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Die Faszination Taylor Swift

Taylor Swift ist die erfolgreichste Künstlerin unserer Zeit und ich habs nie so ganz verstanden, aber auch nie groß hinterfragt. Es war nicht mein Ding, aus unterschiedlichen Gründen. Während Taylors Country Days hatte ich sie einfach nicht auf dem Schirm, was wahrscheinlich daran lag, dass ich noch nicht einmal 10 Jahre alt war und nur die Musik, die ich im Radio zu hören bekam oder die German-Metal-Platten meines Vaters gehört habe. Als Red und 1989 rausgekommen sind, war mein musikalischer Horizont sehr klein und ich mir selbst viel zu cool für Taylor Swift. Alles, was nicht Rockmusik, die vor 2000 entstanden oder trauriger Indie ist, kann ja nicht gut sein. Was danach kam hat mich dann nicht mehr wirklich interessiert.

Dennoch habe ich Taylors Karriere aus dem Augenwinkel verfolgt, was auch an Social Media, aber zum größten Teil an einer guten Schulfreundin lag, die selbst ein riesiger Fan ist. Weil mir wenig so viel gibt, wie Menschen zuzuhören, die über Musik reden, die sie mögen, hab ich sie also immer mal wieder gefragt wie sie denn das neue Taylor Swift Album fände und ihr versichert, dass ich mir selbiges sicher bald anhören würde, was ich dann natürlich nie getan habe.

Von Taylor Swift geht eine Faszination aus wie von fast keiner anderen Künstler*in. Sie verkauft mehr Alben als alle anderen, lässt Buchungs-Websites für Konzerttickets zusammenbrechen und bringt Fans auf der ganzen Welt zum Umkippen. Und das alles mit in meinen Augen eher mittelmäßiger Popmusik, denn obwohl sich mein musikalischer Horizont seit ich ein Teenager war, stetig erweitert hat, kann ich den Hype um Taylor immer noch nicht verstehen. Ich will ihn aber verstehen oder zumindest etwas besser nachvollziehen können. Und was gibt es also für eine bessere Methode dafür als bei der Musik anzufangen und mir Zeit zu nehmen, mich mit Taylors Werk auseinanderzusetzen? Ich will von Taylor überzeugt werden. Ich will wissen, ob auf dem Taylor-Zug ein Platz für mich ist.

Versuchsaufbau

Um also herauszufinden, ob nicht doch ein Swiftie in mir steckt, werde ich mir im nächsten Monat alle 10 bis jetzt (Stand 27.10.2022) erschienenen Alben von Taylor Swift anhören – möglichst unvoreingenommen natürlich. Die Alben werde ich in der Reihenfolge ihres Erscheinungsdatums, angefangen mit Taylor Swift von 2006 und endend mit Midnights von 2022, hören. Damit das ganze Vorhaben nicht ausufert, beschränke ich mich auf die Studioalben in ihrer Standardversion (Deluxe Versionen und Taylors Version werde ich dabei außer Acht lassen, auch wenn das vielleicht moralisch nicht das beste ist). 

Taylor Swift (2006)

Jetzt sitze ich also hier und hovere mit meinem Mauszeiger über dem Playbutton des Videos zu Taylor Swift von Taylor Swift, der das Video und somit dieses ganze Experiment starten lassen wird. Auf dem Thumbnail blickt mir eine 16-jährige Taylor Swift mit langen blonden Locken entgegen. Ich habe noch nie so oft den Namen Taylor Swift tippen müssen, aber ich sollte mich schon mal dran gewöhnen. Ich habe Angst, mir durch den übermäßigen Taylor Swift Konsum meinen perfekt abgestimmten Spotify Algorithmus zu zerstören, deswegen ist Youtube die Plattform meiner Wahl. Im Hintergrund ist sowohl die Wikipedia-Page des Albums als auch ein Tab mit der Album-Art und den Songtexten geöffnet. Keiner der Songtitel sagt mir irgendetwas. Ich bin motiviert und entschlossen, hadere aber auch ein bisschen mit mir selbst. Was habe ich mir da nur eingebrockt?

Ich drücke auf Play.

