Vor gut zehn Jahren schrieb der damals 17 jährige Amerikaner Nick McDonell „Twelve“ und erzielte damit einen großen Erfolg. Indem es die New Yorker Glamour-Szene ins Blickfeld fasst, übt es gezielte Sozialkritik an dieser speziellen Gesellschaft im Besonderen und den geld- und konsumfixierten Schichten im Allgemeinen. 2010 kommt nun Jordan Melameds Adaption unter Joel Schuhmachers Regie in die Kinos und, wie um der flüchtigen Ähnlichkeit des Stoffes zur Erfolgsserie „Gossip Girl“ Referenz zu tragen, spielt Chace Chaword die Hauptrolle. Es sollte ein vertrautes Feld sein für ihn. Oder vielleicht auch nicht?
Seit White Mikes (Chace Chaword) Mutter tot ist, dealt er mit Drogen. Seine erfolgversprechende akademische Ausbildung hat er vorläufig auf Eis gelegt, zwischen seinem Vater und ihm herrscht Schweigen. Springbreak: Die High Society Jugend New Yorks um Beautyqueen Sara (Esti Ginzberg) feiert und lässt sich nicht nur von White Mike mit Hasch und Härterem versorgen: Eine neue Droge kursiert in der Schickeria-Welt, das ebenso intensiv wirkende wie abhängig machende „Twelve“, dem insbesondere Jessica (Emily Meade) zum Opfer fällt. Auch die unschuldige Molly (Emma Roberts), die White Mike heimlich liebt, verliert sich immer mehr in der Glitzerwelt. Dabei ist nicht alles nur Party: Mikes Cousin Charlie (Jeremy Allen White) ist abhängig und wird beim Versuch den Dealer Lionel (50 Cent) abzuzocken abgeknallt, auch der Basketballspieler Nana fällt ihm zum Opfer. Da dieser leider kurz zuvor Streit mit White Mikes Kumpel Hunter (Phillip Ettinger) hatte, wird der fälschlicherweise zur Verantwortung gezogen – die Eltern sind finanziell engagiert und emotional wenig involviert. Die Fassade des Glamours ist auch sonst sehr dünn: Unter der Partyoberfläche kocht und brodelt es, insbesondere in Claude (Billy Magnusen), der mit seinem Bruder Chris (Rory Culkin) von den Eltern sich selbst und den Dienstboten überlassen worden ist. Auf einer Party, die der unsichere Teenie Chris in der Hoffnung Sara zu verführen gibt, führen alle scheinbar unabhängig erzählten Handlungsstränge zueinander und es kommt zur Eskalation….
Es ist eine etwas merkwürdige Angelegenheit, diese Verfilmung von „Phantom der Oper“- Regisseur Joel Schuhmacher, denn letztenendes ist sie weder ganz schlecht noch besonders gut, und das betrifft alle Bereiche, einschließlich Cast.
Mit etwas Bosheit könnte man bei der Besetzung von starkem Vitamin B- Einfluss sprechen, Lenny Kravitz Tochter, Julia Roberts Nichte, Macauly Culkins Bruder…. aber gut, um der Wahrheit die Ehre zu geben waren sie alle bereits vor „Twelve“ im Geschäft und irgendwie strahlen sie alle etwas aus. Hervorzuheben ist hierbei Jessica-Darstellerin Emily Meade. Ihre Sexszene mit Rapper 50 Cent, der den brutalen Dealer Lionel überzeugend spielt, rollt einem die Nägel hoch, und auch ihr Drogen-Trip ist angemessen verstörend. Auch Serienstarlet Emma Roberts scheint langsam ihrer „süßen Girlie“-Rolle zu entwachsen, auch wenn ein Vergleich mit Tante Julia oder Papa Eric weiter unfair bleibt. Allgemein lassen sie sich jedoch alle, einschließlich des Hauptdarstellers, in einen Topf werfen: Ein bisschen Gossip-Girl-Coolness, ein bisschen Drogenkinder-Dramatik, man nimmt es wahr, honoriert es…und bleibt seltsam unberührt, mit dem starken Gefühl, dass es nicht nur an den Schauspielern liegen kann. Auch wenn inzwischen jedem klar sein dürfte, dass zwischen Romanvorlage und Umsetzung oft Welten liegen, scheint es in diesem Fall doch angebracht, sich einmal das Original anzusehen. Vielleicht wird dann klar, warum der Film irgendwie einen gespaltenen Eindruck hinterlässt.
