Das siebte Studioalbum der aus New York City stammenden Rockband Interpol The Other Side of Make-Believe ist mittlerweile seit fast drei Monaten auf dem Markt und ich weiß immer noch nicht, wie ich dazu stehen soll – was auch der Grund ist, warum diese „Review“ so spät erscheint.

Eigentlich ist Interpol seit Jahren eine meiner zwei Lieblingsbands; Songs von ihrem Debut Turn On The Bright Lights, Our Love To Admire und El Pintor sind haufenweise in meinen meistgehörten Tracks of all time vertreten. Und spätestens seit dem Erscheinen der zweiten Single-Auskopplung Something Changed im April war ich unglaublich hyped auf das neue Album – nur irgendwie hielt dieser Hype nicht lange an.

The Other Side of Make-Believe beginnt mit dem Song Toni, welcher auch als Lead-Single erschien. Hier wird auch sofort gezeigt, dass man sich mit dem neuen Album weiterentwickelt hat: Daniel Kessler hockt dieses Mal am Piano und legt die Gitarre aus der Hand, was direkt einen Aspekt des typischen Interpol-Sounds drastisch verändert und Toni schon balladen-artig wirken lässt. Außerdem wird Paul Banks, welcher seit dem Abgang von Carlos Dengler in 2010 zusätzlich zum Gesang und der Rhythmusgitarre den Bass übernommen hat, nach Jahren von vergleichsweise uninteressanten Basslines kreativer und vor allem im Ton aggressiver. Ganz spannend ist, wie Banks seine Gesangsmelodie im Refrain fast direkt auf den Bass übersetzt und damit seiner mittlerweile hohen, fast schon weinerlichen Stimme einen tiefen und verzerrten Counterpart gibt. Das zieht sich als Muster durch viele Songs, genauso wie Banks‘ Stimmeinsatz, welcher sich über die Jahre hinweg von seinem typisch lauten, rufenden Gesang (gut zu hören z.B. in Obstacle 1) zu einem sehr sanften und kontrollierten Singen gewandelt hat. Damit schafft Toni es zwar ganz gut, einen Mood für die kommenden Songs zu etablieren, aber so richtig abholen kann es mich zumindest nicht. Das liegt auch daran, dass die Rhythmusgitarre erst im zweiten Chorus einsetzt und bis nach dem letzten Chorus quasi denselben Rhythmus durchspielt, damit manchmal aber unglaublich off klingt und durch den Mix irgendwie nicht in den Song passt. Danach jedoch wird sie ein bisschen Strokes-esque und bringt mal Schwung mit.

Dieser Schwung geht mit dem zweiten Track Fables aber leider wieder verloren. Banks schafft es, allein mit seinem Stimmeinsatz im Refrain diesen Song zu einem Skip zu machen. Selbst Kessler, der wieder an der Leadgitarre ist, kann das Theatralik-Fest nicht retten. Der Bass wirkt plump, die Gitarren plätschern langweilig vor sich hin, lediglich Fogarinos Drums können nichts für diese Trauerfeier, welche in mir statt Melancholie nur Abneigung dem Album gegenüber hervorruft.

Dem ungewöhnlichen Start folgt auch Track 3, Into The Night, bei welchem ich auch nach dem 10. Mal hören immer wieder durch den Rhythmus (positiv) verwirrt bin. Ebenso ist die absteigende Chordfolge im Refrain, welche, passend zum Songnamen, eher ungewohnt düster klingt, ein willkommenes Experiment. Der Song  gibt für mich zunächst die typische Interpol-Melancholie ab, die durch den Chorus aber gebrochen wird, was ich nicht schlimm finde. Für mich bleibt Banks‘ Gesang weiter das schwächste Glied und zieht dadurch Into The Night etwas runter.

Das ändert sich in Mr. Credit, wo Banks gewohnt tiefer und mit mehr Stimme singt. Allgemein ist es der bisher am meisten nach Interpol klingende Track – zum Kopfwippen anregender Rhythmus, leicht traurige Melodie und Lyrics mit viel Spielraum für Interpretation. Kesslers Riff wirkt mit seinen teils kurz angeschlagenen Noten recht verspielt, aber dadurch auch ungewöhnlich und irgendwie fehl am Platz, was Mr. Credit jedoch nicht davon abhält, einer der besten Tracks auf dem Album zu sein.

© Ebru Yildiz

Die Streak guter Songs führt Something Changed weiter. Kessler ist wieder am Piano und gibt in Kombination mit den Drums im Verse ein bisschen Walzer-Vibes, während der Bass wieder oft Banks’ Melodie folgt und nur wenig rhythmisch ausbricht. Hier passt erstmals Banks‘ Stimmeinsatz zum Song, besonders der sanfte Part gegen Ende. Something Changed bleibt in meinen Augen der Standout Song desvom Albums, auch wenn ich gar nicht so genau sagen kann, wieso eigentlich. Mr.Credit trifft eigentlich auf allen Ebenen mehr meinen üblichen Musikgeschmack, aber Something Changed hat es mir einfach angetan.