Country-Gitarren und Taylors Stimme dringen an meine Ohren. „Das klingt richtig Ass, holy Shit“ sagt mein Freund, der auch mehr oder weniger freiwillig Teil dieses Experiments ist. Er findet es gut, er will es sich nur nicht eingestehen. Über mich wäscht eine Welle von excitement, denn, obwohl der erste Song relativ nichtssagend ist, habe ich Spaß und freu mich drauf, mich auf Taylor einzulassen. Zu meiner großen Überraschung kenne ich den zweiten Song Picture to burn sogar – von Tiktok (Das ist ein Trend, der sich durch dieses ganze Experiment ziehen wird, ich kenne tatsächlich deutlich mehr als ich dachte und das meiste von Tiktok).

Nach ein paar Songs werden mir jedoch einige Dinge klar. Country ist nicht mein Genre, aber ein Banjo Solo macht irgendwie trotzdem alles besser. Ich finde das Album bis auf einige Momente musikalisch leider etwas uninteressant und wenig abwechslungsreich. Aber vor allem fällt mir auf, dass ich mit den Texten nicht viel anfangen kann.

Die Lyrics auf Taylor Swift erzählen von Taylors Teenager-Leben, vor allem von romantischen Begegnungen. Liebeslieder wechseln sich ab mit Break-up Songs. Taylor erzählt mit ihren Songs Geschichten und das unglaublich klar. Um den Appeal von Taylor und ihrer Musik besser zu verstehen, habe ich in Vorbereitung für mein Experiment meine Schulfreundin angehauen, mir zu erzählen, wie sie ein Fan geworden ist, und was sie an Taylor mag.Wenig später kamen dann einige Sprachnachrichten zurück. Sie erzählte mir von ihren Anfängen mit Taylor, als sie in der Bücherei in der kleinen Stadt, in der wir zur Schule gegangen sind, ihre erste Alben ausgeliehen und angehört hat. Damals ging ein großer Teil ihrer Faszination für Taylor von ebendieser Klarheit und Nahbarkeit ihrer Lyrics aus. Sie konnte viele ihrer pubertären Erfahrungen und Gefühle in den Songs widergespiegelt sehen. Ich kann verstehen, wie man die Songs als Teenager gut finden kann und sich vielleicht verstanden fühlt, nur leider bin ich 22. Durch eine Nostalgie-Brille kann ich mit den Texten jedoch auch nicht sympathisieren, denn meine und Taylors „15-year-old experience“ unterscheiden sich extrem. Natürlich sind Taylors Songs eher eine Fantasie für die Hörer*innen, dennoch war die Zahl meiner romantischen Erfahrungen mit 15 gleich Null. Ich hatte weder romantisches Interesse an irgendjemandem, weil ich zu sehr damit beschäftigt war *not like other girls* zu sein, noch hatte jemand Interesse an mir, was ich auch wirklich niemandem übel nehmen kann.

Am Ende des Albums komme ich zu dem Fazit „Es ist schon ganz fun, aber not for me.“

Fearless (2008) und Speak Now (2010)

Jetzt ist es eine Woche später und mein Vorhaben, innerhalb einer Woche durch Taylors Oeuvre durchzurushen stellt sich als etwas schwieriger heraus als anfangs gedacht. „Schwieriger“ meint hier, dass mir irgendwie die Motivation, die vor dem ersten Album groß war, gefehlt hatte. Inzwischen war Taylors neues Album Midnights jedoch gedropped und die Songs des Albums belegten alle Plätze der Billboard Top 10 – das erste Mal, dass dies einer Künstler*in gelingt, was zwar etwas der heutigen Art der Musikdistribution liegt, aber trotzdem absolut impressive ist. Wenn Taylor eines kann, dann ist es Alben verkaufen wie keine zweite – aber zurück zum Wesentlichen.

Ich sitze also wieder auf dem Bett mit dem Laptop vor mir. Spotify ist geöffnet, da es mir dann inzwischen doch egal ist, ob Leute sehen, was ich höre, beziehungsweise dass das, was ich höre, übermäßig viel Taylor Swift ist. Ich sehe mir die Tracklist an und merke, dass ich einige der Tracks kenne. Entweder aus dem Grund, dass sie bereits auf dem ersten Album waren (schon ein bisschen schwach, finde ich) oder weil ich genug Zeit auf Social Media verbracht habe, um ihnen nicht ausweichen zu können.

