In nunmehr zwei Büchern schreibt die Amerikanerin Zoe Ferraris auf ungewöhnliche Weise über den Islam in Saudiarabiens konstervativstem Staat Dschidda und weckt dabei die Erkenntnis, dass wir eigentlich viel zu wenig wissen, um uns eine Meinung bilden zu können. Grund genug sich sie und ihre Art über eine völlig fremde Kultur zu sprechen einmal genauer an zu sehen.
Bücher über den Islam und die Herausforderung darin zu leben, insbesondere als Fremder, hat es gegeben und gibt es. Oder womöglich sollte man sagen, Bücher die sich mit dem Leben in Ländern, die vom Islam geprägt sind befassen. So zeichnet Betty Mahmoody in „Nicht ohne meine Tochter“ ein äußerst krasses Bild einer Gesellschaft, in der das Wort des Mannes, selbst eines psychisch so labilen, alles und das Wort einer Frau so gut wie nichts gilt. Dass ihr Mann geistig nicht ganz zurechnungsfähig ist und deshalb handelt wie er handelt, die Frau in den Iran lockt, schlägt, einsperrt und ihr die Tochter nimmt, kann nur wenig darüber hinwegtäuschen, dass es die Gesellschaft ist, die sein Verhalten deckt und teilweise sogar unterstützt.
Ein Gegengewicht stellt vielleicht Khaled Hosseni dar, dessen beide Bücher „Kide runner“ und „thousand splendid suns“ wirkungsvoll zweierlei demonstrieren: Zum einen gibt es eine klare Abgrenzung zwischen der Welt der Männer, die er in „Kide runner“ darstellt, und die der Frauen wie sie in „thousand splending suns“ gezeigt wird. Dass Frauen dabei dem Mann unterstehen, steht außer Frage, und zunächst einmal wird dem Leser offen gelassen, was er davon zu halten hat. Das tatsächliche Leid jedoch, wie es auch Mahmoody beschreibt, so stellt Hosseni wirkungsvoll dar, beginnt erst mit dem Extrematismus, in diesem Fall mit der Herrschaft der Thaliban in Afghanistan und auch in Mahmoodys Fall ist der Fanatismus einer einzelnen Partei die im Land das sagen hat ein Grund, warum es ihr fast unmöglich gemacht wird sich aus ihrer Höllenehe zu befreien. Es scheint also darauf hinaus zu laufen, dass nicht der Islam oder die islamische Gesellschaft das Leben im allgemeinen und für Frauen im besonderen erschweren, sondern vielmehr der Fanatismus, der vom Staat vorgetragen und von der Gesellschaft mal mehr, mal weniger bereitwillig getragen wird. Diesen Umstand so deutlich heraus zu arbeiten scheint wichtig, ist er doch den meisten Europäern, einschließlich meiner Wenigkeit, nur am Rande bewusst, während aber das was wir vom islamistischen Tun und Treiben mitbekommen einschneidend unser Bild vom Islam, seiner Anhänger und der Länder in denen er praktiziert wird prägt – nicht unbedingt in die positive Richtung, möchte man meinen.
Vor dieser Ausgangslage tritt nun Zoe Ferraris auf, die scheinbar die besten Voraussetzungen in sich vereint, um objektiv über den Islam zu sprechen, hat sie doch eine enge Verbindung zum wohl gläubigsten Staat der islamischen Welt, Dschidda, ist aber zugleich Amerikanerin. Somit ist sie also mit dem aufgewachsen, was strenggläubige Moslems wohl als Feindbild schlechthin sehen würden und zugleich zutiefst vertraut mit einer Kultur, die der ihren im besten Fall nur skeptisch gegenüberstehen. Nach einer glücklosen Ehe in Dschidda, oder auch Jiddah, kehrt sie in die USA zurück, behält aber ihr vertrautes Verhältnis zu der tief religiösen Hafenstadt, die eine der wichtigsten Zentren Saudiarabiens ist, nicht nur in religiöser, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Anstatt nun aber für ihre Bücher eine autobiographische Sicht zu wählen oder einen einfühlsamen Roman zu schreiben, der das Leben der Frau im Islam wiedergibt, nutzt sie den wohl überraschendsten Weg und schreibt zwei Kriminalgeschichten, die beide in der Wüste und den staubigen Straßen Dschiddas stattfinden, die beide den Balanceakt halten, den Islam wie er in Dschidda praktiziert wird urteilslos zu beschreiben und nur an den entscheidenden Stellen Kritik zu üben, die aber nie beleidigend wird.