Renegade Hearts… ist halt ein Track. Ich hab das Album jetzt schon locker zehn Mal gehört und komplett vergessen, dass Renegade Hearts existiert. Ähnlich verhält es sich bei Passenger, an den ich mich aber auch nur erinnere, weil besonders der Chorus in Verbindung mit Banks‘ Stimme und den ungewohnt offensichtlichen, egdy Lyrics schreit: „Ich bin ein trauriger Song, bitte fass mich auch so auf.“

Greenwich ist irgendwie auch nicht viel anders und erinnert mich an eine Demo, die auch auf El Pintor hätte sein können mit den vielen Layers im Gesang, die gerade im finalen Part den Song deutlich verbessern und dem Ganzen eine leicht psychedelische Note geben. Das plötzliche Ende von Greenwich trägt zur (wieder positiven) Verwirrung bei und bietet einen perfekten Start für den nächsten Track.

Gran Hotel hat zwar ein wenig gebraucht, um mir ans Herz zu wachsen, bietet aber eine wundervolle Suche der erzählenden Person nach ihrem Happy Place, verbunden mit viel trauriger Romanze. Zwar sind die Drums hier sehr einfach gestrickt, unterstützen dadurch aber die ausnahmsweise stark in Erscheinung tretenden Gitarren; Kessler bekommt sogar ein kleines Solo. Neu ist auch, dass die Leadgitarre im Verse meistens die Melodie nachspielt, dieser dadurch deutlich mehr Tiefe gibt und etwas von Banks‘ Stimme ablenkt. Der Bass macht rhythmisch nichts Besonderes, spielt im Einklang mit den Drums und bietet manchmal eigene Countermelodien und Fills. In Gran Hotel spielt alles darauf ab, Kessler und den Lyrics beim Scheinen zu helfen und das wird richtig gut umgesetzt.

Big Shot City ist das, was The New auf Interpols Debut war: ein seltsamer Track, der verschiedene Phasen durchläuft und so scheint, als hätten die drei Bandmitglieder einfach Spaß gehabt und alles zusammengeschmissen, was ihnen so einfiel. Ähnlich zu The New gibt es auch hier diese magische Passage, in der die Instrumente alle abgehen und dabei pure Gänsehaut entsteht. Zum ersten Mal auf dem Album packt Kessler hier sein Tremolo-Picking aus, was schon All The Rage Back Home für mich zu einem der besten Interpol Songs gemacht hat. Ich persönlich hätte daher kein Problem damit gehabt, wäre Big Shot City der Closing Track des Albums gewesen.

Go Easy (Palermo) schafft es nämlich nicht, diese Magie aufrechtzuerhalten, sondern wirkt ein bisschen lächerlich durch den Gesang – so sehr, dass ich beim Hören immer etwas darüber lachen muss. Go Easy klingt ein wenig nach einem schlechten Rip-Off von My Blue Supreme vom Album El Pintor; die Melodie im Verse ist teils absolut identisch. Es würde mir absolut nicht auffallen, wäre dieser Song eine B-Side davon.

The Other Side Of Make-Believe startet schwach, endet noch schwächer und kann sich nur für zwei, drei Songs wirklich aufbäumen. So gut ich auch einige Songs finde, sie bringen nicht dasselbe Gewicht mit wie andere Interpol Tracks. Das neue Album macht vieles richtig, experimentiert auch ordentlich rum, schafft es dabei aber nicht wirklich, Dinge zu perfektionieren. Es ist nicht so energetisch wie The Heinrich Maneuver, nicht so emotional wie A Time to Be So Small, nicht so interessant wie The New. Für jeden Mood, der die auf diesem Album existiert, hat Interpol schon einen passenderen Song geschrieben. Zugutehalten muss man The Other Side Of Make-Believe jedoch, dass einige der Experimente ganz gut gelungen sind und Paul Banks sich offensichtlich mittlerweile endlich am Bass und Daniel Kessler am Piano eingefunden haben. Auch kann Sam Fogarino mit seinen 56 Jahren noch immer konstant an den Drums überzeugen und er ist auch der Letzte, dem man für dieses Album etwas vorwerfen kann.

Ich liebe diese Band und es tut mir wirklich weh, so darüber zu schreiben, aber ich denke nicht, dass ich mir The Other Side Of Make-Believe in der nahen Zukunft nochmal ganz anhören werde, da ich mich für diese Review schon teilweise durchquälen musste (was hauptsächlich an Fables lag).