Ich drücke auf Play und Taylor macht genau da weiter, wo sie aufgehört hat, nur etwas mehr polished. Der erste Song ist für mich absolut nichtssagend und ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass Fearless für mich einfach nur ein etwas kommerzielles, poppiges Debut wird. Sowohl die Texte als auch die Musik sind außerdem so schrecklich amerikanisch, dass ich fast ein bisschen wütend werde. Ich fühle mich wie eine 15-Jährige gefangen in einer High-School in Nashville während der frühen 2010er und mein größtes Problem ist, dass der Captain der Football Teams nicht mit mir zum Homecoming Dance gehen will. In mir staut sich ein riesiger Haufen Negativität an, sodass ich wahrscheinlich alles, was ich jetzt höre, für ganz schrecklich befinden würde. Ich habe keinen Bock mehr, aber ich bin erst beim zweiten Song.

Der Song, der mich aus diesem Negativitätsloch reißt ist, against all odds, Love Story. Ich kenne Love Story und jede*r, die*der 2020 einmal Tiktok geöffnet hat, kennt Lovestory auch, mehr oder weniger freiwillig. Die Plattform war damals voll mit Edits zu einer Textzeile aus dem Song und man konnte kaum fünf Tiktoks weiter scollen und schon drang Love Story wieder an meine Ohren. Trotzdem habe ich Love Story nie von vorne bis hinten angehört und ich werde es wahrscheinlich auch nicht mehr von allein tun, aber jetzt ist es anscheinend genau das, was ich brauche. Ich glaub ich habe selten so etwas kitschiges gehört, aber Lovestory hat mir Taylors Fantasie verkauft und sie mich für das enjoyen hat lassen was sie ist: Eine wholesome Teengirl Fantasy und durch diese Brille kann ich den Rest von Fearless auch deutlich mehr wertschätzen, auch wenn es immernoch nicht meine Musik ist.

Auf dieser plötzlichen Welle der Positivität reitend mache ich direkt im Anschluss mit Speak Now weiter. Mein Freund sitzt weiter brav dabei, wirft aber gelegentlich einen „Ich finds ja schon scheiße“ Kommentar ein, aber ich hab Spaß mit Speak Now. Das Album fühlt sich an wie die logische Weiterentwicklung von Fearless, wieder in eine etwas poppigere Richtung, aber mit genug Country-Elementen, dass es den ersten beiden Alben treu bleibt.

Ich hatte nach anfänglichen Startschwierigkeiten wirklich eine ganz gute Zeit mit Fearless und Speak Now, auch wenn ich beide wahrscheinlich so schnell nicht nochmal anhören werde.

Red (2012)

Es ist wieder genau eine Woche später und in dieser Woche hat mich Taylor eigentlich überall hin begleitet. Sie saß auf meiner Schulter und hat mir ins Ohr gesungen und ich konnte sie nicht abstellen. Vor allem Mean von Speak Now hat sich in meinen Kopf gebrannt, sodass kaum ein Tag vergangen ist, an dem ich keinen Ohrwurm davon hatte. Die Songs der ersten drei Alben bleiben auf jeden Fall im Kopf, was zwar für sie spricht, aber ich würde eigentlich auch gerne mal wieder an was anderes denken als Taylor Swift. Fühlt es sich so an, ein Swiftie zu sein? Außerdem fällt mir auf, wie oft mir Taylor in meinem Alltag begegnet. In beiläufigen Gesprächen, auf Postern in meiner WG, in Spotify-Playlists und natürlich auf Social Media. Sie ist überall. Ich weiß nicht, ob ich diese Omnipräsenz der Taylor Swift so gut finde, aber da kann ich mir noch lange darüber Gedanken machen, denn so schnell wird sie bestimmt nicht enden. Jetzt ist es erst mal Zeit für das nächste Album

Als nächstes ist Red dran, dass für viele, sowohl Kritiker*innen als auch Fans, Taylors bestes Album ist; die Erwartungen sind also groß. Wenn Pitchfork dem Album einen Score von 9.0 gibt und damit einen höheren als den meisten meiner Lieblingsalben, dann muss es ja gut sein.

Ich drücke also auf Play.

