Falls man nie wieder vorhat, zu schlafen, ist American Horror Story genau das Richtige. Die bestimmt unheimlichste, düsterste und seltsamste aller hier vorgestellten Serien hat ungefähr den Gruselfaktor eines Friedhofs im Wald, nachts, bei Regen und Donner, umgeben von Axtmördern, Clowns und Slenderman.
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Haus, das einst von einem Chirurgen und dessen Frau gebaut wurde. Spätestens seit ihr Baby starb und es der Mann im Keller klassisch frankensteinmäßig wieder zum Leben erwecken wollte, ist das ganze Haus verdammt und jeder, der einzieht, wird mit seinen tiefsten Ängsten und etlichem Horror konfrontiert.
Im Fall der neuen Mieter, den Harmons, um die sich die erste Staffel dreht, kommt ziemlich viel auf einmal zusammen. Vater Ben ist ein gutes Beispiel für das Düstere, das in jedem der früheren und jetzigen Bewohner liegt. Nach einer Affäre mit einer Studentin will er eigentlich einen Neustart mit seiner Familie versuchen und von vorne anfangen. Doch hat er sich wirklich gebessert? Und wenn ja, warum sieht er dann als einziger die alte Haushälterin Moira als junge, nymphomanische Version ihres früheren Selbst, die ihn immer wieder in Versuchung bringt? Seine Frau Vivien hat währenddessen eigene Probleme mit ihrem ungeborenen Teufelsbalg, seit sie (versehentlich) von einem Mann im schwarzen Ganzkörperlatexlederanzug geschwängert wurde (versehentlich deswegen, weil ihr nicht aufgefallen ist, dass unter der Maske gar nicht ihr Mann steckte). Dadurch hat Tochter Violet genug Zeit, heimlich eine Beziehung zu dem gefährlichsten aller Patienten aufzubauen, den ihr Vater, der Psychologe ist, immer wieder zur Therapiesitzung einlädt und der mehr mit dem Haus zu tun hat, als man am Anfang meinen mag (einer der besten Plots der Staffel).
All das hängt immer mit der Geschichte der Vormieter zusammen, die das Haus nie wirklich verlassen haben und nun regelmäßig die Harmons terrorisieren. Insbesondere die Nachbarin Constance bereitet einige Mühe, gespielt von Jessica Lange, die für ihre Rolle als alternde Südstaatenschönheit unter anderem schon den Emmy, den Golden Globe und etliche weitere Nominierungen und Preise erhalten hat (und nachträglich als erste Frau in die Liste der besten Besetzungen aufgenommen werden sollte, damit ihr die höchste Ehre zuteil wird). In ihrer Perfektion hat sie eine Hassliebe zu ihrer Tochter aufgebaut, die am Down-Syndrom leidet und deshalb den Ansprüchen der Mutter nicht genügt. So hat diese ganz eigene Pläne mit Vivien und ihrem ungeborenen Kind (wobei Teufelsbalg wirklich keine Übertreibung war).
Noch verrückter als das Haus sind wohl nur noch die Mitmenschen der Harmons, die ständig auftauchen und für Ärger sorgen. Jeder von ihnen steht auf irgendeine Weise im Zusammenhang mit dem Haus, das ihn bis zum Rand der Verzweiflung getrieben hat, was man als Zuschauer erst Schritt für Schritt versteht (am Anfang wirken alle einfach nur völlig geisteskrank), so dass man am Ende sogar Mitleid mit dem Latexledermann hat, der weinend da sitzt und nicht weiß, was er machen soll.
Trotzdem ist vor allem in den ersten Folgen ungefähr alles gruselig, weil die Dinge ganz plötzlich passieren und eine Weile lang ungeklärt bleiben, so dass man immer darauf vorbereitet sein muss, dass so etwas gleich nochmal passiert, ohne zu wissen, wieso eigentlich. Und weil in jeder Folge irgendwer in den verfluchten Keller runter muss, weil er von dort Geräusche hört, irgendwas (grundsätzlich im Dunkeln) sucht oder sich mit jemandem trifft. Die unheimliche Grundstimmung, die am Anfang praktisch in jeder Szene herrscht, wird gegen Ende der Staffel hin etwas schwächer, da mit den Erklärungen, die es für alles gibt, die Angst vor vielem sinkt oder ganz verschwindet (siehe Latexledermann).
Das wahrscheinlich raffinierteste neben dem anhaltenden Gruselgefühl (das sicher ziemlich schwer ist, über eine ganze Serie und nicht nur einen 90-minütigen Film hinweg aufzubauen und anzuhalten) und den brillanten Nebenfiguren (die Harmons als Hauptfiguren gehen daneben teilweise ein bisschen unter. Was sollen sie auch machen, sie sind die meiste Zeit ja völlig überrumpelt von all dem Spuk um sie herum), ist die Erzählweise, die ständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit springt und dadurch alle Handlungsstränge über den Verlauf der Staffel miteinander verbindet. Einzelne Episoden anzuschauen, macht deshalb wenig Sinn, weil man so ungefähr gar nichts verstehen würde (es wäre aber sicher auch gruselig). Der Reiz besteht darin, dass ab der ersten Folge alles zusammenhängt und aufeinander aufbaut, bis es im Staffelfinale restlos aufgelöst wird.
Die erste Staffel ist in den USA gelaufen und hat dieses Jahr glatte 17 Emmy Nominierungen abgestaubt (zusammen mit Mad Men damit die meisten). Da die Staffel einen abschließenden logischen Plot hat und die Geheimnisse, die alles rund um das Haus so spannend und unheimlich gemacht haben, aufgelöst wurden, beginnt die zweite Staffel, die im Oktober in den USA startet, komplett neu und wird in größtenteils neuer Besetzung in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Geleitet von Nonnen und besucht von Nazis und Aliens. Wenn das mal nichts werden kann.
Übrigens:
Einer der Autoren von American Horror Story: Tim Minear, rechte Hand von Joss Whedon seit Angel.