man hatte sie in der Vergangenheit als wichtigen Teil der Playstation-Familie bezeichnet und nun sagt man ihnen, sie sollen sich eine andere Plattform für ihre Spiele suchen.

Die japanischen Entwickler fühlen sich dadurch in ihrer Kreativität beschränkt, außerdem wird die Intransparenz und Inkonsistenz der neuen Richtlinien von ihnen kritisiert. Fertiggestellte Spiele müssen bei Sony in den USA zur Überprüfung vorgelegt werden, der Grad an sexuellen Inhalten der an einem Tag akzeptiert wurde, ist unter Umständen am nächsten nicht mehr akzeptabel und muss geändert werden. Diese nachträglichen Änderungen sind für die Entwickler teuer und zögern das Erscheinen der Spiele nach Fertigstellung hinaus. Zu der Kritik äußerte sich Sony nur soweit, dass man wahrnehme wie sich Entwickler außerhalb den USA dazu äußern, und hoffe sie akzeptieren, dass die Welt sich ändert.

Ecchi, Lolicon und co – wieso “tickt” Japan so anders?

Zurück zu dem am Anfang erwähnten Spiel Omega Labyrinth Z. Ganz abgesehen davon, dass Sony die Veröffentlichung auf der eigenen Plattform unterband, hätte das Spiel in einigen Ländern – darunter auch Deutschland – sowieso keine (USK-)Freigabe, auch nicht ab 18, erhalten. Grund dafür ist in Deutschland die sogenannte Posendarstellung, die „Darstellung von Minderjährigen in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Der Vertrieb des Spiels in Deutschland ist dadurch nicht komplett verboten, aber das Spiel würde Gefahr laufen, von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien  indiziert zu werden, ein hohes Risiko für den Publisher.

In Japan ist das Spiel mit einem CERO-D Rating erschienen, einer Freigabe ab 17 Jahren. Wieso ist  diese Art der Darstellung in Japan akzeptiert, führt aber bei westlichen Ratingboards zu einer Nichtfreigabe des Spieles?

Zuerst einmal sei hier gesagt, dass die Darstellung von kinderpornographischen Inhalten in Manga, Anime und Videospielen in Japan – anders als in Deutschland und indirekt auch in den USA – nicht illegal ist.

Es wird angenommen, dass der Grund für die größere Offenheit gegenüber sexualisierten Darstellungen von Minderjährigen das in Japan bis 1991 bestehende Verbot Schamhaare zu zeigen ist. Dadurch widmeten sich Man­ga-Künstler in den 1980er und 1990ern vermehrt Darstellungen von jungen Frauen bis hin zu Mädchen. Das Lolicon (von Lolita Komplex) Genre wurde geboren. Ein Genre, in dem es um romantische und sexuelle Beziehungen zwischen jungen, klar minderjährigen Mädchen und älteren, erwachsenen Männern geht. Lolicon-Fans geben an, dass sie eher von der Niedlichkeit der dargestellten Charaktere als ihrem Alter angezogen werden. Nachdem das Verbot vom Zeigen von Schamhaaren aufgehoben wurde, was das Genre schon so etabliert das es bis heute fortbesteht.

Lolicon ist in Japan zwar weit verbreitet, ist allerdings auch starker Kritik ausgesetzt.In den letzten Jahren gab es mehrere Versuche Lolicon gesetzlich einzuschränken, aber alle scheiterten.

Über Japan’s Gesellschaft

Japans Gesellschaft ist sehr patriarchisch. Im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums 2017 belegte Japan den 114. Platz von 144 bewerteten Ländern (zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 12). Es gibt kaum Gesetze zum Schutz vor sexueller Belästigung, nur bei 10% aller angezeigten Vergewaltigungen (bei einer Umfrage des Kabinettbüros gaben nur 4% der betroffenen Teilnehmerinnen an, überhaupt zur Polizei gegangen zu sein) wird tatsächlich ein Täter verurteilt, insgesamt herrscht eine Kultur des Victim Blamings, Victim Shamings und ein großes Tabu, über Erlebtes zu sprechenConsent ist in Japan nicht gesetzlich verankert, Polizei und Gerichte verfolgen in der Regel nur Fälle, bei denen Zeichen von physischer Gewalt und Selbstverteidigung des Opfers zu sehen sind. Es gibt wenig Aufklärung darüber, was sexuelle Gewalt überhaupt ist, und das obwohl sie in der Medienlandschaft des Landes, die ein großer Teil der sexuellen Realität junger Menschen ist, so häufig dargestellt wird.