Der erste Song von Red ist State of Grace und auch wenn er kein Stand-Out-Track in Taylors Diskographie ist, ist er ein wirklich guter Opening Track und ich entscheide mich dafür, wie das gute Musiksnob-Schaf, das ich bin, Pitchfork fürs erste mein Vertrauen zu schenken. Direkt fängt auch mein Freund an, positiv über das Bass-Arrangement zu sprechen, was in 9 von 10 Fällen ein gutes Zeichen ist.

Was auf State of Grace folgt, sind wirklich solide Pop-Tracks, die, wenn man sie sich mal wirklich bewusst anhört, echt gut gemacht sind. Zwar sind die Country-Wurzeln an manchen Stellen noch stark hörbar, aber Taylor ist in der kontemporären Pop-Landschaft von 2012 angekommen. Der Song, der dafür wie kein zweiter steht, ist I Knew You Were Trouble, von dem ich immer noch nicht der größte Fan bin. Wenn man aber auf die Meinung meines Freundes vertrauen sollte, ist das der beste Taylor Swift Track.

Anders als für meinen Freund ist für mich ist der beste Track (auf Red zumindest) All Too Well. Der Song ist wirklich gut und vielleicht werd ich mir tatsächlich mal die erst letztes Jahr erschienene 10 Minuten Version davon anhören. All too well ist wirklich gut. Wiederhole ich mich? Vielleicht. Aber All too well verbindet alles, was ich bis jetzt an Taylors Musik mag. Der Song ist ehrlich, warm, melancholisch und malt ein klares, buntes Bild. Das ist, was ich von Taylor will.

Als dann die letzten Töne des closing-tracks Girl at Home langsam verstummen, fällt mir auf, wie schnell die Zeit vergangen ist. Time flies when you’re having fun und ich hatte wirklich eine gute Zeit mit Red. Das Album hatte alles, was ich an den ersten drei Alben mochte, inklusive des Banjos, wenn auch nicht mehr ganz so präsent. Die Progression von Taylor Swift zu Fearless zu Speak Now und schließlich zu Red hat sich für mich wirklich natürlich angefühlt und irgendwie wurde es auch mit jedem Album für mich besser. Liegt es daran, dass sich Taylor als Künstlerin weiterentwickelt hat und gewachsen ist oder habe ich einfach Stockholm Syndrom entwickelt? Wenn es so weitergeht, dann werden Taylor und ich noch echt gute, parasoziale Freundinnen.

1989 (2014) – ein Hassbrief

Taylor und ich sind keine Freundinnen mehr. Ich hasse 1989. Das ist vielleicht eine übertriebene und etwas emotional befeuerte Reaktion für so ein nichtssagendes Album, aber es entspricht der Wahrheit. Ich bin wirklich ein bisschen traurig, weil ich das Gefühl hatte, dass ich durch Red langsam eine Wertschätzung für Taylor und ihre Musik gewinnen konnte, aber 1989 überrollt diese Wertschätzung mit einem Traktor und fährt aus Spaß darauf herum, bis nichts mehr übrig ist. Jedes Album von Taylor war bis jetzt besser als ihr letztes, aber 1989 bricht leider mit diesem Aufwärtstrend. Alles, was für mich für die letzten Taylor Swift Alben gesprochen hat, ist weg. Die Emotionalität, die Wärme, irgendwo auch die Unschuld. Die Lyrics sind so überheblich und anstrengend und wollen mir sagen, dass Taylor die Geilste ist, aber das funktioniert nicht. 1989 ist ein kaltes, kommerzialisiertes Pop-Monster, bei dem man das Gefühl bekommt, jeder Song ist auf Erfolg getrimmt und es hat leider funktioniert, denn 1989 ist bis heute ihr am meisten verkauftes Album.

„Aber auf 1989 sind doch die ganzen Banger“ (Dispositiv-Redakteur und Country-Taylor Enthusiast Tim Schneider)

