Vielleicht bin ich hiermit ein bisschen late to the party. Denn so unbekannt ist Paula Hartmann eigentlich nicht mehr. Aber vor ein paar Monaten habe ich ihr kleines Album nie verliebt und andere Gute-Nacht-Geschichten entdeckt und seitdem höre ich nichts anderes mehr. Es ist mir absolut unter die Haut gegangen und wird mit jedem mal hören einfach nicht schlechter. Hier versuche ich zu erklären, warum ich so sehr verliebt bin in nie verliebt.
Paula Hartmann wohnt in Hamburg, wo sie Jura studiert, ist 22 Jahre alt und eigentlich Schauspielerin. Schon mit fünf Jahren stand sie vor der Kamera, hatte aber auch immer den Wunsch, Musik zu machen. Sie schrieb deshalb immer wieder Gedichte und suchte, als sie von Berlin weg- und nach Hamburg umzieht, Kontakt in die Musikszene. Und schon nahm alles seinen Lauf. 2021 kam dann die erste Single nie verliebt, mittlerweile das Titelgebende Lied ihres Debütalbums. Darauf folgten ein paar andere Singles wie Fahr uns nach Hause PT1&2 und Truman Show Boot. Vor einem Jahr, am 8. April, erschien ihr Album mit zehn Songs. Also alles klein, noch sehr am Anfang, alles sehr frisch. Aber 250.000 monatlichen Hörer*innen auf Spotify, was für Newcomer*innen echt viel ist, scheint es zu gefallen. Übrigens: Einen Vertrag mit dem Label Four Music (ja, das ist das Label der Fantastischen Vier) hat sie ebenfalls schon eingesackt. Der Produzent vom Album nie verliebt ist Biztram. Er ist eine ganz große Nummer in der deutschen Musikszene und im Deutsch-Rap, denn er hat auch schon für Casper, KIZ, Adel Tawil, Luvre47, Nico Santos und sehr viel für Prinz Pi produziert. Mit Casper hat Paula Hartmann auf ihrem ersten Album sogar den Song Kein Happy End zusammen geschrieben, der richtig gut geworden ist.
Warum berührt mich das so sehr, was Paula Hartmann da singt und sagt? Das Offensichtlichste ist: Ich und sie, wir sind gleich alt. Ich finde mich da wieder in den Textzeilen, die sie schreibt, in den Atmosphären, die sie baut. Irgendwo zwischen gerade noch jugendlich und jetzt schon erwachsen. Zwischen unbekümmert und besorgt. Zwischen Lost und Schmerz. Zwischen Angst und Liebe. Zwischen Party machen und Melancholie. In ihren Songs wirkt sie wie eine leere Hülle, die irgendwie schon alles erlebt hat, aber zu nichts mehr eine Beziehung aufbauen kann. Ein Geist, der immer da ist, aber nicht anwesend. Die Apathie ist groß.
Ihre Stimme ist toll. Period. Weiß nicht, was ich da noch mehr sagen sollte. Was ihre Stimme meiner Meinung nach so wahnsinnig spannend macht, ist, dass Paula fast unterzugehen scheint in den Themen und der Stadt, die sie sich inhaltlich durch ihre Songs aufbaut. Als ob sie durchgeknetet, durchgematscht und durchdrungen wurde von all den Eindrücken und noch schauen muss, wie sie damit zurechtkommt. Alles prasselt ungefiltert auf sie ein und man möchte sie deshalb irgendwie ein bisschen beschützen. Die Stadt hat sie wieder ausgespuckt und jetzt sitzt sie da auf kaltem Asphalt auf einem großen Platz in Hamburg. Es ist Nacht.
Oft sind Szenen und verschiedene, nicht so nah aneinander liegende Themen collageartig aneinandergereiht. Das macht diesen Eindruck von Überforderung stark. Und dann auf der anderen Seite gibt es sinnliche und ästhetische Lines über die Liebe, die fein komponiert an der richtigen Stelle richtig hitten. Sie braucht nicht viele Wörter, um richtig eindrückliche Bilder und Atmosphären zu erzeugen.
Das ist Depri Rap mit Tiefe. Das Album ist durchtränkt von dunklen und traurigen Themen. Es geht fast immer um Beziehungen, das Dasein als junge Erwachsene, Party, Alkohol, Absturz, der sich öffnende Abgrund, Depressionen. Angst vor morgen, Angst vor dem Sprung, Angst vor der Liebe, aber noch mehr Angst vor keiner Liebe.
Die Musikvideos für ihre Songs, bei denen sie selbst Regie geführt hat, passen sich so gut ihren Liedern und Themen an, das sie noch mal Kunstwerke für sich selbst darstellen. Auch hier sind die Bilder genau so stark, wie in ihren Texte, fein komponiert und mit Blick für das Detail absolut sehenswert.
Mittlerweile hat Paula Hartmann auch ziemlich viel bei anderen Künstlern gefeatured. Zum Beispiel beim neuen Song 3 Sekunden von CÉLINE. Den muss man gehört haben, denn der spricht ohne eine Blatt vor den Mund zu nehmen sexuelle Belästigung an. Klingt erstmal nicht schön, ist aber total wichtig.
