Ach herrje, ein deutscher Film über den deutschen Dichterfürsten. Dieser Satz lag sicher nicht wenigen auf der Zunge, als sie die Reklame für Goethe! erstmals bemerkten. Schon zu oft wurde ein derartiger Stoff bearbeitet, nur zu oft war das Ergebnis abgehoben und unzulänglich. Doch was sich hier unter der Regie Phillip Stölzls entwickelt, ist alles andere als verstaubt, mehr noch: Es scheint endgültig mit dem Stigmata zu brechen deutsche Filme könnten nur blass und leer sein. Selbst wenn Ähnlichkeiten zu bemerken sind, Goethe! ist keine lahme Kopie einer Hollywoodproduktion.
Er erzählt die Geschichte des vielleicht berühmtesten Dichters Deutschlands und versucht dabei, zum Teil recht konstruierte, Parallelen zu seinem Durchbruchswerk „Die Leiden des jungen Werther“ zu ziehen. Aus diesem Grund setzt er zu einem Zeitpunkt an, als Goethe noch nicht mehr war als ein Jurastudent, der mangels Interesse fürs Fach im Scheitern begriffen ist. In einer Provinzstadt sollen ihm unter der strengen Knute des Albert Kestner die Flausen ausgetrieben werden. Doch Goethe genießt mit seinem besten Freund, dem Außenseiter Jerusalem, das Leben und kümmert sich wenig um die Gerichtswelt. Als er sich in die Verlobte seines Vorgesetzten verliebt, während Jerusalem eine zum Scheitern verurteilte Affäre mit einer verheirateten Frau beginnt, nehmen tragische Wendungen ihren Lauf, die in der Verfassung des Welterfolgs „Die Leiden des jungen Werther“ münden.
Gut: ganz objektiv betrachtet und ungeachtet des überraschend heißen Alexander Fehlings, der Film erfindet das Rad nun wirklich nicht neu: Die Story ist ein bisschen „Werther“ , ein bisschen „Faust“ und leiht konzeptionell ganz schön kräftig bei John Madens „Shakespeare in Love“. Hinzu kommen einige Einstellungen, die Kameramann Kolja Brandt beinahe direkt aus der 2005er Version „Stolz und Vorteil“ von John Wright entnommen zu haben scheint. Vom Bild über die Geschichte bis zur Musik: Hat man alles schon mal gemocht, schon mal gesehn.
Dessen ungeachtet: Wenn ein Film so stark „klaut“ und dennoch Kinosäle füllt, muss er ziemlich gut sein. Anleihen nimmt er, ohne Frage, doch er tut es auf charmante Weise, nicht plump und einfaltslos, sondern eher so, dass man wohlwollend vom „deutschen Shakespeare in Love“ sprechen kann.
Wodurch der Film für mich dabei hauptsächlich besticht, ist, dass er im Grunde ständig ins Klischee abrutschen könnte, es aber nie tut: Da hätten wir zunächst den Widersacher, dargestellt von Moritz Bleibtreu („Baader-Meinhof-Komplex“). Bleibt man bei dem Shakespeare in Love – Vergleich, stellt Kestner das Pendant zu Colin Firths Rolle dar, die des ungewollten Verlobten, der den Liebenden im Wege steht. Während sich Firths Charakter jedoch rasch etabliert, wenig Überraschungen bietet, jedoch in seiner angenehmen Lästigkeit das perfekte Feindbild abgibt, ist hier der Fall nicht so einfach: Glaubt man eben noch den Anwalt als staubtrockenen Spießer erkannt zu haben, zeigt er plötzlich so menschliche Regungen, dass man am Ende fast versucht ist Mitleid zu haben – sicher ein Verdienst des deutschen Erfolgsgaranten Bleibtreu, der den emotionalen Bogen glaubhaft spannt. Dafür dass der Mann zunehemd einem aufgepumptem Ochsenfrosch ähnelt, kann er ja nichts und dass er dennoch wirkungsvoll Gefühl transportiert, zeugt von seiner schauspielerischen Qualität.
Dann gäbe es den Vater, gespielt von Burghardt Klaußner, der zuletzt vor allem in seiner Rolle als bigotter Pfarrer in Michaels Hanekes „Das weiße Band“ auffiel. Der Vater in solchen Filmen ist gewöhnlich ein Ignorant, ein Schwächling und Egoist, die heimliche Liebe der Tochter führt zum Eklat: Verstoß und bittere Vorwürfe gehen mit ihr einher. Hier zeigt er durchaus Interesse und Verständnis für das Anliegen seiner Tochter, dass die Dinge deshalb dennoch liegen, wie sie sind, ist nicht seine Schuld, und auch Lotte, die von Miriam Stein als pragmatische und lebensfrohe junge Frau angelegt wird, sieht dies ein und zieht die nötigen Konsequenzen. Die Schauspielerin ist vergleichsweise unbekannt, wartet doch der Film ansonsten mit fast allem auf, was der deutsche Fernsehhimmel so zu bieten hat, angefangen bei Henry Hübchen, der dem strengen Vater einen ebenfalls wohltuend klischeefreien Hauch von Sympathie verleiht, bis hin zu Tatortgröße Axel Milberg, der leider etwas (zu) kurz kommt.
