„A story is only as good as it’s villain“, schreibt Christopher Vogler in The Writer’s Journey. Und warum auch nicht? Jeder noch so kühne Held braucht einen Bösewicht, der ihn herausfordert, ihn in die Ecke drängt und ihn zwingt, sich zu beweisen. Doch manche Bösewichte wachsen über diese Funktion hinaus: sie bekommen eigene Handlungsstränge, Konflikte, Herausforderungen und avanchieren dadurch zu Anti-Helden. Sie kämpfen noch immer für ihre eigenen Interessen – aber man versteht warum und gerät selbst in einen moralischen Konflikt! Die Antihelden-Geschichte tritt in Konkurrenz zu der, des eigentlichen Helden –  und manchmal überwiegt sie sogar. Das sind die Momente, in denen das Böse greifbar und weniger ein Hindernis für das Gute, als eine eigenständige, packende Macht ist!

Aber rote Kontaktlinsen machen noch keinen Villain aus einem glitzernden Teenager und brutal ist nicht gleich genial. Hier kommt nun eine Sammlung von Bösewichten, die es geschafft haben: Ihre Storys und Persönlichkeiten sind so packend, dass sie die der Helden einfach in den Schatten stellen. Es soll aber kein Ranking werden wie man es aus dem Gaming-Bereich kennt. Was hier folgt, ist ein recht bunter Haufen sehr unterschielicher Charaktere – beispielhaft für viele andere gute Schurken – und das aus sehr verschiedenen Medien… wobei das beste natürlich zum Schluss kommt! Aber das Böse lauert ja bekanntlich überall…

Severus Snape – Ambivalent bis zum Ende

Harry Potter von J.K. Rowling hat die Generation der frühen 90er geprägt wie kein zweites Buch. Die Bücher, die Filme – man konnte beides mögen oder nur eins von beidem – aber entziehen konnte man sich nicht! Harry, der Auserwählte, war der Archetyp eines Helden… und doch gab es auf seiner gegnerischen Seite Charaktere, die ihm gerne mal die Show stahlen.

There will be no foolish wand-waving or silly incantations in this class.

Snape ist einer dieser erhabenen bösen Charaktere, die immer ein Stückchen mehr über den Helden zu wissen scheinen, als der Zuschauer oder Leser. In den Filmen portraitiert ihn Schauspieler Alan Rickman mit kaltem Zynismus und vernichtenden Blicken als einen beständigen Gegenspieler Harrys. Rickman schafft es, im Film diese Snape-Aura zu erzeugen, eine Mischung aus Eleganz und Kontrolliertheit, unter der Hass und Verbitterung brodeln. Gleich sein erster Auftritt im Stein der Weisen zeigt das in vollem Ausmaß… Aber kann man ihn seit dem 7. Teil noch als Villain sehen? Gerade diese Frage macht ihn zu einem genialen Bösewicht. Wie sagt schon Vogler:

Shadows need not to be total evil or wicked. In fact, it’s better if they are humanized by a touch of goodness, or by some admirable quality.

Beides Trifft auf Snape zu. Er besitzt Voglers touch of goodness. Obwohl Harry sieben Bände lang immer sofort mit dem Finger auf Snape zeigt, wenn jemand fragt: „Wer ist Schuld daran?“, erhält man schon vor dem 7. Teil zahlreiche Hinweise auf seine ware Beziehung zu Harry.

Dem entgegen steht Snapes Aura, die mehr als nur die Maske eines Doppelagenten ist, weil er sie dafür einfach zu gerne trägt: Die, des zynischen, scharfsinnigen und nicht unbedingt wohlmeinenden Zaubertränke-Meisters! Richtet sich sein Hass nun gegen James Potter, Lord Voldemort oder sich selbst, Snape bleibt ein zerrissener Charakter, der trotzdem den Schein der Beherrschung wahren kann, wo andere schon lange wahnsinnig geworden sind!

Darth Vader  – die dunkle Seite der Macht

Darth Vader ist der nächste im Bunde. Natürlich ist hier die Rede vom dunklen Sith-Lord aus den alten Krieg der Sterne-Teilen, nicht von Anakin Skywalker! Er muss ja quasi in dieser Sammlung auftauchen, denn sicher kann niemand bestreiten, dass er dem Helden immer und immer wieder die Show stielt! Luke… dieser brave Junge und typisch unerfahrene Held, wie soll man ihn denn ernst nehmen neben Vader?
Aber was macht diesen Mann-mit-der-Maske so besonders? Er kann mit der Macht seine Feinde erwürgen, hat ein cooles rotes Lichtschwert und einen wallenden schwarzen Umhang! Dazu kommt sein alles verzehrender Zorn und eine unglaublich tolle Villain Stimme!

You have controlled your fear. Now, release your anger. Only your hatred can destroy me!

