Was für ein Tag! Nicht nur das Geralt bereits früh am Morgen beim Liebesspiel unterbrochen wird, um an der Seite des Königs in die Schlacht ziehen zu müssen. Nein, er darf sich unterwegs auch noch mit eitlen Adeligen, allerlei Soldaten und einem waschechten Drachen herumschlagen. Und als Dank für seinen unermüdlichen Einsatz muss der ergraute Protagonist nach gewonnener Schlacht noch miterleben, wie der König ermordet und er selbst öffentlich als Mörder beschuldigt wird. Der so verheißungsvoll begonnene Tag endet im Kerker.
Selbstverständlich endet seine Geschichte damit nicht, viel mehr beginnt hiermit erst ein großes Abenteuer. Das Spiel baut konsequent auf der Buchvorlage des polnischen Autors Andrzej Sapkoswki auf und verbreitet eine ähnlich zynische, aber glaubwürdige Stimmung. Die Geschichte, die in den beiden bisherigen Spielen erzählt wird, greift das Ende der Bücher auf und spinnt die Saga um Geralt weiter. Übernommen wurden dabei nicht nur die wunderbar direkt geschriebenen Dialoge, bei denen meist kein Blatt vor den Mund genommen oder sich auf eleganteste Art und Weise der Tod gewünscht wird. Sondern auch bekannte Charaktere, die passend in die neuen Handlungsstränge eingewoben wurden.
Aber zunächst zum weißhaarigen Protagonisten mit den Katzenaugen, Geralt. Dieser ist ein sogenannter Hexer, ein Monsterjäger gegen Bezahlung. Ausgestattet mit allem, was man in seinem Beruf braucht, gerät er immer wieder in verschiedene Konflikte, denen er entweder mit dem Schwert oder mit Worten begegnen kann. Dabei wird der Spieler laufend mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, ohne dass diese wirklich bewertet werden. Es werden nur die Konsequenzen gezeigt. Wie im wahren Leben mal früher, mal später. Und gerade das macht den Reiz dieses Spieles aus. Laufend muss man nicht nur überlegen, was in einer bestimmten Situation richtig oder sinnvoll ist, sondern auch inwieweit das Auswirkungen auf die größeren, politischen Zusammenhänge hat. Von der Idee, dem Spieler immer möglichst viel Freiheit bei Entscheidungen zu bieten, ist das komplette Spiel durchzogen. Die Spielwelt ist zwar in drei separate Akte aufgeteilt. Deren Ablauf wird aber jeweils stark von den vorhergehenden Entscheidungen beeinflusst. Auch kann man sich in diesen jeweils komplett frei bewegen, verliert aber niemals den roten Faden aus dem Auge. Dabei ergeben sich genügend Möglichkeiten sich auch abseits der Haupthandlung zu bewegen und Hintergrundwissen zu sammeln.
Nach den ersten Spielstunden wird schnell klar, dass man ohne entsprechende Vorbereitung öfters „Sie sind gestorben“ liest als einem lieb ist. Die steile Lernkurve zwingt den Spieler sich intensiver mit der Spielwelt und dem Hexertum auseinanderzusetzen. So muss man sich klar machen, dass zur Arbeit eines Hexers auch eine ordentliche Vorbereitung gehört. Also, Wissen über die Monster anlesen, Fallen und Tränke vorbereiten sowie sich mit ordentlicher Kampfausrüstung eindecken. Genauso muss man auch potentielle Konflikte im Blick haben, denn die meisten Charaktere sind erst einmal auf ihr eigenes Wohl bedacht und geben niemals die volle Wahrheit von sich. Erst wenn man diese Punkte verinnerlicht hat, findet man wirklichen Zugang zum Spiel.
Adaptiert wurden auch der schwarze Humor und der Umgang mit dem Thema Sex. So scheut sich das Spiel nicht vor Querverweisen auf andere Fantasy-Werke und vergisst dabei niemals die ernste Atmosphäre durch einen Prise Ironie und Sarkasmus aufzulockern. Sex ist entsprechend dem mittelalterlichen Setting auch sehr präsent und wirkt nicht aufgesetzt, sondern trägt nur zur Charakterisierung der einzelnen Personen bei. Überhaupt wurde sich alle Mühe gegeben dem Spieler eine fantastische Welt zu präsentieren, diese aber so realistisch zu gestalten wie möglich. Das ist zu großen Teilen auch gelungen, da jeder relevante Charakter genügend Tiefe besitzt, kaum eine Aufgabe unnatürlich und so gut wie nichts stereotypisch wirkt. Ein Beispiel dafür sind die Elfen. Typischerweise handelt es sich dabei um edle und weise Wesen. Hier wurde die Hochkultur, angelehnt an den Ablauf realer Historie, von der Menschheit zugrunde gerichtet. Dadurch haben sich die Elfen zu rachsüchtigen Terroristen entwickelt haben, die nun wahllos Jagd auf Menschen machen und sich um ihre Vergangenheit betrogen fühlen. Nicht nur in dieser Hinsicht weist die Geschichte Parallelen zum heutigen Zeitgeschehen auf. Auch die Einstellung Geralts, der mit Politik eigentlich nichts zu tun haben möchte, sich dieser aber letztendlich nicht entziehen kann, erinnert etwas an die Situation vieler Bürger. Auch viele weitere gesellschaftskritische Themen werden angeschnitten, aber „The Witcher 2“ erhebt dabei nie den Zeigefinder, sondern gibt nur Denkanstöße und stellt Probleme auf seiner eigenen Ebene dar. Leider trüben kleine Macken, wie der fehlende Tagesablauf einiger Charaktere und die Tatsache, dass Geralt jegliche Gegenstände ohne Bestrafung entwenden kann, die ansonsten sehr stimmige und glaubwürdige Atmosphäre
Fazit:
The Witcher 2 ist das Rollenspiel, mit dem sich alle zukünftigen Spiele, die vorhaben eine glaubwürdige und erwachsene Welt darzustellen, messen müssen. In Sachen Gameplay können viele einzelne Aspekte wie beispielsweise das Kampf- oder Inventarsystem noch Verbesserungen vertragen. Diesen fehlt noch richtiger Feinschliff, so dass sie sich nicht auf einer Ebene mit der erstklassigen Inszenierung befinden. Storytechnisch ist The Witcher sowieso oberste Güteklasse und ein Spiel für das man, auch als nicht spielbegeisterter, gerne mal das Buch gegen eine Gamepad tauscht.
Professionell redigierte Fassung auf: www.abendblatt.de
Großer Dank an das Hamburger Abendblatt & Dennis Sand
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