Goethe! erfüllt also schon einmal eine wichtige Voraussetzung: Er vermeidet Schlampereien bei der Besetzung und begeht nicht denFehler, nur die Titelfigur charismatisch zu belegen. Dennoch ist es aber gerade der Hauptdarsteller, mit dem der Film, bei all seinen sonstigen Hochs und Tiefs, steht und fällt: Alexander Fehling dürfte den meisten noch aus „Inglorious Basterds“ als „der Typ in der Kneipe, der mit dem Sohn“ bekannt sein. Mit langem Haar in klassizistischer Kleidung hätte man ihn fast nicht wiedererkannt, mehr noch aber durch die Art, in der sich der im Tarentino-Streifen eher unscheinbare Darsteller hier präsentiert – er trägt den Film.
Sein Text besteht zu etwa 70 Prozent aus Zitaten, die so bekannt sind, dass man fast höhnisch „haha“ sagen möchte, wäre die Art, in der er sie vorbringt, nicht so symphatisch und frisch , als habe er sich Sätze wie „Darf er es wagen Ihnen Arm und Geleit anzutragen?“ tatsächlich eben ausgedacht.
Wenn man schon etwas bereits Bekanntes präsentiert, muss man wenigstens die Illusion erschaffen, es sei etwas Neues – Goethe! tut das. Der Stoff wirkt nicht im Geringsten verstaubt, und den Film zu sehen weckt sogar die Lust sein Klassikerwissen etwas aufzufrischen – und wenn auf Literaturverfilmungen basierende Filme einen Effekt haben sollten, dann doch zumindest diesen. Mit anderen Worten, Goethe! gelingt, was „Buddenbrooks“ trotz aller Bemühungen missglückt: Ein relativ bekanntes, relativ gut durchgekautes Thema erhält neues Leben, ohne dabei an Substanz einzubüßen. Nun ja, das ist vielleicht etwas übertrieben: Der Selbstmord des Freundes, ein zentraler Punkt in Goethes „Leiden des jungen Werther“, kommt hier hinsichtlich seiner Moitivation etwas zu plötzlich und ist fast ein wenig ärgerlich, man fragt sich, ob der junge Mann tatsächlich keine andere Lösung gefunden hatte, schließlich wirkte er bis zu diesem Moment alles andere als instabil, war sogar vielmehr dem empfindsamen Goehte immer ein Ausgleich. Letzten Endes lag der Fokus zu sehr auf der Dreiecksgeschichte Goethe -Lotte – Rechtsanwalt, und die unglücklich endende Beziehung des Freundes wird etwas zu stiefmütterlich behandelt, um in seiner tragischen Konsequenz noch zu wirken – wenn sie es tut, dann hauptsächlich weil Volker Bruch den Stotterer so symphatisch spielt. Hier erstmalig und einzig droht der Film zu kippen und fast würde sich eine Länge einschleichen: Dass aus der Liebesgeschichte nichts mehr wird, ist irgendwie klar und wie gesagt, der Selbstmord ist irgendwie nicht so gut etabliert. Wieder ist es Fehling, der die Situation rettet: Man glaubt ihm einfach, selbst wenn der Rest seines Umfelds das Dargestellte nicht so unterstützt.
Wer den 29 Jährigen Ernst-Busch-Absolventen nur aus seiner kurzen Rolle in „Inglorious Basterds“ kennt, hätte ihm wahrscheinlich Talent zugebilligt, mehr aber auch nicht. Was er hier bringt ist mehr, nämlich Natürlichkeit. Nichts wirkt gekünstelt, weder die leicht angestaubten Zitate, die man ihm in den Mund legt, noch seine übersensible Trauer. Etwas sehr Seltenes ist hier geglückt: Wir sehen einen modernen Typen, der cool wirkt, der aber auch sensibel ist. Dieser Typ nun wird in eine der ehrwürdigsten Gestalten aller Zeiten gestopft, doch statt sich davon einschüchtern zu lassen, tut er genau das, was die Story ja auch vorgibt: er spielt einen jungen Mann mit Talent, Selbstzweifeln und kleinen Verrücktheiten, wie es sie Tausende gibt. Ob die Figur Goehte oder Meier heißt ist für sie selbst eigentlich egal, dass es aber gelungen ist, eine so in Marmor gekleidete Gestalt auf eine menschliche Ebene zu holen, ist einmal Verdienst des Drehbuchs, das Fehling einen Goethe spielen lässt, der noch fern von Ruhm und Dünkel ist, zum anderen aber auch Verdienst des Schauspielers, der diese Chance zu nutzen weiß. Effekt: Nicht nur Werther, auch Goethe ist uns nun ein wenig näher gekommen. Dieses leistet Goethe! und für diese Leistung verzeihe ich persönlich ihm auch gerne ein bisschen Diebstahl und sehr viel biographische Ungenauigkeit.
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