Children – in den Motiven plakativ und durchschaubar; unterstrichen durch die Musik beinahe banal, doch dank der Tänzer großartig und unglaublich ergreifend!
Kaum betritt Louis Lecavalier die Bühne, unterbricht ein Stroboskopeffekt, noch bevor man die Tänzerin erfassen kann, die Beobachtungen. Dazu schallt ein hoher bedrängender Ton aus den Boxen. Hektisch bewegt sich Lecavalier im grellen schwarz-weiß Licht, gebückt auf allen Vieren, durch den Raum. Plötzlich ändert sich die Licht- und Klangsituation. Das Licht wird wärmer, die Person erkennbar, doch der Stroboskopeffekt bleibt.
Aus der Kindheitserinnerung mit hinaus genommen, wird der Effekt nun durch den zweiten Tänzer, der mit einer Kamera in der Hand die Bühne betritt, durch das fotografieren produziert. Die Kamera ist auf Lecavalier gerichtet. Langsam läuft Patrick Lamothe auf sie zu. Fortwährend drückt er den Auslöser. Es scheint, als wäre er ihr Fan, der sie beinahe schon manisch ablichtet. Dabei fällt auf, dass sie wesentlich älter ist als er. Ihr durchtrainierter Körper, die ausgefeilte Haltung und die Körperbeherrschung sprechen jedoch eine andere, jugendliche Sprache. Ist sie jung geblieben oder er nie erwachsen geworden?
Und auch wenn sich Lecavalier im Nachgespräch wundert, warum sich der Choreograf Nigel Chornack für sie entschieden hat, so mag man glauben, dass eine junge zarte Tänzerin, die der Choreograf üblicherweise bevorzugt, diesen Ausdruck, diese Stärke und den Schmerz nicht in dieser Glaubhaftigkeit hätte vermitteln können.
Als die Musik erklingt, steigt Lamothe in den Tanz ein, die Körper bewegen sich synchron im Rhythmus der Liebe. Sie nähern sich an. Verschmelzen. Beide verbeugen sich vor ihrem aus den Boxen erklingenden Publikum. Erleichterung. Das zarte Pflänzlein, das eben noch zu blühen begann, wird brutal aus der Erde gerissen und durch den schrillen Piepton und das kalte Licht zerstört. Kindergeschrei ertönt. Die Liebenden gehen auseinander, kommen zusammen, stoßen sich ab und halten sich fest. Nähe und Distanz, Zuneigung und Abneigung stehen im ständigen Wechsel bis „dance me to the end of love“ erklingt und beide erneut synchron tanzen. Diese Synchronität können sie jedoch im Laufe des Stückes nicht beibehalten.
Nach jedem Bruch fällt es ihnen schwerer mit dem Rhythmus des Partners zu gehen, es fällt ihnen schwerer beieinander zu bleiben, tänzerisch aufeinander einzugehen und das Motiv einzuhalten. Noch funktionieren beide im Alltag, laufen synchron nebeneinander her. Doch sobald das Licht ausgeht, kommt Frustration, Erschöpfung und Wut auf. Die kleinen Machtkämpfe des Alltags werden nun offen ausgetragen. Mit Stöckern gehen sie tänzerisch aufeinander los. Die Fassade des perfekten Ehepaares bröckelt und so fällt ihnen die Bewältigung des gemeinsamen Alltags immer schwerer. Mittendrin die Kinder. Eine Last. Immer wieder unterbricht das Kindergeschrei den Tanz des Paare, wobei nach jedem Bruch ein neues Motiv erklingt: u.a. Leonard Cohens „Dance me to the end of love“, Janis Joplin, Billie Holiday und Auszüge aus Puccinis „Tosca“. Dabei erzählt jeder getanzte Song eine eigene Geschichte aus dem Leben des Paares.
Lecavalier hat gemeinsam mit dem englischen Choreographen Nigel Charnock „Children“ entwickelt. „Children are beautiful, ugly, sweet, annoying, hateful, loving, mad, bad, loud and funny and so is Children“, sagt Nigel Charnock.
Der Höhepunkt des Stückes untermauert dies. Mann und Frau überkippen sich gegenseitig mit Wasser. Das Wasser, Symbol der Ruhe und Stille. Das Wasser – die Auszeit.
Und so wirkt dieser Akt wie eine Befreiung, eine Ernüchterung, ein Erden und Wachrütteln. Es ist ein Moment der Wahrheit, in der ganz klar nur noch er und sie sind. Langsam, beinahe zärtlich behütend, nimmt Patrick Lamothe seine Partnerin hoch und trägt sie hinaus.
Das Publikum war begeistert vom Tanz und von der Energie, die Lecavalier trotz ihres Alters noch immer versprüht. Berührt verbeugt sich die Tänzerin, applaudiert ebenfalls.
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