Dieser „Artikel“ soll so bisschen ein Rant/Nachtrag zu meinem Beitrag im Dispositiv Jahresrückblick 2022 sein, in dem ich über osteuropäischen Post-Punk geschrieben habe. Seitdem habe ich mich etwas intensiver mit den Bands selbst auseinandergesetzt und herausgefunden, dass meine Lieblingsband in diesem Genre, Увула (Uvula), erst Anfang diesen Jahres auf eine inoffizielle Blacklist des russischen Regimes gesetzt wurde.

Diese Blacklist bestimmt kurz gesagt, dass eine Gruppe in Russland nicht mehr auftreten darf, bzw. schön gesprochen, dass ihre Auftritte „unerwünscht“ sind. Erste Künstler*innen auf dieser Liste sind bereits im Juli 2022 bekannt geworden – unter Anderem Little Big, welche 2020 Russland beim Eurovision Song Contest hätten repräsentieren sollen – und ich war ehrlich gesagt etwas geschockt, dass ich davon basically gar nichts mitbekommen hab.

Bei Увула bin ich auch nur darauf gekommen, weil ich unter einem YouTube-Video einen „RIP Увула“ Kommentar gesehen hab. Beim Suchen nach offiziellen Statements der Band bin ich (neben unglaublich viel Gaumenzäpfchen (lat. Uvula) fetish content. Das existiert.) nur auf einen einzigen russischen Artikel über die Situation gestoßen, der dann den nicht ganz leicht zu findenden Instagram-Account der Band verlinkt hat. Hier hat die Band ihre Auflösung durch die Beschränkungen angekündigt – und irgendwie interessiert sich offensichtlich keiner dafür? Eine der vielversprechendsten russischen Bands, die schon „russische The Smiths“ genannt wurden, muss sich auflösen, weil sie auf ihrem Spotify-Account „Fuck War“ und eine ukrainische Flagge als Profilbild geposted haben. Warum berichtet da kein englisches Media Outlet drüber?

Das ist mir allgemein auch aufgefallen: Es ist unglaublich schwer, an tatsächliche Informationen zu kommen. Wenn man etwas findet, dann ist das höchstens ein russischer Tweet, dessen automatische Übersetzung mir nur obskures Halbwissen bringt, oder ein kontextloser Reddit-Post. Selbst bei größeren Künstler*innen wie beispielsweise Sergey Lazarev, der 2016 und 2019 beim ESC für Russland auftrat, findet man nur vereinzelt tatsächlich glaubwürdige Quellen. Lazarev war zwar zu Beginn des Krieges öffentlich Anti-War, scheint sich aber im Laufe der Zeit dem Putin-Regime zugewandt zu haben und war auch Ende letzten Jahres an einer pseudo-patriotischen Songkollaboration mehrerer russischer Musiker*innen beteiligt. Wirklich aussagekräftiges Material ist jedoch kaum zu finden.

Ähnlich ist das bei Буерак (Buerak), die ich ebenfalls in meinem Rückblick erwähnt hatte. Keiner der beiden Bandmitglieder hat sich bis heute in irgendeiner Weise zum Krieg geäußert, die Band gibt weiterhin Konzerte in Russland. Aufgefallen ist mir dabei auch, wie ich direkt anfange, die Bands zu verurteilen, wenn sie kein Statement abgeben. Aber kann ich überhaupt wissen, ob diese Leute tatsächlich pro Russland sind? Kleinere Bands könnten sich keinen Ausstieg aus Russland leisten, so wie beispielsweise das Art-Rock-Duo IC3PEAK, die sich nach der Veröffentlichung eines klar regimefeindlichen Musikvideos ins Ausland abgesetzt haben, um möglicher Verfolgung zu entkommen (ein interessantes Interview mit den beiden gibt es übrigens in der Arte-Doku Russian Artists Against the War). Ein eindeutiges Statement zum Krieg kann in eine Richtung sozialen und wirtschaftlichen Selbstmord in Russland aber Anerkennung in der westlichen Welt bedeuten, in die andere Richtung das exakte Gegenteil. Sergey Lazarev hat sich für letzteres entschieden, was ihm in seiner aktuellen Lebenslage in Russland sehr wahrscheinlich nur zugutekommt.

Ganz anders verhält es sich bei Автоспорт (Autosport), die nach einem ausführlichen Anti-Kriegs-Statement vergangenen März wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheinen.

Für mich ist es unglaublich schwer, die Lage zu beurteilen. Natürlich will ich auf der einen Seite, dass sich am besten alle Bands, die ich höre, negativ zum Krieg äußern, andererseits kann ich es auch irgendwie verstehen, wenn sie es nicht tun. Ein Statement verlangt eine unglaublich große Portion Mut und auch in gewisser Weise ein komplettes Ablegen eigener Rechte. Ob man dann auf Instagram sowas wie „dreckige Feiglinge“ kommentieren muss, wie ich es bei Буерак ein paar Mal gelesen habe, weiß ich nicht. Man steckt nicht in der Haut der Künstler*innen, die ihre eigene Position letztendlich am besten beurteilen und die Vor- und Nachteile eines Statements abwägen können. Ich würde jetzt mal grundsätzlich so weit gehen, zu behaupten, dass die schon alle wissen werden, dass der Krieg schlecht ist.

Aber ja, das war mein kleines Heads-Up zu der Thematik.