Nachstellung eines Skibidi Kopfes – Assets © Valve via SFM; Faceposing von Dafuq!?

“The present – broken, desolated is constantly erasing itself, leaving few traces. Things catch your attention for a while but you do not remember them for very long. But the old memories persist, intact… Constantly commemorated… I love 19[85]…

Fisher, Mark. Ghosts of My Life: Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures. Winchester: Zero books, 2013, S. 104.

Skibidi Toilet ist der Titel einer seit Februar laufenden Serie auf YouTube. In den Videos, die oft nur wenige Sekunden dauern, wird mit Assets aus dem Spieleklassiker Half Life 2 eine besondere Art der Apokalypse inszeniert. Wie der Titel vermuten lässt, nehmen Toiletten eine zentrale Rolle ein, da sie von singenden Köpfen behaust werden. Diese belassen es jedoch nicht bei ihren Gesangseinlagen, sondern attackieren umstehende Menschen oder andere Entitäten, häufig um sie zu fressen. Innerhalb weniger Episoden beherrschen die Skibidi Toilets die Stadt. Widerstand wird zunehmend effektiv ausgelöscht, da die Toilettenköpfe auf die Größe von mehrstöckigen Häusern angewachsen sind. Alle Hoffnung scheint aussichtslos, doch da taucht eine Gruppe mysteriöser Gestalten auf, die den Körper eines Menschen, als Kopf jedoch eine Überwachungskamera besitzen. Diese Kamera-Männer und -Frauen stellen sich den Toiletten entgegen. Im Verlauf der nächsten Episoden wird ein nicht-endender Aufrüstungs-Wettkampf beider Seiten durchschritten. Die Toiletten werden größer und schneller, lernen das Fliegen oder besitzen mechanische Spinnenbeine. Auch immer größere Schuss- und Sprengwaffen werden entwickelt. Die einzige Konstante ist ihr dämliches Lied, das sie rastlos vor sich hin singen. Auf der Seite der Kamera-Leute kommt es auch zu Wachstumsschüben hin zum Titanen-Niveau, aber auch zu technologischen Upgrades und neuen Allianzen. Die TV-Leute (gleiches Konzept, aber TV), sowie Lautsprecher-Wesen unterstützen den Kampf gegen die Skibidis tatkräftig. In aktuellen Episoden liegt das Umland längst in Schutt und Asche. Titanen, größer als Hochhäuser, liefern sich epische Kämpfe, während die Kamera unter dem Donnern der Hiebe und Schüsse wackelt. 

Die seltsamen Videos sind mittlerweile bei Episode 50 angekommen. Seit Februar wurden die Videos mehr als 4 Milliarden mal auf Youtube geklickt. Eine Episode erhält dabei Aufrufzahlen bis zu dreistelligen Millionenbeträgen. Angesichts der Popularität und gleichzeitigen Absurdität der Skibidi Toilets konnte ich nicht widerstehen, in diese Welt einzutauchen. Um diese Tortur an mir zu rechtfertigen, teile ich nun einige Eindrücke in diesem Artikel.

Shitposting

Zunächst zum Offensichtlichen. Wir sehen Toilettenköpfe, die die Welt erobern, inszeniert mit detailarmen Assets in detailarmen Umgebungen. Eine dämliche Idee wurde einfach und schnell umgesetzt. Inhaltliche Absurdität und Kontingenz im Algorithmus brachten den Videos Aufmerksamkeit, Nachfolge-Teile konnten mit ähnlich wenig Arbeit produziert werden. Skibidi Toilet ist ein Beispiel für low-effort, high-reward, shitpost-content. Hinzu kommt aber eine weitere Zutat: Das Lore. Wenig geschickt, aber ausreichend effektiv werden regelmäßig Verweise auf untergründige Verknüpfungen und (noch) verborgene Geschichten gestreut, stets gepaart mit dem impliziten Versprechen, bald mehr über die Wahrheit hinter Skibidi Toilet preiszugeben. Die Aussparungen laden dazu ein, als Zuschauer*in selbst Hand anzulegen – ob in den Kommentaren, in Videos oder Wikis. Bedeutungslücken werden schnell gefüllt. Ob es einen kohärenten Entwurf von Anfang an gegeben hat, ist ganz egal. Worldbuilding geschieht aus dem Momentum heraus. So wird der Shitpost zum Mythos. 