Das besondere an den Büchern, neben dem Thema, ist jedoch vielmehr der Umstand, dass hier nicht nur eine Frau oder ein Mann, wie bei Hosseni und Mahmoody, das Zentrum darstellen. Stattdessen stellen die Romane, neben der Kriminalgeschichte die den Kern der Erzählung bildet, auch einfühlsam die komplizierte Beziehung zwischen einer modern denkenden Frau und einem traditionellen und frommen Mann dar. Beide Charaktere sind gläubige Moslems und beide Charaktere werden auf unterschiedliche Weise mit dem eigenen Glauben konfrontiert: Die Frau, Katya, eine Pathologin die einen Doktor in Chemie hat, einerseits ist vor die Herausforderung gestellt ihren gesunden Ehrgeiz und ihren Drang nach Unabhängigkeit und Bestätigung im Beruf den Gesetzen Dschiddas, die Frauen nicht einmal den Spielraum lassen allein auf der Straße unterwegs zu sein und den Wünschen ihres Vaters an zu passen. Der Mann, Nayir, ist Wüstenführer, streng gläubig und nur wenn er in der Wüste unterwegs ist wirklich seiner selbst sicher, ähnlich wie ein Matrose, der zu schwanken anfängt, sobald er festen Boden unter den Füßen hat. Er ist kein Fanatiker, zieht jedoch einen Großteil seiner Selbstbestätigung aus dem unbedingten Glauben an den Koran, was auch bedeutet jede Silbe fraglos an zu nehmen, denn der Koran ist Allahs Wort und somit unumstößlich. Gerade aber dieses Edikt der Unreflektiertheit macht ihm mehr und mehr zu schaffen, insbesondere durch den Kontakt zu Katya und ohne es zu wollen beginnt er doch zu hinterfragen.
Was die Kriminalgeschichten selbst angeht, so dienen sie dann letztendlich eben doch der leisen Kritik, denn sie befassen sich, sowohl in Teil eins „looking for Nouf“ (deutsche Ausgabe: Die letzte Sure) wie auch in dem kürzlich erschienenen „city of veils“ (Totenverse) mit den Problemen, vor die Frauen im Islam allgemein und in Dschidda im Besonderen gestellt werden und was geschieht, wenn sie diese nicht mehr meistern können.
Während aber Teil eins, „looking for Nouf“ hierbei noch sehr dezent vorgeht und die Geschehnisse um die tot aufgefundene Millionärstochter Nouf zum einen eher dienen Dschidda, die Wüste und die Menschen die darin und darum herum leben zu etablieren, zum anderen vieles eher mit den engmaschigen Regeln einer Upperclass, die es vorzieht unter sich zu bleiben, als mit den Einschränkungen durch Religion und Staat zu erklären ist, geht „City of veils“ schon eher in die vollen.
Nach wie vor wird der Islam als solcher und seine, in Dschidda extrem praktizierte, Ausübung mit Respekt behandelt, gerade weil den Protagonisten, bei aller Frömmigkeit, berechtigte Zweifel kommen und man darin erkennt das auch strenggläubige Moslems keine blinden Schafe sind. Doch viel mehr als in Teil eins wird hier die stark eingeschränkte Rolle der Frau vorgeführt und die Ungerechtigkeit des Systems verdeutlicht.Dies geschieht nicht einmal dadurch, dass erzählt wird wie eine Frau entlassen wird, weil sie vortäuschte verheiratet zu sein. Nein, an diese doch leicht absurd scheinenden Regeln ist man noch aus Teil eins gewohnt. Was schwerer wiegt ist die Einführung einer neuen Perspektive.