Wie Snape ist auch er ein zerrissener Charakter. Sein Zorn hat ihn an die Seite des Imperators gebracht, sein Sohn steht ihm auf der anderen Seite gegenüber und glaubt an das Gute in ihm… ein inzwischen etwas abgenutzter aber doch unvergesslicher Konflikt!

Darth Vader strahlt Macht aus, wann immer er den Raum betritt, schon allein weil er immer mindestens einen Kopf größer ist, als alle anderen. Zwischen den tausenden weißen Sturmtrupplern ist er der Kommandant in Schwarz – und wer nicht pariert, wird mit der Macht erwürgt. Hinzu kommt, dass man sein Gesicht nicht kennt, man kann ihm nicht in die Augen sehen und ihn daher unmöglich einschätzen. Da man in den alten Teilen auch nicht erfährt, wie er zu seiner Maske gekommen ist, bleibt Vader ein durch und durch rätselhafter, mächtiger Antagonist! Es ist wohl weniger sein Sinneswandel – also sein touch of goodness – auf dem Sterbebett als seine dunkle Energie (admirable quality), die bis heute fasziniert. Wer wäre nicht lieber bei Vader als Sith in die Lehre gegangen, anstatt irgendwas mit Medien zu studieren…

Zuko – und diese verflixte Sache mit der Ehre

Trivia:
Zuko stammt aus der Anime-Serie „Avatar – The Last Airbender“ und ist ein wirklich faszinierender Charakter, auch wenn er wahrscheinlich weniger bekannt ist. 2010 wurde die Serie verfilmt, und wohl kein Charakter so schlecht getroffen wie Zuko. Daher: Wenn ihr den Film gesehen habt, vergesst einfach alles was ihr über Zuko zu wissen glaubt und schaut die Serie!

Zuko ist der in Ungnade gefallene Sohn des Feuerlords Ozai. Er wurde mit 13 Jahren von seinem Vater verbannt und erhielt als „Abschiedsgeschenk“ noch die Brandnarbe, die seine linke Gesichtshälfte ziehrt. Die Serie setzt ein, als Zuko 16 ist und es sich zum Ziel gemacht hat, den Avatar zu fangen, um seine Ehre wieder herzustellen.

Schon von Anfang an erhält Zuko einen eigenen Handlungsstrang in der Serie, wodurch man sein zorniges Treiben zunächst mitverfolgen und bald auch verstehen kann. Er ist auf der falschen Seite geboren worden, doch ist Familie keine Zuflucht für ihn: Schwester Azula ist mächtiger als er und war immer Daddys Liebling, Vater Ozai… ist wirklich ein Prachtkerl und Mutter Ursa verschwand, als Suko 13 war. Bleibt nur noch Onkel Iroh.

Zuko ist der einzige in der Serie, der wirklich sehr viel gewinnen oder verlieren kann – und dem man das auch anmerkt. Die drei Protagonisten Aang, Katara und Sokka wirken neben ihm eher wie drei kleine Pfadfinder, die die Welt retten wollen.

Suko ist der Antagonist, der irgendwann zum Antiheld und schließlich sogar zum Held wird. Seine Welt wird dem Zuschauer nicht vorenthalten, man kennt seine Ängste, seine Wünsche – und kann gar nicht anders, als mitzufiebern. Drei Staffeln lang kann man beobachten, wie er vom rastlosen Avatarjäger zum klugen, mächtigen Feuerbändiger wird und sich schließlich gegen seinen eigenen Vater stellt. Er erreicht sein Ziel – seine Ehre – auf völlig andere Weise, als geplant, aber trotz seiner Wandlung zum Guten gibt es nicht eine Sekunde, in der man nicht auf seiner Seite steht.

Sephiroth! The One-Whinged Angel

There was one Soldier named Sephiroth, who was better than the rest, but when he found out about the terrible experiments that made him, he began to hate Shinra. And then, over time, he began to hate everything.

Trivia:
Sephiroth-crisiscoreSephiroth stammt aus dem Play Station-Spiel „Final Fantasy VII“ (1997) von Square Enix. Sein Name leitet sich vom Lebensbaum in der jüdischen Kabala ab.
Herkunft: unbekannt.
Waffe: Masamune (ein überlanges Katana).
Motivation: möchte die Welt reinigen und dafür müssen leider alle Menschen sterben.
Besonderheiten: Hat einen schwarzen Flügel und ist Linkshänder.

Eigentlich ist dieser Platz schon vorreseviert, denn um welches Game-Villain-Ranking es sich auch handelt, Sephiroth taucht darin auf. Und in diesem Fall kann man sich nicht einfach hipstermäßig über die Tradition hinweg setzen, denn er verdient diesen Platz zu Recht!