Dem könnte man zustimmen. Viele der erfolgreichsten Taylor-Songs wie Shake It Off oder Blank Space sind auf 1989 zu finden, aber das ist nichts Gutes. Mein 14-jähriges Ich gewinnt bei diesem Album leider überhand und ist zurück with full force. Ich hatte zwar mit 14 keine Ahnung von nichts, aber bei einer Sache stimme ich Luisa aus 2014 voll zu: Ich hab die Songs damals nicht ausstehen können und ich tue es immer noch nicht. Die Sekunden von Shake It Off zwischen 2:18 und 2:42 sind das unangenehmste, was ich je gehört habe. Mir wird allerdings durch dieses qualitative Loch und des dadurch entstehenden Kontrasts, dass ich die vier ersten Alben ganz gern mochte und ich werde fast nostalgisch für bessere Zeiten, also vor einer Woche. Aber nein, die guten Zeiten sind vorbei und ich muss Bad Blood hören und will eigentlich lieber meinen Laptop aus dem Fenster schmeißen, was nicht viel bringen wird, weil da ein Fliegengitter hängt. Taylor, wir waren auf so einem guten Weg, wir hätten wirklich Freundinnen werden können. Aber nein, du musstest Shake It Off schreiben.

Reputation (2017)

So, nachdem wir uns jetzt alle wieder beruhigt haben, ist es Zeit für Reputation.

Seit dem Anfang dieses Experiments freue ich mich auf diesen Moment, weil Reputations Reputation (*Grillenzirpen*) ist ihm zuvor geeilt und ich glaube genau zu wissen, was ich erwarten kann – und das ist überproduzierte Popmusik mit fehlplatzierten Hip-Hop- und Trap-Elementen. Ich will die volle Ladung 2017. Ich sehe vor meinem Auge, wie irgendein Plattenboss in einem Konferenzzimmer in seinem Plattenboss-Sessel sitzt und sagt „I want Taylor to be a bad bitch!“. Ich weiß, dass mir Reputation zu 99 Prozent nicht gefallen wird aber zumindest werde ich ne gute Zeit haben und das brauch ich jetzt nach 1989.

Ich drücke auf Play und Überraschung, es ist genauso gekommen, wie ich es vermutet habe. Reputation ist wirklich nicht gut, aber im Gegensatz zu 1989 schaffe ich es, Reputation nicht so ernst zu nehmen. Durch 1989 habe ich eine imaginäre Distanz zu Taylor und ihrer Musik aufgebaut und ich bin nicht mehr enttäuscht über das, was ich höre, sondern kann mich darüber freuen, dass Reputation so weit weg von der Musik ist, die ich eigentlich mag. Reputation sagt: „Will jemand aufs Maul?“ und bekommt dann aber selbst aufs Maul. „Das ist alles so trash, ich liebs!“ sagt mein Freund, der wieder mit im Zimmer sitzt und besser kann ich das jetzt selbst nicht ausdrücken. Allein beim Opening Track …Ready For It?, der sich wahnsinnig aufbauscht und ganz schlimm in seinem Versuch „badass“ zu sein scheitert, musste ich so sehr lachen wie lange nicht mehr.

Danke, Reputation. Will jemand aufs Maul?

Lover (2019)

Es sind zwei Wochen vergangen und ich sitze wieder auf dem Bett. Ich hab eine kleine Taylor-Pause gebraucht, außerdem wusste ich, dass das nächste Album Lover sein wird. Bevor ich überhaupt damit angefangen hab, mir die zehn Alben anzuhören, war ich der festen Überzeugung, dass mir Lover am wenigsten gefallen würde. Und nachdem 1989 und Reputation beide nicht gut waren, gingen die Erwartungen gegen Null. Es muss nicht viel passieren, dass ich positiv überrascht werde.

Lover ist die Definition von mittelmäßig. Es ist in Ordnung und damit bin ich gerade mehr als zufrieden. Lover klingt genauso wie sein Albumcover aussieht. Bunt und super poppig, aber an seinen Höhepunkten, von denen es tatsächlich einige gibt, ist Floaty und angenehm leicht. Die zwei Singleauskopplungen ME! mit Brendon Urie und You Need To Calm Down sind, da das Album echt gute Songs vorzuweisen hat, absolut falsch ausgewählt und zu meiner positiven Überraschung auch die zwei anstrengendsten Songs auf Lover. Da die Singles die einzigen Songs waren, die ich schon vorher kannte, hatte ich befürchtet, dass das ganze Album diesen zwei Songs ähneln würde, dem ist Gott sei Dank nicht so. Der Titeltrack Lover ist der erste Song, den ich seit langem wieder wirklich gut finde und fühlt sich für mich fast ein bisschen wie eine Versöhnung an. Taylor und ich sind wieder on track, ich stehe der Zukunft wieder positiv gegenüber, die Blumen blühen, die Vögel zwitschern.