Dschidda, das muss wohl an dieser Stelle erwähnt werden, ist stark von Amerikanern frequentiert, die zu größten Teilen in eigenen Anlagen leben und von er Bevölkerung mehr als misstrauisch begutachtet werden. Während diese aber in Teil eins nur am Rande relevant waren, wird in „City of veils“ erstmals aus der Perspektive einer Amerikanerin gesprochen, die mit ihrem, ebenfalls amerikanischen, Mann nach Dschidda kam. Während er sich rasch in Land und Leute verliebte, fällt ihr die Assimilierung mehr als schwer und der Grund ist einfach erklärt: Während Dschidda für Männer das Paradies sein kann, sie die Exotik voll und ganz genießen und einfach auf Grund ihres Geschlechts zu Herren werden, muss eine selbstständige und unabhängige Frau sich daran gewöhnen von Kopf bis Fuß verschleiert zu sein, das Haus nicht mehr verlassen zu dürfen und am Flughafen, wenn ihr Mann nicht sofort da ist, in den Raum für „nicht abgeholte Frauen“ gesperrt zu werden wie ein besseres Gepäckstück.
Wie immer um Ausgleich bemüht, zeigt Ferraris als Gegengewicht einen Kommissar aus Dschidda, der seiner Frau Freiheit zugestand, dann merken muss das er mit der Freiheit die sie sich nimmt nicht zu Recht kommt und doch traditioneller ist, als er glaubt. Allein seine darauf folgende Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Einstellung zu der Kultur, in der er lebt, verleiht dem Buch eine unerwartete Tiefe.
Die Darstellung einer Gesellschaf,t die uns so unvertraut ist, wie wir sie andererseits auch mit Vorurteilen belegen, gelingt Ferraris nicht nur durch die Ausgeglichenheit, in der sie Dschidda aus zwei Richtungen beleuchtet, das was es ist und das was man daran bemängeln kann, sondern auch indem sie wirkungsvoll zwei Kulturen, die westliche und die islamische, aufeinander treffen lässt.
Denn so mittelalterlich das gezeigte Dschidda, insbesondere in Teil eins, erscheint, der Eindruck wird immer wieder gebrochen durch die Einbindung höchst westlicher Technologien, sei es ein jet ski mit dem sich die reiche Tochter von der Familie abseilt oder sei es ein in den Nequab (der Ganzkörperschleier) eingewebter Bluetooth mit dem Frauen ihr Bild auf Handys senden – tatsächlich ein beliebtes Flirtmittel im konservativen Dschidda, die uns gerade weil sie so modern scheint fast lächerlich vorkommt.
Insbesondere in „city of veils“ spielt auch das Medium „Fernsehen und Film“ eine große Rolle. Es wird demonstriert, wie der Staat über das Fernsehen manipuliert und wie andererseits mit eben demselben Mittel dagegen rebelliert wird – ausgerechnet von einer Frau. Das Ergebnis ist ein scheinbar verloren gegangener Chip, der der Geschichte, im Gegensatz zum stark orientalischen Grundtenor von Teil eins, fast schon den Anschein einer echt-amerikanischen Krimiserie gibt. Wie man diesen Umstand zu bewerten hat, bleibt dem Leser offen gelassen, mit persönlich gefiel der orientalische Touch von Teil eins besser.
Doch ob nun Teil eins oder Teil zwei besser ist, spielt wohl nur am Rande eine Rolle, relevant in erster Linie ist der Umstand, das hier eine Gesellschaft dargestellt wird als das was sie ist: Nicht perfekt und sicher verbesserungswürdig, aber in jedem Fall ganz anders als wir sie uns vorstellen und vielleicht eben deshalb sollte jeder, der sich ein Urteil über die, in unserer Zeit doch sehr relevante, islamische Welt ein Urteil bilden möchte und zugleich gut unterhalten werden will, die Bücher von Zoe Ferraris lesen.
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