Schon allein der Versuch zu beschreiben, was Sephiroth ausmacht, muss dem Kenner des Spiels einen Schauer über den Rücken jagen. Sieht man ihn als normalen Schurken oder Villain, hat man nichts verstanden! Sephiroth ist nicht normal, schon allein, weil er kein normaler Mensch ist. Er ist klüger als jeder normale Sterbliche, stärker und erbarmungsloser. Also ist seine logische Schlussfolgerung, dass er dazu auserwählt ist, die Welt zu beherrschen. Er sieht sich als Erlöser des Planeten, der ihn von seinen Parasiten – den Menschen – befreit.

Sephiroth ist das Böse in einer anderen Dimmension – gebieterisch, zerstörerisch, kompromisslos. Für die meisten Spieler dürfte er sehr eng mit seinem Theme „The One Winged Angel“ von Meister-Komponist Nobuo Uematsu verbunden sein.

Estuans interius,  ira vehementi  (innerlich brennend, voll unbändigem Zorn)

Mit seinen hohen Geigen-Glissandi erinnert „The One-Winged Angel“ an die Melodien zahlreicher Horrorfilme und tatsächlich soll es genau diesen Effekt auslösen. Sephiroths Thema erklingt nur höchst selten, nämlich genau dann, wenn das Spiel dir sagen will: „Du bist sowas von tot, Cloud!“

Im Spiel ist Sephiroths zerstörerische Aura allgegenwärtig, auch wenn er selbst nur in unglaublich perfekt abgestimmten Dosen auftritt. Alles Leid, das Cloud und seinen Freunden im Spiel widerfährt, lässt sich auf ihn zurückverfolgen; er ist kein normaler Antagonist sondern eine Heimsuchung! Ein Shadow, in jedem Sinn dieses Wortes. Und während man versucht, das Geschehene zu erfassen, vergisst man solche Banalitäten einfach:

Ein anonymer Spieler *hust*: „Ich bin so oft an dieser Schlange draufgegangen und er… und wir wollen allen ernstes Sephiroth töten? Sollten wir ihm nicht eher huldigen, bevor es zu spät ist?“

Das man solche kleinen Sidekicks wie die Schlange und die beifällige Ermordung von Tifas Vater einfach vergisst, hat einen Grund und dieser Grund hat einen Namen: Aeris. (Was genau passiert, könnt ihr in diesem Dispositiv-Artikel nachlesen).

Gleichzeitig ist es das erste Leid, das Sephiroth Cloud absichtlich zufügt und soll beim Spieler einen maßlosen Hass gegen ihn schüren. Auch die Mitglieder der Firma Shinra, die Sephiroth ursprünglich in einem Genexperiment mit Jenova-Zellen erschaffen haben, wollen ihn vernichten, Cloud will ihn vernichten – und gleichzeitig kann niemand etwas gegen sein Handeln unternehmen – das ist Sephiroths admirable quality.

Oder eine davon… man sollte nicht seinen Kampfstil und seine unglaubliche Stimme vergessen (Japanisch vs. Englisch, beide sind unglaublich gut!).

Sephiroth ist der Villain, der am Ende besiegt werden muss, weil eine Wendung zum Guten bei ihm undenkbar ist. Doch auch sein Tod zerstört seine Macht nicht:

Defeating me is meaningless. You know that more than anyone, Cloud. No matter how many times I fall, your darkness keeps calling me back!

Einen touch of goodness sucht man bei Sephiroth vergeblich. FF7 – Crisis Core versuchte, ihn von der freundlichen Seite zu zeigen, aber das schmälert sein Potential erheblich. Das einzige Wesen, das Sephiroth neben sich selbst etwas bedeutet, ist seine Mutter Jenova, als deren Vermächtnis er sich sieht.

Ob man Sephiroth nun hasst oder huldigt, er ist ein Extrem, das bis heute nicht mehr erreicht worden ist.

admirable quality – entscheidende Eigenschaft des Bösen

Die meisten Bösewichte, die uns bewegen, haben einen weichen Kern, den sie über lange Zeit leugnen. Das stellt sie vor schwere innere Konflikte und nicht selten fiebert man mehrere Teile/Bände lang mit, welche Seite nun gewinnen wird. Eine düstere Persönlichkeit, meist gebildet durch leidenschaftlichen Hass, ist selbstverständlich auch wichtig.
Charaktere wie Sephiroth sind nur für sehr wenige Geschichten geeignet, für sehr, sehr düstere Geschichten um genau zu sein, denn wie könnte so ein (all-)mächtiger Villain ohne große Opfer besiegt werden? Dass ein Böser am Ende zum Guten wird, kennt man dagegen aus fast jedem dritten Film – um so bemerkenswertester ist es da, wenn einen der Wandel dann doch wieder überrascht oder sogar begeistert!

Ob man nun an den Villains ihren touch of goodness oder lieber ihre admirable quality bewundert, bleibt jedem selbst überlassen. In meinem Fall ist es Letzteres, denn die Persönlichkeit des Bösewichts ist es am Ende, die ihn vom Held unterscheidet.