L’Après-midi d’un foehn © Jean-Luc Beaujault

Akt 1: Ein vielversprechender Start

Am 27. Oktober ging das Internationale Figurentheaterfestival Wunder. zuende. Gemeinsam mit meiner Fachgruppe, der Theaterwissenschaft der Uni Bayreuth, bin ich vom 25.- 27. Oktober zu den letzen Festivaltagen gefahren. Drei Tage haben wir uns intensiv mit Theater auseinandergesetzt und in dieser Zeit sieben verschiedene Inszenierungen gesehen, die sich mit den verschiedensten Thematiken auseinandergesetzt haben. Verbunden hat die Stücke, dass sie alle auf unterschiedlichste Weise mit Puppen- und Figurentheater zu tun hatten.

Le banc (Die Bank)

Das erste Stück, das wir besucht haben, war “Le banc” von der Compagnie L’Aurore.

Auf einer unscheinbaren Parkbank an der Münchener Uni treffen sich zwei Männer. Begleitet durch das belebte Treiben der Stadt können die Zuschauenden beobachten, wie sich Hände suchen und Körper finden.

Zunächst kreuzen sich nur die Blicke. Die Hände der beiden scheinen ein Eigenleben entwickelt zu haben und trauen sich offensiv auf die jeweils andere Hand zuzugehen. So kommen sich die Männer schnell näher. Während im Hintergrund die Kirchenglocken läuten genießen die beiden Schauspielenden die körperliche Nähe des anderen. Als Zuschauerin habe ich mich in einem Limbo zwischen der Faszination des Spiels und dem Gefühl, einen privaten Moment zu stören, befunden. Mit gekonnten Handgriffen bastelten sie eine Puppe aus ihren Klamotten und genossen zu dritt die herbstliche Stimmung. Immer wieder liefen Passanten durch die Szene und schauten sich verwirrt um. Hinzu kam der Lärm der Stadt, welcher die Intimität der Inszenierung aufgebrochen hat. Die beiden Spieler haben uns als Publikum mit auf eine Reise durch Freundschaft, Liebe und Beziehungen genommen.

Fünf Exponate

Das KMZ-Kollektiv präsentiert ihre zweite Produktion „Fünf Exponate“. Über die Materialien Kartoffeln und Gips drücken sie ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche an die Aufarbeitung des Kolonialismus und die europäischen Museen aus. Ausgangspunkt ist hierbei die Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin und die Frage danach, welche Geschichten durch Humboldt in den Hintergrund gerückt und nicht erzählt werden. In der Inszenierung werden die Biografien der Spielenden, Musik, Video und Projektionen miteinander verbunden, um genau diesen Fragen nachzugehen und die eingepflanzten Denkmuster zu dekodieren. In Erinnerung geblieben ist mir insbesondere das Bild, in welchem die Performerin Laia Ribera Canenguez den Berg Chimborazo besteigt. Einen Sicherheitsgurt tragend steht sie in der Mitte der Bühne auf einem Hocker und erzählt von der Tradition, eine Verbindung mit der Erde zu suchen. Im Hintergrund wiegt der Performer Antonio Cerezo seine Kollegin in Kartoffeln auf, so lange, bis sie den Boden unter den Füßen verliert und zu schweben bedingt. Immer wieder nehmen die Performer*innen verschiedene Figuren ein und bringen so dem Publikum auf abwechslungsreiche Weise ihr persönlichen Gedanken, den aktuellen Forschungsstand und bestehende Herausforderungen näher.  

Im Anschluss der Aufführung gibt es ein Nachgespräch mit den Mitgliedern des Kollektivs. Hier haben sie viel über die Erarbeitung der Inszenierung erzählt. Unter anderem, dass der Performerin und Musikerin Yahima Piedra Cordova die europäische Klassik als „richtige“ Weise der Musik beigebracht wurde und sie, in “fünf Exponate”, durch die Fusion Kubanischer und Klassischer Musik ihre Identität ein Stück weit zurückerlangt.

Akt 2: Ein spontanes Highlight

Am zweiten Tag der Exkursion haben wir an diesem Tag drei Stücke gesehen. In den Tag haben wir mit einer Nachbesprechung von “Le banc” und “Fünf Exponate” gestartet, bevor wir von einem Aufführungsort zum nächsten gefahren sind. 

