Man sieht Captain Walker die Qualen der vergangenen Tage an. Sein blick irrt immer wieder unsicher umher, er selbst ist mit Blut befleckt. Ob es sein eigenes oder das seiner Feinde ist, ist längst egal. Walker versucht sich selbst mit den Worten: „Es musste getan werden“ zu beschwichtigen, aber es hilft wenig. Seine Bewegungen sind hektisch, zuweilen unkontrolliert und vor allem aggressiv. Und schuld an allem ist irgendwie man selbst. Der Spieler. Denn man treibt die Handlung voran und die Truppe um Walker immer näher an den Wahnsinn.

„Spieler wissen noch nicht, dass sie ein Spiel spielen wollen, das sie schlecht fühlen lässt. Aber wir glauben, dass sie bereit dafür sind“, so die Entwickler von Yager. Ein mehr als ungewöhnlicher Ansatz für ein Spiel, aber eigentlich ein recht passender für einen militärischen Shooter. Denn solche Gefühle wie Schuld und Kummer sind dort im Gegensatz zur Realität bisher kaum zu finden.

Die Handlung von „Spec Ops“ spielt sich in Dubai ab. Einer Metropole, die innerhalb von drei Jahrzenten aus der Wüste gewachsen und nun Heimat des Überflusses ist. In „Spec Ops“ ist dieser Luxus aber Vergangenheit, denn ein verheerender Sandsturm hat Dubai unter sich begraben und damit Tausenden von Leben ein Ende gesetzt. Die USA sandte daraufhin Truppen aus, um eine Evakuierung der Überlebenden zu starten. Sechs Monate sind seitdem vergangen, die Soldaten bleiben inmitten der Ruinen verschollen, doch plötzlich dringt ein einzelner, kryptischer Funkspruch nach außen. Daraufhin wird ein Aufklärungstrupp abgesetzt. Die Mission klingt einfach: Überlebende finden und Verstärkung anfordern. Der Spieler übernimmt dabei die Rolle von Captain Walker. Mit seinem Kameraden Lugo und Adams landet er in Dubai und wird schnell mit der dortigen Realität konfrontiert. „Spec Ops“ spielt dabei gezielt mit den Klischees, die Shooter aufwerfen. Der erste Eindruck der Protagonisten, die sich aus Adams als harten Hund und Lugo als Spaßvogel sowie Walker als zielstrebigen Anführer zusammensetzen, wirkt nur zu bekannt. Auch die ersten Gegner, allesamt arabischer Herkunft, reihen sich entsprechend in dieses Bild ein und wecken die Erwartung, dass man es mit einem typischen Action-Spiel zu tun hat. Aber das ändert sich ab dem Moment, an dem klar wird, wer die wirklichen Gegner in „Spec Ops“ sind: Amerikanische Soldaten. Denn diese sind inzwischen desertiert und nutzen ihre Macht über die Zivilbevölkerung hemmungslos aus. Walker muss nun Mitglieder der eigenen Armee bekämpfen, um die Bevölkerung evakuieren zu können. Eine Besonderheit von vielen, die „Spec Ops“ deutlich vom derzeitigen Shooter-Trend abhebt. Denn es stellt erstmals in Frage, was man in Shootern eigentlich tut.

Zum einen auf eine unverhältnismäßig große Zahl an Gegnern schießen. Das gibt es in „Spec Ops“ auch. Im Kern spielt es sich wie ein Third-Person-Shooter. Man hechtet von Deckung zu Deckung und versucht Gegner gezielt zu flankieren. An vordefinierten Stellen darf man auch den Sand benutzen und Gegner mit Lawinen davon begraben. So weit, so typisch. Aber die bald immer düster werdende Geschichte spiegelt sich auch in Captain Walker wieder, während man ihn steuert. Am Anfang markiert er Gegner noch kühl mit den Worten „Ziel ausschalten“, später verwünscht er sie dabei nur noch und freut sich über getötete Feinde. Exekutiert man hingegen Gegner im Nahkampf, bekommt man Munition, während Kopfschüsse das Geschehen für einige Momente in Zeitlupe laufen lassen. Genau diese Aktionen, die dem Spieler Vorteile bringen, treiben Captain Walker dagegen in einen wahren Blutrausch. Auch die körperliche Verfassung des Teams wird mit der Zeit immer schlechter, was man nicht nur an deren Aussehen sondern auch an veränderten Bewegungen ablesen kann. Und selbst für gewonnen Gefechte wird man nicht wie gewohnt mit positiven Eindrücken belohnt, sondern damit konfrontiert wie die Gruppe unter den eigenen Misserfolgen leidet.