Folklore (2020) und Evermore (2020)

Folklore ist das beste Taylor Swift Album und Cardigan ist der beste Taylor Swift Song!

Okay, das ist nicht wahr. Red ist wahrscheinlich das beste Taylor Swift Album und All Too Well wahrscheinlich der beste Taylor Swift Song, bei mir hat Folklore jedoch einen Nerv getroffen – aber zurück zum Anfang.

Ich sitze wieder auf meinem Bett. Ich bin das erste Mal ganz allein während des Hörens. Ich hab mir den Abend frei geschaufelt (ich hatte auch so nix zu tun), denn ich habe mir viel vorgenommen: Es ist Zeit für den Endspurt. Heute werden die drei letzten Taylor Swift Alben gehört, denn ich will endlich fertig werden. Es klingt vielleicht ein bisschen dramatisch, aber ich habe das Gefühl, dass ich Taylor seit Wochen überall im Huckepack mit mir herumtrage. Langsam ist es Zeit, sie irgendwo abzusetzen oder abzuwerfen. Das mache ich von den letzten Alben abhängig. Folklore ist das erste Album für heute Abend und ich bin schon ein bisschen hyped. Ich hab bis jetzt fast nur Positives darüber gehört, sowohl von Kritiker*innen als auch von Freund*innen und Bekannten. Außerdem ist das Cover schon sick. Es hängt außerdem als Plakat in meiner WG, weil Folklore das Lieblingsalbum meines Mitbewohners ist.

Ich drücke auf Play und höre das Album, ohne in den Laptop zu gucken und mir irgendetwas aufzuschreiben.

Folklore war wahrscheinlich mein persönliches Lieblingsalbum von Taylor, ich kann also die Meinung meines Mitbewohners absolut vertreten. Vielleicht liegt es daran, dass der Pitchfork-Favorit Red schon so weit zurück liegt, oder daran, dass 1989 und Reputation auf ihre eigene Art und Weise irgendwie shit waren und der Kontrast Folklore besser wirken lässt als es ist, oder weil das Wetter draußen ganz furchtbar ist, aber in meinem Zimmer ist es warm und cozy und Folklore ist der perfekte Soundtrack dafür.

Folklore ist (suprise) folky und unaufgeregt und ruhig, elegant, warm und melancholisch, erzählt Geschichten, aber ist dabei nicht aufdringlich, also Taylor Swift, wie ich sie zu mögen gelernt habe. Folklore verfolgt außerdem eine klare „artistic vision“ und hat von Anfang bis Ende denselben Vibe, ohne dabei wirklich langweilig zu werden. Manchmal sind die Lyrics ein bisschen cringy, aber das ist okay. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich nach Red nochmal so positiv über ein Taylor Swift Album schreibe, aber here we are. Cardigan ist außerdem der einzige Song, den ich in meine tatsächliche Spotify Playlist für den Monat gepackt hab, weil ich ihn wirklich mag und das nicht nur im Vergleich zum Rest von Taylors Musik.

Ich lasse nicht viel Zeit verstreichen, sondern mache direkt mit Evermore weiter. Ich erwarte more of the same, denn Evermore und Folklore sind im selben Jahr erschienen und beide überwiegend von Aaron Dessner von The Nationals produziert. Evermores Albumcover, auf dem Taylor von hinten vor einem Wald im Herbst zu sehen ist, finde ich aber deutlich langweiliger. Ich finde es sieht aus wie ein Instagram-Post unter dem „fall vibes“ oder ähnliches als caption steht. Ich glaub Taylor würde auch „fall vibes“ unter ihre Bilder auf Instagram schreiben.

Ich drücke auf Play und Evermore wird für mich zur Hintergrundmusik. Irgendwie ist alles sehr aus einem Guss und wo ich das bei Folklore noch sehr gut fand, finde ich Evermore eher etwas langweilig. Es fällt mir schwer, nicht dauerhaft auf mein Handy zu schauen und mich auf die Musik zu konzentrieren. Evermore ist wirklich nicht schlecht, aber für mich nur die etwas langweiligere, poppigere Schwester von Folklore. Und mehr hab ich über das Album auch nicht zu sagen.