L’Après-midi d’un foehn (Ein Nachmittag im Föhnwind)

Relativ spontan haben wir uns entschieden das Stück „Ein Nachmittag im Föhnwind“ von der Companie Cie Non Nova anzuschauen. Die Programmbeschreibung sagt „Tanz der Plastiktüten zu Debussys Ballettmusik“, und genau darum geht es auch. Zunächst bastelt die Performerin eine Figur aus zwei bunten Plastiktüten, dann schaltet sie nach und nach die in einem Kreis aufgestellten Ventilatoren an. Das Plastiktütenmännchen fliegt hoch. Durch zwei Gewichte, die an den „Füßen“ der Figuren befestigt sind, sinken diese langsam wieder zum Boden. Nach und nach wirft die Performerin immer mehr Plastiktütenmännchen in den Kreis. Durch das Verstellen der Geschwindigkeit der Ventilatoren kommen die verschiedensten Konstellationen zustande. Mal treffen sich zwei Tüten für ein Duett, mal fliegen alle wild durcheinander und ein anderes mal versammeln sie sich alle um eine einzelne Tüte. Während in der Mitte die Plastiktütenmännchen ihr Ballett aufführen, tanzen sie ebenfalls als Schatten hinter dem Publikum an der Wand. Auch die Performerin steigt in das Ballett mit ein, sie manipuliert die Luftströme so, dass die Plastiktütenmännchen für sie tanzen und ihren Bewegungen folgen. Den Höhepunkt erreicht das Stück, als sie plötzlich eine Schere rausholt und die Figuren in der Luft aufschneidet und abstürzen lässt. Das Stück endet mit dem Bild von Plastiktüten, die zerfetzt auf der Bühne verteilt liegen. Das kurze Ballett der Plastiktüten hat uns allen sehr gut gefallen und auf dem Weg zum nächsten Stück haben wir viel über das Stück geredet. 

Carte Blanche

Eine weiße Bühne, verteilt sind verschiedene Leinwände und Malutensilien zu sehen. Die Performerin und Macherin des Stücks Michal Svironi tritt auf, sie trägt ebenfalls eine Leinwand. Nach und nach führt sie uns durch verschiedene Zeiten ihres Lebens, wobei alles, was sie uns erzählt in irgendeiner Weise mit ihrer Familie zu tun hat. Im Verlauf des Stückes nimmt auch die weiße Bühne immer mehr Farbe an, da ihre Erzählungen stehts durch gemalte Bilder ihrerseits begleitet werden. Im Spiel wird Svironis Hintergrund aus der Malerei deutlich. Sie thematisiert auch ihre Clownerie Ausbildung, welche ebenfalls in ihrem Spiel zu erkennen ist. Sie tritt sehr energetisch und aufgeweckt auf. Während des ganzen Stück spielt sie mit der Differenz zwischen Fakt und Fiktion. So beerdigt sie in einer Szene ihre Eltern, nur im Applaus zu erzählen, dass sie oft ihre Mutter anruft und ihr erzählt, was für Nachrichten ihr die Zuschauenden hinterlassen. 

In kurzer Zeit nimmt Svironi das Publikum durch die wichtigsten Teile ihres Lebensmit, und erschafft eindrucksvolle Bilder. Ich hätte mir gewünscht, dass diese länger stehen bleiben und ich sie in Stille auf mich wirken lassen kann. Dennoch insgesamt eine interessante Theatermacherin und eine schöne Performance.

Untitled document

Das letzte Stück des Tages war „Untitled document“. Der Performer Ari Teperberg arbeitet mit einem simplen Bühnenaufbau: Ein Stuhl, ein Tisch und sein Laptop. Als das Publikum reinkommt, sitzt er bereits auf der Bühne. Er begrüßt das Publikum, indem er seine Begrüßung tippt. Durch eine Projektion eines leeren Google Doc. kann das Publikum ihm folgen. Das ist der gesamte Aufbau des Stücks. Über 75 Minuten tippt Ari Teperberg seine Gedanken und die Zuschauenden können diese mitlesen. Auch bei ihm geht es um seine Familie, zumindest teilweise, zeitweise schreibt er auch über die Erfindung des Telefons und die Möglichkeit von diesem und über die Stimme. Die Stille des Stücks hat mich dazu gebracht, meine Aufmerksamkeit auf die verschiedensten Dinge zu lenken. So konnte ich zum Beispiel die Scheinwerfer an der Decke rauschen hören. Dennoch fehlte dem Stück meiner Meinung nach etwas. Es fiel mir schwer ab einem gewissen Punkt aufmerksam zu sein. Wo Carte Blanche zu wenig Stille und Ruhe hatte, hatte Untitled document zu viel Ruhe und zu wenig Schnelligkeit.

