Dieser Artikel erscheint zusammen mit Miriam Ghobrials Artikel: Infected, Broken and Mortal – Post-Covid Bodies in Post-Covid Cinema.

Tessa Thompson in The Listener – © Biennale Cinema via Premier

Zum Schutz vor einer Infektion haben wir alle bereits ausführlich Erfahrungen mit der Selbstisolation auf begrenzten Raum gemacht. Die dritte Biennale nach Ausbruch der Pandemie sollte einige Filme bereithalten, die sich mit der Thematik der Räumlichkeit auseinandersetzen, gerade, weil in unserem Umfeld langsam eine vorsichtige Gewöhnung an das auflebende öffentliche Treiben einsetzt und ich beim Betreten der Festival-Kinosäle anfang September mit einem ähnlichen Aufatmen nach dem viel zu langen Luftanhalten gerechnet habe. Der vorranschreitende Herbst bedroht dabei diese Leichtigkeit der Sommermonate und eingewickelt in die Wolldecke mit zwei paar Socken an, möchte ich zurück auf die Festivalerfahrung in Venedig und vorran in die Zukunft des Post-Covid-Kinos blicken. Dem Thema nähere ich mich jedoch mit einem Film, bei dem wir uns nicht in eine Post-Covid Welt hineinstürzen dürfen: Steve Buscemis The Listener.

Hier geht es um eine junge Telefon-Seelsorgerin, die sich Beth nennt und von Tessa Thompson gespielt wird. Im gemütlichen Corona-Home-Office einquartiert, geht sie ihrer Arbeit nach und nimmt Anrufe von Menschen entgegen, die sich ihr Leid von der Seele reden möchten. Zwar bietet Beths Figur durchaus Potential für spannende Fragestellungen über Care-Work und psychische (Selbst-)Verwaltung, die während den Lockdowns besonders dringend einer Antwort bedurften und führt diese in seinen langen Dialogen zumindest teilweise aus, jedoch kam ich während der Premiere im Sala Perla mit anwesender Star-Power nie über meine Unlust an einem derartigen Corona-Film hinweg, um die Ansätze mehr würdigen zu können. Die Grenzen der eigenen vier Wände sind, wenn auch noch so schön im Alternative-Millennial Stil eingerichtet, zu bedrückend, als dass ich mich nach einer solchen Seherfahrung sehnen würde. Wobei man bei The Listener sowieso primär von einer Hörerfahrung sprechen muss, da die Bilder wenig Interessantes bieten. Die Kamera möchte der Prämisse leider nicht konsequent folgen und sich zum Beispiel so starr fesseln lassen, wie ich mich im Kinositz fühlte, überwindet aber auch nie wirklich die physischen Grenzen von Beths Apartment. So bleibt man bei semi-dynamischen Einstellungen, in denen wir Thompsons Reaktionen auf die ihr vorgetragenen Geschichten sehen, während im Hintergrund die IKEA Lampe weiche Wohlfühl-Schatten wirft. Ein bisschen mehr Radikalität hätte der Bildgestaltung gut getan und mich nicht ständig dazu verführt, die müden Augen zu schließen und das Ganze als Hörbuch zu behandeln.

Bereits letztes Jahr gab es Filme, die in Corona-Hochzeiten mehr mit den bedrückenden Umständen der Quarantäne gearbeitet haben. Chen Guans Shen Kong zum Beispiel folgt einem jungen Liebespaar, das ausbricht und sich dabei selbst in Infektionsgefahr begibt und brachte so schon 2021 eine dringend benötigte Freiheit auf die Leinwand. 

Dieses Jahr versteht es ein Film wie Bones and All, sich gerade jetzt nicht in die begrenzten Quadratmeter einer Wohnung zurückzuziehen, sondern bietet den Zuschauer*innen eine durch mehrere Staaten führende Kannibalen-Liebesgeschichte. Wenn man ein Kammerspiel vorzieht, dann kann durch kluge Überlagerungen zwischen dem Virtuellen, dem Gespenstischen und dem Realen eine bewegende Mutter-Tochter Geschichte erzählt werden, wie es Joanna Hogg in The Eternal Daughter tut. Nicht nur die Familienbesuche, die durch die Infektionsgefahr erschwert wurden, werden uns hier gezeigt, The Eternal Daughter findet einen deutlich klügeren Umgang mit Raum in Post-Covid-Zeiten. Enge, bedrückende Gänge werden hier zu geometrischen Anordnungen gerafft, durch die sich die Protagonistin bewegt. Klaustrophobie wird nicht wie in Buscemis Film versucht wegzuschmücken sondern in seinen metaphysischen Dimensionen eingefangen.

Wer nach den nicht endenden Jahren des Ausnahmezustands noch immer Lust auf mehr bedrückenden Miserabilismus hat, findet in Darren Aronofskys The Whale eine Selbstisolation, die in ihrer Präzision und Radikalität die von The Listener deutlich überschattet und so eine eindrucksvolle Filmwelt aufmacht, anstatt genau das, was wir eh schon kennen, noch einmal zu wiederholen. In The Whale fühlen sich Wege durch kleine, immer gleiche Räume qualvoll an. Eine verschlossene Zimmertür bietet ein Portal in eine glücklichere, verdrängte Zeit und das Übertreten der Wohnungsschwelle wird als wirkliche Transgression wahrgenommen.

Abgeschlossene Räume müssen im Kino also nicht in ihrer gewöhnlich gewordenen Unumgänglichkeit akzeptiert werden, sondern sollten anders verhandelt werden, ob durch ästhetische Überhöhung oder Sprengung.