Das Teatrul ODEON ist eines der ältesten Kulturstätten Bukarest,s aus dem Jahr 1911, und glücklicherweise eins der wenigen Gebäude die Ceausescus wahnwitzige Zerstörungswut zugunsten seiner Architekturpläne sowie die Revolution 1989 gut überstanden hat. Der Haupteingang und der große Saal sind schon ein schöner Ort für die klassische Vorstellung von einem Theaterbesuch: Ein bisschen Gold, ein bisschen Stuck und ein roter Teppich. Viel besser gefällt’s mir aber im Keller, wo sich die Sala de Teatrului ODEON befindet, die kleine Bühne des Hauses also. Das Foyer ist eine Mischung aus Flohmarkt-Nippes, Stucküberresten und Fabrikhallencharme. Samt gemütlichen alten Plostermöbeln, Freibier in der Pause, und wie überall in Rumänien: kostenloser Gaderobe und Aschenbechern. Allein hier ein, zwei Bier zu trinken wäre schon eine schöne Abendbeschäftigung gewesen, aber der Grund des Besuches sind die austrian dance days, zu denen das forumul cultural austriac buh, als österreichische Kulturforum in Bukarest eingeladen hat.

Überraschenderweise hält sich in der Stadt vehement eine kleine Gruppe tanzbegeisterter Kultureller, die der Szene das Überleben sichern. Seit dem Umbau des Teatrul National hat das Zentrum für zeitgenössischen Tanz Bukarest seine Wirkungsstätte verloren und hat momentan nur einige Büros zur Verfügung. Trotzdem organisiert die Gruppe jedes Jahr ein international anerkanntes Tanzfestival „explore“ und sorgt dafür, dass die Stadt auch weiterhin als kleine Insel für zeitgenössischen Tanz im südosteuropäischen Meer der traditionellen Tanzweisen bleibt.

Daher wundert es also nicht, um zurück ins Teatrul ODEON zu kommen, dass der Raum nicht schlecht gefüllt ist. Einige bekannte Gesichter sind auch zu sehen, denn wie erklärt, ist die Szene doch so überschaubar, dass man sich noch kennt. Als deutsche Praktikantin kenne ich allerdings auch nur die anderen Deutschen. Ein interessantes Phänomen, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Ich bin heute Abend da, um für meinen Arbeitgeber zu recherchieren. Freilich habe ich schon das ein oder andere Stück darstellender Kunst kennengelernt, aber mit zeitgenössischem Tanz habe ich mich bisher noch nie auseinander gesetzt. Mit meinem angelesenen Wissen (das Ganze ist kein Ballett, keine Revue und auch kein Tanztheater, und sowieso „getanzt“ wird auch nicht mehr viel, eher der Körper erforscht) und voller Neugier, was auf mich zukommen wird, stürze ich mich also bei Saalöffnung auf meine Plätze in der ersten Reihe (Danke für die kostenlosen Presseplätze in bester Lage, liebes Forumul culutral austriac!).

Und: Ich bin begeistert von Saskia Hölbling in „exposition corps“!

Diese wirklich faszinierende Dame Ende dreißig hat in den 1990er Jahre in Wien ihre Kompanie „DANS.KIAS“, ein Verein für physische Kommunikation in der darstellenden Kunst, gegründet und wird in ihrem Land sowie international als erfahrende Expertin auf dem Feld des zeitgenössischen Tanzes geschätzt.

Bei ihr steht der Körper im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

 „Also die Sache mit der wir arbeiten, ist eine total lebendige Materie, das sind wir. Aber trotzdem hab ich die Erfahrung gemacht, dass nicht ich mit meinem subjektiven Erinnerungsvermögen, Erfahrungsschatz auf der Bühne stehe, sondern entweder der Körper oder sie. Eine gewisse Distanznahme finde ich gut. So wie ich den Körper verstehe, muss man die Logik der Aufrichtung durchbrechen. Wenn man sich in andere Positionen oder Konstellationen des Körpers begibt, dann beginnt etwas anderes zu denken. Dann denkt mal ein Knie oder eine Schulter und entwickelt ein Eigenleben. Das ist nicht als wäre der Kopf und das Gehirn das Zentrum des Denkens, sondern als wären die Dinge, wie bei einfacheren Organismen, über den ganzen Körper verteilt und jeder hat sein kleines Denken, seine kleinen Wünsche und Sehnsüchte. Es ist unheimlich spannend, als Tänzer in diese Vorstellung hineinzugehen, aber ich bin überzeugt davon, dass diese Zeichen nicht kodiert bleiben, sondern das sie sehr wohl lesbar sind. Mit unserem Vehikel, der Sprechsprache, ist eigentlich gar nichts gesagt. Zu den Worten wird auch irrsinnig viel körpersprachlich mitgeteilt. In welcher Situation etwas gesagt wird, wie es gesagt wird, von wem und in welchem Zusammenhang. Und dazu ist der Körper wichtig. Also ist der Körper Träger der Sätze. Und im Tanz beleuchten wir das, was hinter den Worten steht genauer.“

In der ca. 30 minütigen Performance ist also nicht nur einen in Unterwäsche gekleideten Körper zu sehen, der sich zuckend in einem weißen Quadrat auf der Bühne herumwälzt, sondern wir sehen all die kleinen Wünsche und Sehnsüchte von Saskias Knie und Schulter. Dabei bleibt der Zuschauer nicht unberührt.

Die Bilder, die entwickelt werden, sind nicht konkret. Man kann nachher nicht eine leichte Nacherzählung machen, so wie beispielsweise im Handlungsballett. Das Tanztheater ist schon abstrakter, es arbeitet viel mit Bildern. Im zeitgenössischen Tanz aber spielen die Bilder beschränkt eine Rolle. Es geht viel um den Körper. Also meiner Meinung ist es so: Jeder Mensch hat einen Körper, und mit dem geht er Zeit seines Lebens um, und mit diesem Verständnis einen Körper zu haben, hat man auch unbedingt die Möglichkeiten zeitgenössischen Tanz aufzunehmen. Das ist meine Grundüberzeugung. Bei meiner Arbeit arbeite ich mit unterschiedlichen Gedächtnisschichten im Körper. Das heißt, die Assoziationen, die man hat, durch das, was man sieht, sind nicht nur bildhafte Assoziationen, sondern oft eher als Zuständen zu beschreiben, die man durchlaufen kann, also Assoziationen im weitesten Sinne.“

Dank dem exzellenten Einsatz des Lichtes ist jede Muskelfaser des Körpers auf der Bühne zu erkennen, was das Ganze äußerst ästhetisch macht. Wir beobachten einen Menschen, der keinen Schönheitsidealen aus Frauenzeitschriften entspricht, der ein Kind zur Welt gebracht hat, der aber mit der Perfektion, mit der der Körper beherrscht wird, mit der jeder einzelne Muskel gesteuert wird, zu einem optischen Genuss wird. Eine Frau ohne nervigen Sexappeal, ohne nervige Theater-Nacktheit aber mit erfrischend wenig Scham und einem unendlichen Körperbewusstsein, das in jeder Pore zu beobachten ist. Aus dem Ansatz, den eigenen Körper genau zu studieren, um ihn dann frei auf der Bühne einsetzen zu können, gewinnt nicht nur der Zuschauer einen gelungenen Performance-Abend, sondern auch die Schauspieltheorie einen fruchtbare Arbeitsbasis. Nach der Vorstellung gönne ich mir noch ein Freibier und eine Zigarette und lasse mich vom Smalltalk durch die deutsche Community Bukarests treiben. Aber das ist, wie gesagt, eine anderes Geschichte.