Akt 3: Ein enttäuschender Abschluss

An Tag drei haben wir zwei weitere Inszenierungen gesehen. Die erste Inszenierung gehört dabei nicht zum Wunder. Festival Programm, sondern ist eine Produktion der Münchner Kammerspiele. Außerdem haben wir uns den letzten Programmpunkt des Festivals angesehen.

Mia san Mia

Der Titel des Stücks verrät bereits, womit sich die Inszenierung beschäftigt. Auf einem fernen Planeten befindet sich ein bayerisches Dorf, welches sich durch Tourismus am Leben hält. Während des Stücks besuchen zwei argentinische Touristen den Planeten, da die Ehefrau die Asche ihrer Großmutter auf bayerischem Boden verstreuen möchte. Ebenfalls landet ein Inspektor auf dem Planeten, welcher einen Bericht schreiben soll, der die Räumung des Planeten veranlasst. Das Stück durchläuft die verschiedenen klassisch-bayrischen Traditionen, den Tanz um den Maibaum und natürlich eine Abwandlung des Oktoberfestes. Auffallend häufig ist Inzest ein Thema, das das Stück aufgreift.  Aus mir unerfindlichen Gründen erschießt der Inspektor zum Ende den Argentinischen Ehemann, weshalb er den Planeten nicht mehr verlassen kann.

Das Stück gibt vor, die bayerischen Traditionen kritisch unter die Lupe nehmen zu wollen. Allerdings kratzt es nur an der Oberfläche und stellt lediglich das da, was allen bereits bewusst ist. Auch ist das Ende sehr unbefriedigend, da das Dorf genauso weiter existiert und sich nichts verändert. Die Applausmusik, „Shake it off“ von Taylor Swift, insbesondere die Zeile „Haters gonna hate“, fast das Ziel, das das Stück anscheinend verfolgt, gut zusammen.

Der Reigen

Aufgrund der Beschreibung, sich mit dem Tod und Totentänzen und Ritualen zu beschäftigen, hatte ich mich sehr auf dieses Stück gefreut. Auch der Anfang des Stücks war vielversprechend. An einem alten Fahrradreifen befestigt drehten sich, wie bei einem Mobile, verschiedene Figuren, die mit dem Tod zu tun haben. Drei Tänzer*innen treten auf und vollführen eine Art Ritualtanz um das Mobile herum. Begleitet wird das gesamte Stück von Live Musik. Nachdem die Tänzer*innen fertig getanzt haben, setzen sie sich in den Hintergrund und zwei Puppenspieler treten auf. Nachdem diese ihre Szene gespielt haben treten wieder die Tänzer*innen auf. Alle drei Gewerke waren schön anzuschauen, dennoch hat es mir an Verbindungen und einem roten Faden gefehlt. Nur an wenigen Stellen haben Tanz, Puppenspiel und Musik miteinander interagiert. Ein Beispiel wäre kurz vor Schluss, wo alle gemeinsam gesungen haben. Als das Lied zu Ende war, standen alle auf der Bühne und das Licht ging aus, ein schöner Abschluss der Inszenierung, aber stattdessen gab es einen weiteren kurzen Tanz, der das Ende der Inszenierung war.

Insgesamt hatte ich auf der Exkursion zum Figuren- und Puppentheaterfestival viel Spaß und habe eine Menge mitgenommen. Gerade weil es so viele Eindrücke waren, habe ich mich entschlossen, diesen Artikel zu schreiben, um noch einmal über das Gesehene reflektieren zu können. Auch auf der Rückfahrt im Zug wurde wild über die verschiedenen Inszenierungen diskutiert. Hier haben wir uns besonders über die Machart der Stücke, die Bewegungsqualitäten und die Dramaturgie der Stücke unterhalten.