Als andere Besonderheiten bietet „Spec Ops“ also auch Protagonisten, die eine Entwicklung durchmachen und Freiheiten bei moralischen Entscheidungen. Denn man wird vor einige Dilemma-Situationen gestellt, bei denen man zwischen verschiedenen Übeln wählen muss. Oft wird dem Spieler aber auch keine andere Wahl gelassen als selbst Gräueltaten an den Gegnern zu begehen, um seine vermeintliche Rettungsmission fortsetzen zu können. Im Hintergrund lauert dabei immer der schleichende Wahnsinn. Mittendrin das Trio um Captain Walker, von dem die Geschichte lebt. Je mehr Schrecken sie gemeinsam erleben, desto mehr vergessen sie ihr eigentliches Ziel. Sie beschuldigen sich gegenseitig, sie rasten aus und brechen langsam unter den Schuldgefühlen ihrer eigenen Taten zusammen.

Und zu guter Letzt nimmt „Spec Ops“ deutlich Abstand von der Glorifizierung des Militärs in Spielen. Es zeigt, was Krieg meistens ist: Grausam und vor allem schrecklich sinnlos. Die Konsequenzen des eigenen Handelns werden einem bewusst und ungeschönt vor Augen geführt. Das Spiel geizt dabei nicht mit harten, einprägsamen Szenen. Mit fortschreitender Spieldauer wiegt die Schuld für das grausame Töten eigener Soldaten und das Sterben von Zivilisten, sogenannter Kollateralschaden, auch beim Spieler immer schwerer. Das Spiel durchbricht dabei auch gerne mal die vierte Wand, so dass man sich nicht sicher sein kann, ob die Rede gerade an Captain Walker oder den Spieler adressiert ist. Spätestens wenn der Ladebildschirm nach einiger Zeit mit der simplen Zeile „Fühlst du dich wie ein Held?“ aufwartet, wird man unangenehm daran erinnert, was man eigentlich tut und das wirklich nichts davon heldenhaft ist. Dabei ist man es als Spieler fast schon gewohnt eine heldenhafte Rolle einzunehmen, während man dutzende von virtuellen Leben auf dem Gewissen hat. Diese Gewohnheit wird mehr als deutlich hinterfragt.

Inspiration zogen die Entwickler bei Darstellung und Handlung vor allem aus „Apocalypse Now“ und „Herz der Finsternis“ da. Zwei Werke, die nicht nur den Schrecken des Krieges demonstrieren sondern auch wie nah die Gesellschaft am Wahnsinn steht. Der Spieler ist dabei alles was zwischen diesem und den Protagonisten steht. Um die Gräuel und den Verfall von Walker aufzuhalten, gibt es nur eine Lösung, die auch „Spec Ops“ selbst immer wieder andeutet: Mit dem Spielen aufhören. Aber das will man aus nachvollziehbaren Gründen nicht, weswegen am Ende des Spiels die Abrechnung auf den Spieler wartet und er damit konfrontiert wird, wie viel virtuelles Blut an den eigenen Händen klebt. Alles was man bis dahin getan hat, jede Entscheidung, einfach alles wird letztlich in Frage gestellt.

Das Berliner Entwicklerstudio Yager ist mit „Spec Ops“ ein großes Risiko eingegangen, hat damit aber einen herausragenden Shooter geschaffen. Denn „Spec Ops“ ist reflektierter als seine Genre-Kollegen und wartet mit einigen Denkanstößen auf, bei denen die Entwickler bewusst keine Antworten liefern und lässt damit Platz für Interpretation. Außerdem betritt es mit Gefühlen von Schuld und Zweifeln am eigenen Handeln ein bislang gemiedenes Feld von Emotionen in Videospielen. Dadurch hat es das Medium ein kleines Stück erwachsener werden lassen. Und dabei hält es nicht nur dem Spieler, sondern auch der gesamten Entwicklung des Shooter-Genres den Spiegel vor. Ob der Spaß dabei zu kurz kommt, muss jeder Spieler für sich selbst entscheiden, denn „Spec Ops“ ist mitreißend, aber auch alles andere als angenehm.

 (In den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das Spiel übrigens verboten worden, obwohl Dubai wirklich nur als exotischer Schauplatz hergenommen wird und die Handlung auf das fokussiert ist, was das Militär und der Sandsturm aus Dubai gemacht haben und weniger was es einmal war)