Aber auch in Japan, nimmt die #MeToo Bewegung, wenn auch nur sehr langsam, Fahrt auf: Dort heißen sie „Flower Demos“  und werden unter dem Motto #MeToo und #WithYou veranstaltet. Teilnehmer tragen Blumen um Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Die Demonstranten fordern eine Einführung von einer ‚Nein-heißt-Nein‘ Klausel im Gesetz und kritisieren die geringe Zahl von Verurteilungen in Vergewaltigungsprozessen.

Gibt es noch einen Platz für solche Spiele?

Es ist verständlich, dass die japanischen Entwickler und die westlichen Publisher von Ecchi-Spielen wütend auf Sony sind. Die Kommunikation zum Thema war und ist immer noch katastrophal.Die Nintendo Switch konnte sich in Japan in weniger als 2,5 Jahren insgesamt bereits öfter verkaufen als die drei Jahre ältere PS4, und Nintendo hat schon angekündigt, dass sie sexuelle Inhalte, anders als Sony, auch zukünftig nicht einschränken werden. Lediglich eine Zulassung von der entsprechenden, regionalen Freigabestelle (z.B. USK für eine Veröffentlichung Deutschland) wird verlangt. Auf dem PC sind Ecchi-Spiele (und auch deutlich härtere Sachen) problemlos zu finden

Die durch Sony heimatlos gewordenen Entwickler werden nach einiger Umstellungszeit sicherlich erstmal problemlos ein neues Zuhause finden. Mit einem hat Sony aber recht: Die Welt hat sich geändert. Der weltweite Druck nach Gleichberechtigung der Geschlechter wächst stetig, getrieben durch Aktionen wie #MeToo und den Flower Demos.

Wie soll ‚Nein heißt Nein‘, gerade auch in Japan, ein beachtetes Konzept oder gar Gesetz werden, wenn in Spielen wie Senran Kagura das ‚Nein‘ des Mädchens beim Begrabschen der Brüste, Blick unter den Rock oder Schlag auf den Hintern am Ende doch ein ‚Ja‘ meint und der Spieler am Ende sogar mit einem Kuss belohnt wird? Und das Spiel ist dabei absolut keine Ausnahme, dieses Thema findet sich an vielen Stellen in Manga, Anime und weiteren Videospielen in Japan’s Medienlandschaft wieder.

Natürlich müssen Videospiele nicht immer „politisch korrekt“ sein, aber sollten wir als westliche Gesellschaft Spielen die bei uns erscheinen und Werte darstellen, die den unseren gar so konträr sind, nicht kritisch sein?

Letztendlich sind Sony’s Anti-Ecchi-Richtlinien das Produkt eines Kulturclashes zwischen dem mit der Darstellung von Sexualität sehr offen umgehenden Japan, das sich beim Thema Gleichberechtigung noch an einem ganz anderen Punkt befindet und den eher prüden USA, in denen das Thema deutlich weiter ist. Gewinner gibt es dabei nicht: Sony’s Ruf bei Fans und Entwicklern hat gelitten. Die Produktion und Verbreitung der Spiele wird dadurch vermutlich erstmal nicht gemindert. 

Am Ende des Tages sind die “Anti-Ecchi-Richtlinien” kaum mehr als mediale Augenwischerei um bei Fans und Kritikern in den USA nicht in Verruf zu geraten. Denn: seit Anfang 2016 befindet sich der Hauptsitz der Playstation Marke nicht mehr in Japan, sondern in Kalifornien.