Wir schreiben das Jahr 2000 und die Schriftstellerin Judith Wilske wird gemaßregelt: ihr Werk „Mein erstes Shopping-Buch“ wird von der Bundesprüfstelle für Schriften (BpjS) indiziert und somit vollständig vom deutschen Markt genommen. Zu Recht! Aussagen wie „Lehne gebastelte Geschenke ab!“ verderben schließlich die Jugend. Da das Buch zu großen Teilen solche und noch extremere Regeln propagiert und schon in der Einleitung behauptet, dass es für Kinder ab 3 Jahren gedacht sei, ist selbstverständlich nicht davon auszugehen, dass es sich um ein satyrisches Werk handelt.
Zum Glück hat der Staat den verderblichen Inhalt des Buches rechtzeitig bemerkt, ansonsten weiß niemand, was für Auswirkungen es auf unsere Gesellschaft gehabt hätte. Vielleicht sollte man Kindern auch einfach verbieten, das Lesen zu lernen.
Aber es betrifft ja nicht immer nur die Jugend, nimmt man z.B. den Film „The Boondock Saints“, der aufgrund des Siegels „strafrechtlich unbedenklich“ nur hinter der Ladentheke verkauft werden darf, oder zahlreiche andere Filme, Spiele, Bücher, CDs, Plattencovers etc., die bei uns nur gekürzt oder gar nicht auf dem Markt kommen. Selbst den Beatles wurde mal ein Cover untersagt.
Aber man muss auch ehrlich sein: In seinem Leben im Übermaß, ja vielleicht sogar am Rande der Perversität, muss man immer wieder dankbar sein, dass einem Dinge vorenthalten werden. Selbst für einen erwachsenen Menschen ist es schließlich schwer zu differenzieren, ob Rodriguez Endzeit-Welt in „Planet Terror“ eins zu eins der unseren entspricht oder nicht, und jeder Amokläufer beginnt seine Show nur, weil er vorher zufällig Ballerspiele in die Hand bekommen hat. Oder erst Cronenbergs „Videodrome“: der kritisiert das Zeitalter der demokratischen Medien – zu Recht indiziert, weg damit!
Aber Entschuldigung, ich habe mich kurz vergessen: indem ich von Zensur sprach, habe ich mich auf Glatteis bewegt. Zensur gibt es nämlich nicht, sondern nur Dinge wie „freiwillige Selbstkontrolle“, „Jugendschutz“, „Proporz“ oder „Ehrenschutz“. So heißt es im ersten Absatz des Artikels 5 des Grundgesetzes sowohl allgemein: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ als auch ganz konkret: „Eine Zensur findet nicht statt“.
Doch hier treffen sich zwei Arten von Schutz: der Schutz des Bürgers vor dem Staat und der Schutz des Bürgers vor sich selbst. Aber so ist es ja immer, eigentlich paradox: ob man eingesperrt wird, Strafe zahlen muss, Parteien verboten werden, die Versammlungsfreiheit eingeschränkt oder ein Werk zensiert wird: immer dient es dem Schutz, und sei es auch der Schutz vor sich selbst.
Es ist ein geniales Prinzip und wir können nur von Glück reden, dass es das gibt! Wir werden beschützt, ohne es zu wollen, und vor allem werden Dinge verboten, ohne dass zensiert wird! FSK nennt es sich im Film, USK bei den Games und es gibt noch viele andere scissorhands. Ausgelagert in pseudo-nichtstaatlichen Instanzen kann das Grundrecht umgangen werden. Ganz so einfach ist es zwar nicht, aber durch einige juristische Tricks läuft es im Endeffekt genau darauf hinaus: Lücken im Gesetz geschickt zu umgehen. Aber pardon, ich will mich hier nicht strafbar machen: Nachzensur nennt man es, wenn Werke erst nach der Veröffentlichung verboten oder einer Behandlung unterzogen werden, und wenn man nicht von einem materiellen, sondern einem formellen Zensurbegriff ausgeht, kann man es so auslegen, dass juristisch gesehen Nachzensur gar keine Zensur ist.
Natürlich! Dreht man ein Kreuz um und spitzt es an, kann man damit auch jemanden erdolchen. Und geht man von einem formellen Begriff des Kotzens aus, indem man den Vorgang und nicht den Inhalt betrachtet, müsste man nie wieder die Hose runterlassen.
Wer mehr über Zensur wissen will: zensur.org bietet viele Ausblicke, die während eines Soziologie-Hauptseminars unter Leitung von Dr. Roland Seim an der Universität Münster erarbeitet wurden.
Ich kann das Portal schnittberichte.com empfehlen. Da kann man quasi Einstellung für Einstellung (die Seite ist vorbildlich bebildert) nachvollziehen, was einem vorenthalten wird.