© Mason Lindroth via IGDB

Die komatös anmutende Zäsur, die sich Ende jeden Jahres zwischen Weihnachten und Silvester einstellt und den mit Plätzchen und Glühwein gefüllten Menschen nicht nur seiner körperlichen, sondern auch seiner geistigen Kapazitäten beraubt, hat bei mir auch dieses (oder eigentlich letztes) Jahr voll eingeschlagen. Kaum zur Bewegung fähig, übersättigt an den ewig gleichen Weihnachtsfilmen, deren zehnte Wiederholung man mit sinkenden Augenlidern und Sabber im Mundwinkel am Sonntagvormittag an sich vorbeiziehen lässt, machte ich mich zu einem Ort auf, den ich viel, viel zu lange nicht mehr besucht hatte. Dieser Ort, der mich seit meiner frühen Jugend täglich begleitete, bis er in den vergangenen Monaten sträflich in Vergessenheit geraten war, ist der Steam Shop, bei dem für genau jene lethargische Zeit zwischen den Jahren eine Rabattaktion geschaffen zu sein schien. Ich jedenfalls klickte mich froh durch die teils lächerlich stark reduzierten Angebote des Shops, bis mein Blick bei einem ganz bestimmten Spiel hängen blieb – Hylics. Tatsächlich hatte ich dieses Spiel schon vor Jahren in meine Steam-Wunschliste gepackt und dann völlig aus den Augen verloren – bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem ich den Button, auf dem eine durchgestrichene 2,99€ und darunter eine giftgrüne 1,39€ stand, anklickte.

Wer auch nur einen einzigen Trailer, eine einzige Sekunde Gameplay, ja einen einzigen Screenshot vom 2015 erschienenen Hylics gesehen hat, der weiß, was dieses Spiel so besonders und einzigartig macht. Der Look dieses sonst recht klassischen 2D-JRPGs ist derart schrill, fremdartig und trippy, dass Hylics ein absolut unvergleichliches Spielerlebnis bietet. Dieser merkwürdige Mix aus MTV-90er Ästhetik, Pixelgrafik und Knetanimation erzeugt Bilder, die ich aus dem Bereich Gaming vorher schlichtweg nicht gekannt habe. Doch fangen wir von vorne an: Wir steuern Wayne, ein humanoides Wesen mit quietschgelbem, gehörntem Kopf, das wir vorerst in seinem Eigenheim bewegen. Jede Annahme, es hier mit einem in irgendeiner Weise gewöhnlichen RPG zu tun zu haben, wird allerdings sofort widerlegt: Ein verzerrter, psychedelisch anmutender Gitarrensound, der merkwürdig gemütlich und heimelig klingt, zerreißt uns den Gehörgang. Das erste Item, auf das wir stoßen, ist ein „warmer Burrito“, den wir in der Toilette finden. Lecker. Allerdings: So verrückt und humorvoll einige Items auch gestaltet sein mögen, was Waffen, Rüstungen und Werkzeuge angeht, bleibt Hylics für ein JRPG glücklicherweise recht reduziert und aufgeräumt, was dem Gameplay guttut. Jedoch benötigt man eine gewisse Zeit, sich in den eher mager gestalteten Menüs zurechtzufinden: Bedauernswerterweise sind diese eher zurückhaltend und graphisch unästhetisch angelegt, was im krassen Kontrast zur völlig abgefahrenen Spielwelt steht. Da ich allerdings ohnehin kein allzu großer Freund des strategisch durchdachten stundenlangen Ausrüstens meines Teams bin, hielt ich mich zugegebenermaßen recht wenig in diesen lieblos gestalteten Menüs auf. Ganz im Gegenteil: Ich ließ mich ein auf die bunte, psychedelische Welt von Hylics. Das Erkunden der auf verschiedenen Inseln angesiedelten Spielwelt ist das, was Hylics in seinem Spielerlebnis einzigartig macht: Die fremdartigen Landschaften und Gebäude, der einzigartige Look der Bewegungen, wie er nur durch Knetanimation erreicht werden kann, der hämmernde, übersteuernde und abgefahrene Gitarrensound – das alles macht die Welt von Hylics zur vermutlich interessantesten Spielwelt, die ich je in einem RPG gesehen habe. Selbst mein geliebtes Undertale kann hier mit Hylics nicht mithalten.