Ekel und Technologie

Kulturtheoretische Anschlüsse zu Toiletten sind bekanntlich cool, Kenntnisse auf dem Gebiet werden daher für diesen Abschnitt natürlich vorausgesetzt. Skibidis stellen einen besonders interessanten Gegenstand dar, weil sie das Verhältnis zwischen der Schüssel und unserem Ekel verhandeln, wie es selbst neurotische Kulturpessimisten nicht besser könnten. Das, was uns an Toiletten ekelt, ist ja nicht das weiße Porzellan, sondern das, was da drin schwimmt, liegt, oder eben tanzt und singt. Im Falle der Skibidis finden wir einen permanenten Bewohner vor, der noch dazu aufmüpfig wird, ein Ständchen singt und versucht, uns den Garaus zu machen. Das Ziel liegt da auf der Hand: Das Übel muss heruntergespült werden. Die Toilette agiert als neutrale Vermittlerin. Auch wenn die Bewohner uns schaden wollen, können wir uns auf eine zuverlässige Spülfunktion verlassen. Wohin die Skibidis kommen, ist nicht wichtig. Aus den Augen, aus dem Sinn, ob mit Rohranschluss oder nicht. Die Skibidis nutzen ihre Toilets aber auch zur Selbstverteidigung. So wird aus dem Haus eine Waffe. Bei einer Variante sehen wir sogar Modifikationen, durch welche die Skibidi Toilet wie ein Insekt oder eine Spinne läuft – eklig. Generell fallen Gemeinsamkeiten zwischen Skibidis und Krabbelviechern auf. Die große Menge einzelner Skibidis, die sich ausbreiten und in vielen Einstellungen herumkriechen. Auch unsere Angst vor physischem Kontakt und dem damit einhergehenden Ekel übernehmen die Skibidis von abstoßenden Spinnentieren, denen man gerne lieber fern bleibt. Dabei droht der Kopf stets aus der Toilette zu springen, wenn der Skibidi seinen Hals unnatürlich weit dehnt und versucht nach einem zu schnappen. 

Natürlich darf nicht übersehen werden, dass es hier immer menschliche Köpfe sind, unser Ekel sich also auf etwas bezieht, das zumindest menschliche Züge hat, wenn auch in Form eines fast 20 Jahre alten 3D-Models namens Male_07. Dem gegenüber stehen Maschinen. Auffällig ist, dass es sich um analoge Technologie handelt. Es lässt sich somit ein Dualismus ableiten: digital-menschlich vs. analog-technisch. Das Digitale zeigt sich dabei im veralteten und verglichten, wenn die Texturen mit ruckartigen Bewegungen gedehnt und gedreht werden. Die Maschinen laufen derweil ordentlich und sauber. Der Cyberspace als digitaler Reinraum ist interessanterweise hier abwesend. Skibidi Toilet erzählt keine Corporate Fantasy eines Metaverse, sondern findet sich im anrüchigen Gewusel des Shitpostings wieder und findet so den Ekel im Digitalen.

Noise

Skibidi Toilet ist Lärm, Schmutz, störend, ein Shitpost. Das wird in verschiedener Hinsicht deutlich. Fangen wir beim Lied an: ein Remix aus Timberlands “Give it to me” und Biser King´s “Dom Dom Yes Yes”. Lärm wird der Song dann, wenn man ihn in 50 Videos jeweils mehrfach hört, häufig unterbrochen, natürlich viel zu laut. Durch die Dauerbeschallung gräbt sich das Lied dann in den Kopf und lässt sich nur schwer wieder vertreiben. Der Ohrwurm wird dann lautstark im Freundeskreis verbreitet und bald schauen auch die Peers Skibidi Toilet Content. Es tut mir leid. 

Zum Glück gibt es aber die lieben Lautsprecher-Männer, die einen eigenen Hit mitbringen: “Everybody wants to rule the world” von Tears for Fears. In den Videos bringt der Banger aus dem Jahr 1985 die Skibidis zu Fall und verschafft mir, der da am Handy sitzt, gleichzeitig gute Laune. Nach einer halben Stunde Skibidi-Lärm bin ich sehr dankbar für die wohligen 80s Synthis und Reverb-getränkten Vocals. Eine weitere Sonic Weapon stellt der THX-Sound dar, der mit seinem kräftigen Einklang das Durcheinander der Skibidi-Töne wegfegt und so für Ordnung sorgt.