Ich habe „Twelve“ zum ersten Mal mit 16 gelesen und mein vordergründiges Gefühl war zunächst einmal der Eindruck großer Bedrückung. Zwischen all diesen Partys, Drogen und Teenieproblemen scheinen die Protagonisten gefangen in einer bewegungshemmenden, zentimeterdicken Schicht aus Einsamkeit und Überstättigung, die aus dem ständigen Überfluß resultiert. Wohlstandsverwahrlosung nennt man das wohl.
Dieses Kriterium erfüllt der Film ohne Zweifel, die Glamour-Oberfläche ist brüchig, darunter verbirgt sich ein Abgrund. Doch dabei begeht der Film vielleicht Fehler, etwa indem er Impulsivität und Extrovertierheit wählt, wo Schweigen eindrücklicher gewirkt hätte, um die unterdrückten Aggressionen tatsächlich spürbar zu machen – wie ein nahendes Gewitter. Denn diese Stimmung vermittelt der Film zum Teil durchaus, an entscheidenden Stellen wird er jedoch durch zu viel Emotion zu flach, wobei Chace Chawords (Gossip Girl) stets einförmiger Gesichtsausdruck sicher nichts besser macht. Insbesondere das Ende wirkt aus diesem Grund seltsam mechanisch. Ohne spoilern zu wollen, kann man sagen, dass es sowohl im Film als auch im Buch die lang vorbereitete Eskalation das Überkochen jahrelang genährter Galle ist, jedoch lässt Billy Magnusens Claude selbige etwas zu oft überspritzen, um noch einen wirkungsvollen Spannungsbogen halten zu können. Allein sein erster Auftritt ist übermäßig aggressiv, es ist kaum noch Steigerung möglich. Einen Schauspieler ständig auf dem selben Level spielen zu sehen bewirkt häufig eine gewisse Ermüdung oder viel mehr Gewöhnung, die sehr abträglich ist, wenn seine Entwicklung doch noch auf etwas hinauslaufen soll. Von einer Entwicklung ist hier allerdings insgesamt wenig spürbar.
Was das Buch leistet – als weiterer Eindruck, der mir vom Lesen bleibt – ist das Gefühl einer tickenden Zeitbombe, als würde ein Countdown langsam und unaufhaltsam abwärts gezählt. Und – sein wir ehrlich – diese Art von Film braucht diese Art von Spannungsaufbau mindestens genauso wie diese Art Buch. Dennoch merkt man dem Film wenig von einem Countdown an, zu sehr baut er auf die oben beschriebene Atmosphäre von Delirium und Stagnation. Das ist besonders schwierig, weil die Handlung aus Sicht verschiedener Personen geschildert wird. Tempo wäre hier von Nutzen, stattdessen präsentiert Schuhmacher eine Aneinanderreihung von Bildern. Es sind zum Teil quälende Bilder, weil sie von gleichgültiger Trägheit sprechen und von Einsamkeit. Wenngleich eine Gesellschaftsstudie einer drogenzerfressenen Partyszene etwas mehr Dreck und weniger glatte Oberfläche hätte gebrauchen können, sind die Bilder sicherlich von einer gewissen Qualität. Die Rückblenden sind von einer albtraumhaften Irrealität. Sie wirken nur seltsam abgehoben, bedenkt man, dass sie die tieferen Emotionen der Protagonisten zeigen sollen, sind aber nichtsdestotrotz intensiv. Bilder also, die gefallen können, die aber durch die Trägheit ihres Flusses Spannung killen. Man wünscht sich fast eine Schere, um ein paar zusätzliche Schnitte einzufügen, die von Cutter Paul Zucker wohl irgendwie vergessen wurden. Ein interessanter Fakt: Herr der Kameras, Steven Fierberg, zeichnete sich bisher zu weiten Teilen für Musikvideos von Queen Latifah oder Snoop Dog verantwortlich. Darüber mag sich der MTV-glatte Look erklären, der wiederum starke Ähnlichkeiten zu der beliebten Serie Gossip-Girl bewirkt. Es sind schöne Bilder. Es sind künstliche Bilder. Über der Künstlichkeit jedoch geht die Einfühlung verloren, wobei in diesem Zusammenhang auch ein weiterer dramaturgischer Kniff erwähnt werden muss, den man eigentlich nicht wirklich Fehler nennen kann, schließlich tut er im Grunde nichts Falsches:
Ja. Die Sprache ist einer der größten Pluspunkte des Buches, darüber hinaus findet eine ständige Reflexion über das Geschehen durch White Mike in der Er-Form statt, die handlungstragend ist. Deswegen kann es kein schlechter Einfall sein, lange Passagen des Originaltexts von einem Erzähler lesen zu lassen. Dessen Stimme ist angenehm, allerdings auf Dauer auch etwas einschläfernd, wieder eine Stolperfalle für die Spannung.