Man findet sie auch bei Liedern von Luvre47, Haftbefehl, Luciano und Trettmann. Alles echt coole Songs, bei denen vor allem die Stimme von Paula Hartmann noch mehr heraussticht zwischen den ganzen (Autotune-)Männern.
Mein absolutes Lieblingsfeature ist aber das mit Blumengarten. Wenn ich Paris Syndrom – dach session höre, kommen mir regelmäßig die Tränen, weil es ein so unglaublich berührender und schöner Song ist. Während Paulas Songs sich manchmal wie ein sich-alleine-in-den-Schlaf wälzen anfühlen, ist dieser Song wie eine warme Umarmung oder ein langes morgendliches Kuscheln im Bett. Der Song von Blumengarten fühlt sich für mich wie eine Antwort auf Paulas Song nie verliebt an. Zuerst in nie verliebt findet jemand keine Liebe und nur Apathie, aber trotz all der Verwirrung ist die Liebe in paris syndrom doch da, wenn man ihr nur eine Chance gibt und genau hinsieht. (Übrigens was das Paris-Syndrom genau ist könnt ihr hier nachlesen).
Auf ihrem ersten Album nie verliebt gibt es auch ein paar Party Songs mit Liedern wie Seidenkleid und Babyblau, selbst die fühlen sich auf eine Art kraftlos und depressiv an. Machen aber live trotzdem unglaublich viel Spaß. Ich habe Paula Hartmann am 20. April in Augsburg sehen dürfen. Als sie letztes Jahr auf dem Uni-Open Air hier in Bayreuth war, habe ich es total verplant und kannte sie eigentlich auch noch nicht wirklich. Ihre gesamte Tour ist zur Zeit ausverkauft, was schon echt krass ist; aber vielleicht hat man ja im Festival Sommer die Chance, sie zu sehen. Paula Hartmann live zu sehen mit so vielen Menschen, die jedes einzelne Wort bei jedem Lied mitsingen konnte, hat absolute Gänsehaut bei mir ausgelöst. Mein persönliches Highlight war, als sie drei neue, noch nicht veröffentlichte Songs gespielt hat und dann nach dem dritten Song erstens gesagt hat, dass sie gerade ganz fleißig an neuen Liedern und einem zweiten Album mit Biztram arbeitet. Und dann hat sie zweitens eine unveröffentlichte Single Snoopy mit ihrem iPhone ins Publikum geairdropt und wir, das Publikum, haben es dann untereinander hin und her geschickt bis es jeder hatte. Dafür hat Paula sich Zeit genommen und sie meinte auch, es sei ihr wichtig, dass Leute, die zu ihren Konzerten kommen, etwas zurückbekommen. (Mir hat ja die Live-Performance von Paris Syndrom gereicht, aber eine neue Single nehm ich auch gerne mit).
Aber zurück zum Album. Warum gefällt mir das jetzt so gut? Ich glaube, Paula Hartmann ist eine wahnsinnig gute Geschichtenerzählerin. Der Albumtitel sagt ja mit dem Untertitel und andere gute Nacht Geschichten, hier sollen Geschichten erzählt werden. Da sie vom Schauspiel kommt, hat sie ein Gespür dafür, was gute Geschichten ausmacht. Wie man Charaktere mit Leben füllt. Wie man mit Worten nicht verschwenderisch umgeht. Davon lebt und atmet ihr Album. Sie gibt ihren Gefühlen Geschichten und Wörter und füllt damit innere Bilder aus, in denen man sich verliert. Das habe ich so in einem Album nur ganz selten erlebt. Inhaltlich holt es mich total ab, weil ich glaube, dass wir mehr Kunst brauchen, die unsere Verletzlichkeit und unsere dunklen Seiten zeigen, damit wir alle insgesamt mehr darüber reden. Paula Hartmann bricht das Schweigen über ihre Depressionen.
Noch nicht genug von Paula Hartmann bekommen oder gerade erst entdeckt und neugierig geworden? Das ist beides super, denn ich habe euch zum Schluss noch eine Linkliste zusammengestellt, wo ihr euch mal durchklicken könnt.
Spotify
Apple Music
Instagram
Youtube
Webseite
Puls Musikanalyse – BR
Letzte Runde mit Paula Hartmann – Das Ding
Ganzes Konzert Splash Festival 2022 – arte
Interview – DIFFUS
Wenn es dir nicht gut geht und du selbst unter einer depressiven Phase leidest, suche dir bitte Hilfe bei Familie, Freund*innen, Angehörige und im nächsten Schritt von Ärzten und Experten.
Für Notfälle kannst du die Deutsche Telefon Seelsorge anrufen unter 0800 1110111 oder auch online auf ihrer Webseite Kontakt mit einer Person aufnehmen, die dir hilft.
Es ist kein Zeichen von Schwäche sich Hilfe zu nehmen.
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