Unter den wachsamen Augen der Diana-Statue findet das Geschehen statt: Iphigenie auf Tauris, oder besser gesagt, auf Plattformen. Goethes bekanntes Schauspiel aus der Weimarer Klassik über Menschlichkeit wurde vom Westfälischen Landestheater am 12. November 2013 in der Stadthalle Bayreuth aufgeführt.
Man kann sich das Bühnenbild in etwa so vorstellen: In der Mitte befindet sich eine grüne, sehr unebene Fläche, zu der drei lange Holzstege führen, die auf Ölfässern liegen. Im Hintergrund thront die Statue der Diana auf einem Turm, ebenfalls aus Ölfässern gemacht. Das meiste des Spiels findet auf der grünen, unebenen Fläche statt. Dort, wo sich Iphigenie für ihren Bruder Orest einsetzt und den König Thoas anfleht; allein schon durch die Machtpositionen der Figuren kann man kein Gespräch auf Augenhöhe erwarten, wird es noch durch den unebenen Untergrund erschwert. Mal ist Iphigenie erhöht, mal ihr Gesprächspartner. Nur auf den schmalen Holzstegen wäre ein Gespräch auf Augenhöhe möglich; doch Orest und sein Freund Pylades, Gestrandete an der Küste des Taurern-Reichs, können auch kein solches Gespräch führen, sind sie doch Rücken an Rücken gefesselt. Auf der kleinen grünen Fläche dagegen ist man sich noch mehr ausgeliefert. Nur über die schmalen Holzstege wäre eine Flucht möglich. Schnell werden die Figuren in ihre Ecken gedrängt; Iphigenies auswegslose Situation wird dadurch nur noch beklemmender.
Iphigenies eigener Vater hatte ursprünglich beabsichtigt, sie zu opfern, damit seine Kriegsflotte im Kampf gegen Troja mit günstigen Winden beschert wird. Doch Diana ist es zu verdanken, dass Iphigenie nicht geopfert wird, sondern bei den Taurern als Priesterin unterkommt. Dort schafft sie es, dem König die Menschenopfer auszureden. Thoas, der König der Taurier, will Iphigenie heiraten, doch sie lehnt ab und Thoas beschließt, die Menschenopfer an den zwei Gestrandeten zu vollziehen: An Iphigenies Bruder Orest und an Pylades. Iphigenie muss nun Thoas überzeugen, nicht in die alte Tradition der Menschenopfer zurück zu fallen und sie und die zwei Gestrandeten ziehen zu lassen.
Oberhalb der eigentlichen Spielfäche war eine Tafel angebracht, auf der einige Ausschnitte aus den Dialogen eingeblendet wurden. Dadurch wirkten einige dieser Kernaussagen im Handlungsgeschehen wie Werbesprüche, die von den Figuren abgelesen und wiedergegeben wurden. Ob die Inszenierung daduch sich einen Vorteil verschafft, kann bezweifelt werden.
Die Goethe’schen Dialoge, ganz im Stile der Weimarer Klassik in Blankversen verfasst. Ein Genuss deutscher Sprache. Regisseur Ralf Ebeling gibt an, einige Stellen, die für die Handlung irrelevant sind, gekürzt zu haben. So erhielt das Stück seine relative Kürze von nur Achtzig Minuten. Dadurch wollte Ebeling eine bessere Verständlichkeit des Textes erreichen. Ob er das geschafft hat, ist Ansichtssache. Fakt ist, dass sich die Iphigenie durch ihre komplexere Sprache einem leichtem Verständnis enzieht. Ohne grobe Vorkenntnisse der Handlung und der Ausgangssituation wird man dem Abend nur schwer folgen können.
Neben der Sprache ist auch die Thematik der Iphigenie auf Tauris nicht ganz zugänglich: zuerst ist die komplexere Vorgeschichte des Stücks, dann noch der Goethe’sche Versuch, das Schauspiel versöhnlich ganz nach dem humanistischen Ideal der Aufklärung enden zu lassen. Iphigenie muss Thoas überzeugen, nicht an den alten babarischen Menschenopfern festzuhalten, obwohl sie selbst fast eines dieser Menschenopfer gewesen wäre. Am Ende lässt Thoas Iphigenie und ihre Freunde ziehen; im Falle der Ebeling Inszenierung in einem fast gleichgültigen Tonfall – Lebt wohl, mehr bringt Thoas nicht über seine Lippen.
Thoas, der König der Taurier, wird überzeugend von Andreas Wobing gespielt, dem heimlichen Star des Abends. Er schafft es vor allen anderen seiner Figur Ausdruck zu verleihen und spielt damit jeden an die Wand. Auch wenn sich Sophie Schmidt als Iphigenie reichlich Mühe gibt, kann sie gegen Wobig kaum bestehen. Dennoch liefert auch sie eine überzeugende und souveräne Performance an diesem Abend. Die anderen Rollen werden von Roni Merza, Guido Thurk und Bülent Özdil gespielt, ebenfalls überzeugend in ihren Darbietungen.
So kann am Ende des Abends festgestellt werden, dass Bühne und Spiel die Zuschauer begeisterten. Der nicht ganz eingängige Text bewirkte aber, dass Iphigenie auf Tauris nicht zu den unterhaltsamsten Stücken zählen wird. Ebelings gekürzte Fassung war ein spannender Versuch, ein schwieriges Stück einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Gescheitert ist er damit nicht; einen erfolgreichen Versuch kann man es aber auch nicht gerade nennen.
Sehr schön! Das mit den unebenen Bühnenböden wird in letzter Zeit gern gemacht, ist natürlich ein gutes Mittel um Unausgewogenheiten zu demonstrieren, aber es nutzt sich halt doch irgendwann ab^^
Iphigenie ist aber auch so ein Stück an dem man sich schon die Zähne ausbeißt, wenn man es liest – sicher auch nicht leicht zu inszenieren! Hut ab! =)