Aber auch abgesehen von den Musikeinlagen geht es bei den Skibidi Toilets äußerst noisey zu. Allgemein folgt der Sound der Maxime: Gain ganz hoch und Kompressor ganz runter. Der Effekt sind Explosionen und Schüsse, die sich immer viel zu laut anhören, auch wenn man den Handyton leiser dreht. Als Mittel, um effektiv die Dimensionen der Titanen-Kämpfe zu vermitteln, ist diese Art der Lautstärkenmaximierung zugegeben einigermaßen wirksam, jedoch kommt es auch schnell zu einem Taubheitsgefühl angesichts der andauernd wummernden Bassfrequenzen.

Melancholie

Skibidi Toilet ist zynisch und als Shitpost entworfen. Ich glaube aber, dass in der Art und Weise, wie sich auf Vergangenes bezogen wird, ein Sehnen steckt, welches jenseits von Content-Monetarisierung liegt, und stattdessen hin zu einem Gefühl kultureller Zuflucht strebt. Um dahin zu gelangen, kehren wir an die Oberfläche zurück. Die Bildästhetik der Skibidi Toilets wird durch die Nutzung älterer Technik bestimmt. Matte Texturen mit niedriger Auflösung, einfache Belichtung und grobe Partikeleffekte. Dazu kommt eine grobschlächtige Geometrie und hakelige Animationen. Darin lässt sich eine unterschwellige Nostalgie wiederfinden. Diese bezieht sich auf die besondere Spielerfahrung, die Klassiker wie Half Life 2 bieten, weil sie aus einer anderen Ära der Videospiele stammen. Man wird eingeladen, sich auf die krude Ästhetik und Mechanik einzulassen, um ein Stück Spielegeschichte retroaktiv nachzufühlen. Damit geht natürlich ein Mysterium einher: dieses einflussreiche Spiel zog so viele in seinen Bann, obwohl es an technische Grenzen gebunden war, die inzwischen in weiten Teilen überwunden wurden. Gleichzeitig sind diese Grenzen angenehm, sie entlasten. Anstatt eines lückenlosen Effektgewitters, wie es aktuelle big-budget Actiontitel versprechen, bestechen Spiele der älteren Generationen durch Aussparungen. 

Aber auch abseits dieser technischen Rahmenbedingungen findet sich ein aufgeladenes Verhältnis zur Vergangenheit wieder. Analoge Technologie schreitet dann zur Rettung, wenn die Skibidis unaufhaltsam scheinen. Die klobigen Designs älterer Kameras und Röhrenbildschirme dienen als bekannte Orientierungspunkte. Auffällig ist der Anteil von Überwachungstechnologien. Angesichts des Chaos wird nach einfacher Ordnung gesucht. Die freundliche Überwachungskamera zeigt uns mit einem Daumen-Nach-Oben, dass wir uns keine Sorgen mehr machen müssen. 

Skibidi Toilet ist Lärm, nicht nur auf klanglicher Ebene, sondern auch in zeitlicher Dimension. Remixe aus den 2020ern kämpfen gegen Pop-Hymnen aus den 80ern. Assets aus den 2000ern tanzen Fortnite-Tänze und kämpfen gegen Maschinen, die nicht jünger als 30 Jahre sind. Dualismen zwischen alt und neu lassen sich irgendwo ausmachen, ein Sehnen nach dem Alten ableiten, aber angesichts der synchronen Überlagerung aller Zeitebenen kann diese Sehnsucht kaum miterlebt werden. Am Ende produziert Skibidi Toilet zeitliche Anomie in Form von postmoderner Gleichzeitigkeit des Gegenwärtigen und des gegenwärtig Vergangenen. Ja klar, es ist ein funny Shitpost, aber nach meinem Deepdive bleibt mir nichts außer ein paar Bildfetzen und Kopfschmerzen.

“Do we really have more substance than the ghosts we endlessly applaud?

The past cannot be forgotten, the present cannot be remembered. Take care. It´s a desert out there…”

Fisher, S. 104