Einen großen Kritikpunkt habe ich jedoch: Zugunsten seines fantastischen Looks und seiner intensiven Atmosphäre pfeift Hylics völlig auf eine in irgendeiner Weise zusammenhängende Story. Wer sich in eine Geschichte vertiefen will, die vielleicht hier und da sogar überraschende Wendungen nimmt und emotional zu fesseln weiß, der ist hier falsch. Hylics erzählt nahezu überhaupt keine Geschichte – und das geht so weit, dass man als Spieler*in oft nicht einmal mehr weiß, was man denn als Nächstes tun sollte. Versteht mich nicht falsch, ich muss keine Prinzessin retten, um in einem RPG der Story folgen zu können, aber irgendeine Art von Ziel oder Motivation des Hauptcharakters hätte dem Spiel hierbei gutgetan. Auch der Dialog mit NPCs ist nicht gerade förderlich – bis auf wenige Ausnahmen ist dieser zufallsgeneriert und man wird eher mit beliebigen, mystisch anmutenden Alliterationen bombardiert, als irgendetwas über die Welt, ihre Bewohner, oder das Ziel des Spiels zu erfahren. Einen Endboss gibt es trotzdem – so viel sei zum Verlauf der Story gesagt – und bei diesem macht sich eine angenehme Schwierigkeit bemerkbar: Hylics ist weder zu leicht noch zu schwer und liefert so die perfekte Menge an Frustration und Erfolgserlebnissen. Hierbei begeistert mich besonders, dass die schwierigsten Passagen des Spiels nicht einmal in den Kämpfen selbst (etwa durch Gegner mit extrem guten Stats), sondern vielmehr im Ausweichen von Gegnern liegt. Hylics erinnert hier sogar teilweise an den Klassiker Pac-Man, wenn es etwa darum geht, kriechenden Gehirn-Schädeln in einem labyrinthartigen Level aus dem Weg zu gehen. Doch auch durch sein Kampfsystem kann Hylics überzeugen: Dieses erinnert stark an klassische JRPGs wie Pokémon oder Earthbound, lässt sich daher recht intuitiv bedienen und hat eine angenehme Schlichtheit. Die visuelle Gestaltung der Kämpfe jedoch sprengt einmal mehr jegliche Konvention: Da fliegen bunte Knetformen durch die Luft, schwarze Pixel-Handschuhe erscheinen und schnipsen, graue Tetra-Paks werden zerdrückt, und die Hintergründe sehen entweder aus wie Gemälde von Jackson Pollock oder sind visuell verzerrte Bilder von x-beliebigen Parkplätzen. Nicht umsonst wird Hylics in seinen Visuals oft mit den Eindrücken eines LSD-Trips verglichen. Hierbei fehlt mir zwar das persönliche Urteilsvermögen, jedoch kann ich festhalten, dass Hylics eine der intensivsten – wenn auch nicht immer angenehmsten – audiovisuellen Erfahrungen war, die ich jemals in einem Videospiel hatte.

Screenshot eines Kampfes in Hylics – © Mason Lindroth via IGDB

Abschließend lässt sich sagen, dass Hylics eine unbedingte Spielempfehlung darstellt – wenn man denn ein RPG ohne (in irgendeiner Weise sinnhafte) Story tolerieren kann. Was hierbei nicht unerwähnt bleiben soll, ist, dass Hylics von einem einzigen Mann, dem US-Amerikaner Mason Lindroth, geschaffen wurde, was mir – gerade, wenn man die Stop-Motion Animationen und den fantastischen Soundtrack beachtet – nahezu unbegreiflich ist. Ich jedenfalls werde den Mann im Auge behalten und freue mich darauf, auch Hylics 2 (2020) schon bald meiner Steam-Bibliothek hinzuzufügen. Bis dahin kann ich euch nur raten, Hylics im Steam-Shop mal abzuchecken. Für etwa 2-4 Stunden psychedelischen Knetanimationswahnsinn sind 3 Euro ein verdammt guter Preis. In gewisser Weise konnte ich durch Hylics schlussendlich auch mit meinem im Plätzchenkoma dahinsiechenden Weihnachts-Ich Frieden schließen: so dankbar war ich ihm noch nie.