Midnights (2022)

Das letzte Album, fast ist es geschafft. Ich lasse ein bisschen Zeit verstreichen, denn ich möchte Midnights zur passenden Uhrzeit anhören, vielleicht macht es das besser. Taylor würde es bestimmt so wollen.

Es ist 00:00 Uhr, ich drücke auf Play. Endspurt.

Der erste Track, Lavender Haze, gefällt mir ganz gut. Er klingt, als wäre er produziert worden, um dazu nachts Auto zu fahren. 80s Vibes, von denen ich in der Popmusik eigentlich inzwischen wirklich genug hab, aber in Midnights sind sie ziemlich geschmackvoll eingesetzt. Diese Beschreibung lässt sich auf das meiste im Albums anwenden. Wie schon seine zwei Vorgänger hat Midnights eine Grundstimmung, die sich durchzieht, was keine Überraschung ist, denn das ganze Album wurde von Jack Antonoff produziert und auch hier wird diese Grundstimmung schnell ein bisschen langweilig. Ich versteh die Vision. Ein Album, das die Feelings von Mitternacht einfangen soll. Die Atmosphäre von nächtlichen Gesprächen und Reflexion ist ein bisschen cheesy, aber ich kanns verstehen und bei mir funktioniert es, obgleich der Eintönigkeit, gerade ganz gut. Das Album fühlt sich ein bisschen wie die Credits für dieses Experiment an.

Ein paar Songs sind aber leider wirklich nicht gut und reißen mich aus meiner Stimmung. Allen voran der Song Question…?  mit der Line: Did you ever have someone kiss you in a crowded room and every single one of your friends was making fun of you, but 15 seconds latеr they were clapping too? Häh? Ja, Taylor, das passiert mir ständig. So sind sie meine Freunde, wenn mich jemand in nem vollen Raum küsst. 15 Sekunden lachen sie mich aus und dann fangen sie logischerweise an zu klatschen. Ich glaub, das ist eine universelle Erfahrung, die jeder kennt… Dieses Szenario ist für mich so seltsam, ich glaub, das wird mich noch ein bisschen verfolgen.

Während ich mir also noch ein bisschen Gedanken über den 15-Sekunden-Kuss mache, neigt sich Midnights dem Ende zu und der letzte Song, Mastermind, und damit auch das tatsächliche Outro beginnt. Mastermind ist wirklich süß und ich fange ein bisschen an zu reflektieren und mir die Frage zu stellen:

Bin ich jetzt also ein Swiftie geworden?

Nein, aber ich glaub das überrascht auch niemanden. Trotzdem steh ich, auch wenn es sich manchmal wahrscheinlich nicht danach angehört hat, Taylors Musik jetzt deutlich positiver gegenüber, als ich es vorher getan hab. Ich kann auch wirklich gut nachvollziehen, warum ihre Fans sie gut finden und verstehe Taylors Stärken. Ich habe fast das Gefühl, ich bin ein Swiftie ohne ein Fan von Taylor Swift zu sein, falls das auch nur ansatzweise Sinn macht. Ich nehme mit Leidenschaft an jeder Diskussion über Taylor teil und freu mich auf die Musik, die sie in Zukunft veröffentlichen wird. Manchmal erwische ich mich sogar dabei, Taylor verteidigen zu wollen, wenn schlecht von ihr gesprochen wird.

Den größten Teil von Taylors Diskographie werde ich mir wahrscheinlich nie wieder von allein anhören, aber Folklore und Red werde ich sicherlich nochmal laufen lassen, wenn auch nicht in naher Zukunft, denn jetzt habe ich erst mal wirklich genug. Obwohl Taylors Diskographie sehr abwechslungsreich war, hängt es einem dann doch zum Hals raus. Ich bin erstmal froh, dass dieses Experiment vorbei ist und ich Taylors Musik ab jetzt nur noch freiwillig und kuratiert anhören werde.

Sich auf eine Künstler*in so einzulassen war in jedem Fall sehr interessant, vor allem, wenn man im vornherein das Gefühl hatte, mit der Musik nichts anfangen zu können. Vielleicht ist es ja als Nächstes Zeit für alle Alben von Mark Forster.

Bonus: Das definitive Album-Ranking

1.      Folklore

2.      Red

3.      Speak Now

4.      Fearless

5.      Evermore

6.      Midnights

7.      Lover

8.      Taylor Swift

9.      Reputation

10.   1989