Ja. Das Buch verwendet Bilder, die wie eine Extrem-Version des Partylebens der Gossip Girl-Clique wirkt. Darum ist der MTV-Style in Ordnung, außerdem sind die Bilder wirklich schön, abgesehen davon, dass sie etwas flüssiger hätten kommen können.
Nichtsdestotrotz: Buch und Film als Medien sind eben unterschiedlich, nicht zuletzt deshalb, weil sie Sprache und Bilder nicht gleich einsetzen, und die Kombination von beidem nicht in beiden Medien gleich funktioniert. In einem Buch diktiert die Sprache das Bild, ich kann also die Worte und den Ton wählen, die dem gewünschten Effekt am dienlichsten sind. Im Film definiert das Bild seine eigene Sprache, einen Text darüber zu legen, der sich mit dieser nicht deckt, ist irgendwie befremdlich, was aber zunächst kein Negativum sein muss. Ein befremdeter Zuschauer nimmt anders wahr als ein Zuschauer, der völlig, insbesondere emotional, versteht, was er sieht. Ob das gut oder schlecht ist, hängt von der Art des Filmes ab. Die Einfühlung gelingt jedoch sicher eher letzterem, weil ein befremdeter Zuschauer automatisch, wie das Wort schon verrät, einen Abstand einnimmt, der sich einem Mitleiden mit ganzer Seele als natürliche Grenze entgegenstellt. Hier in diesem Film passen Sprache und Bild eindeutig nicht zusammen. Es ist als würde man Gossip-Girl schauen und gleichzeitig Thomas Mann lesen. Gossip Girl ist eine Serie, die man mögen kann, Thomas Manns Worte sind elegant und präzise. Die Kombination ist irgendwie merkwürdig und letzten endes eben doch ein Fehler.
Sowohl der Offtext, der sich irgendwie nicht mit der Bildsprache deckt, als auch die bereits erwähnten irrealen Rückblenden bewirken eine Art künstlicher Überzeichnung, die der Film nicht braucht. Seine Story ist eigentlich gut genug, sie hätte eine ehrliche und vielleicht sogar etwas dreckige Umsetzung verdient, aufgeblasene MTV-Bilder und ein starres Modelgesicht wie Chace Chawords schadet ihr. Der 25 jährige Texaner kann die Fußstapfen des düsteren Beobachters und Einzelgängers, als den McDonell White Mike geschaffen hat, nicht wirklich ausfüllen, zusätzlich werden ihm von Melamed emotionale Ausbrüche aufgedrückt, die seine Figur zusätzlich banalisieren. Schade irgendwie.
Was also bleibt vom Tag?
Ein Film, der nicht so flach ist, wie man hätte erwarten können, der sogar mit recht guten Einfällen aufwartet – allerdings oft an der falschen Stelle und oft leicht übertrieben. Den Vergleich zum Buch besteht er damit nicht. Sieht man ihn unabhängig vom Buch, muss man immer noch sagen, dass er etwas zu langweilig und zu künstlich ist, um eine sicher sehr kritisierbare Gesellschaft wirklich mitreißend zu porträtieren. Allerdings kann man auch sagen, dass er schöne Bilder hat und eine zwar stark banalisierte, aber immer noch gute Story.
Ob man sich den Film also ansehen sollte oder nicht, kann ich nicht sagen, und ob man ihn mag, ist wohl auch Geschmakssache, denn per se ist er nicht vollkommen verkackt. Fragt man allerdings, ob besser Buch lesen oder Film sehen, dann muss ich mit all meiner tiefgreifenden Liebe zu Filmen sagen: Buch! Buch! Unbedingt Buch!
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