Walter White ist Chemielehrer an einer Highschool in Albuquerque, New Mexico. Ein Oberlippenbartträger mit allen darin enthaltenen Assoziationen zum Spießertum.
Mit der Zeit hat er es zu dem bescheidenen Wohlstand, der einen White Anglo-Saxon Protestant wie ihn ein Stück weit definiert, gebracht: Ein Haus in einer dieser Vorstadtsiedlungen, die alle irgendwie gleich aussehen. Ein anständiger Bürger unter anständigen Bürgern, der seinen Lebensinhalt darin gefunden hat seine Familie zu ernähren und in der Gesellschaft nicht aufzufallen. Das muss wohl nicht immer einfach gewesen sein, denn ein behinderter Sohn ist in der Norm so nicht vorgesehen. Auch sonst wird die Lage zunehmend schwierig: White gehört zu dem Teil der Mittelklasse, die vom Abstieg bedroht ist. In seinem Zweitjob in einer Autowäscherei kann er schon einmal die erniedrigenden Arbeitsbedingungen des Prekariats erleben, wenn Schüler in aufgetunten Autos vorbei kommen und ihm nur allzu deutlich machen, dass er vor ihren Chromfelgen kniend nicht die Respektsperson aus dem Klassenzimmer ist. Doch auch die Erniedrigung und die Sorge darum, wie er in Zukunft seine bald um einen Kopf reichere Familie versorgen soll, erträgt er schicksalsergeben. Bis bei ihm Krebs diagnostiziert wird.
Walter begleitet seinen Schwager Hank, der bei der Drug Enforcement Administration arbeitet und durch seinen aufregenden Beruf für Walter White Junior ein größeres Vorbild ist als sein Vater, bei der Räumung eines Drogenlabors. Dort sieht er als einziger seinen ehemaligen Schüler Jesse Pinkman flüchten. Doch statt ihn zu verraten sieht er hier seine Chance auf einen Job, der zur Abwechslung mal gut bezahlt ist – so gut, dass er die Rechnungen für die teure Chemotherapie begleichen kann. Der Plan ist simpel: er stellt als Chemiker Crystal-Meth, eine billige und hochwirksame Leistungsdroge, her. Jesse soll sich um den Vertrieb kümmern. Denn selbst wenn Drogenproduzent kein bürgerlicher Job ist, so hofft Walter damit die von ihm weiterhin geschätzte bürgerliche Fassade aufrecht erhalten zu können, und als Bonus kann er die Familie weiterhin gottgefällig mit seiner eigenen Hände Arbeit ernähren und braucht nicht die Almosen seiner ehemaligen Kommilitonen anzunehmen, die statt Lehrer zu werden Karriere gemacht hatten.
Soweit der Grundplot der mehrfach Emmy-prämierten Fernsehserie Breaking Bad, die Arte ab Samstag den 9. Oktober um 22 Uhr als deutsche Free-TV-Premiere senden wird. Konfliktpotentiale, die Stoff für bisher drei Staffeln – eine vierte ist in Arbeit – mit insgesammt 33 Folgen liefern, sind schon hier reichlich vorhanden. Doch es bleibt nicht dabei, dass White „nur“ seinen außergewöhnlichen Job vor der Familie verstecken muss und mit seinem Geschäftspartner Jesse Grundsätzlichkeiten der chemischen Produktion und Stoffreinheit zu klären hat, auch die DEA in der Person seines Schwagers, zwielichtige Rechtsanwälte und die Unterwelt von New Mexico und Mexico sorgen für Spannung.
Wie schon die CSI-Serien schafft es Breaking Bad, die ansonsten recht langweilig zu betrachtenden Vorgänge in chemischen Labors, mit Animationen und schneller Monatge als die aufregendste Sache der Welt darzustellen. Ansonsten wirkt die restliche Ästhetik teilweise etwas catoon- oder rauschartig überdreht, was dem Thema durchaus gerecht wird. Doch während bei CSI die Zuschauer_Innen darauf getrimmt werden, das Gesetzt stets als die Guten wahrzunehmen, sind Walter Whites und Jesse Pinkmans Charaktere hier nicht etwa Anti-CSIs, kriminelle Helden, sondern sie sind höchst ambivalent. Walter ist ein Schwein. Um sich vor dem Abstieg zu retten verrät er die ihm bisher wichtigen bürgerlichen Werte, um die ihm noch viel wichtigere Fassade retten zu können. Gleichzeitig zeigt er sich im Zweifelsfall auch seinem Partner gegenüber, der ja schon längst Absteiger ist, zunächst nicht sympathiefähig, solidarisiert sich nicht etwa mit den Absteigern, sondern nutzt sie aus, um seine eigene gesellschaftliche Position noch einmal zu retten. Aber er ist eben auch der tödlich erkrankte Vater, der auf seine letzten Tage zumindest versucht aus dem repressiven Alltag auszubrechen. Sein Partner in Crime Jeff ist als Drogenproduzent als auch -süchtiger Täter und Opfer in einem. Einmal ist er dem arroganten Walter mehr oder weniger hilflos ausgeliefert, aber er ist auch ein naiver Tollpatsch, der beide immer wieder in höchst brenzlige Situationen bringt. Er ist letztendlich genauso Schwein wie Walter, wobei nie ganz klar wird, ob eher ein armes oder ein blödes.
Die Serie baut dabei hohe Spannung auf, die ganz im Krimi-Stil erst in den letzten Minuten gelöst wird oder sich gleich über mehrere Folgen aufbaut. Die Auflösung erfolgt dann meistens auf ungewöhnliche Art, mit viel Glück und Zufall gelingt es den beiden Hauptcharakteren immer wieder die Köpfe aus den Schlingen zu ziehen. Dabei ist der Rassismus von Walters Schwager Hank, in dessen Beuteschema die weißen Mittelklasse-Drogenköche nicht passen, oft behilflich und gibt der Serie zudem, neben Themen wie Ausstieg oder Drogen, einen weiteren Ansatz zu gesellschaftskritischer Reflexion. Da diese Dinge aber nur aufgezeigt und nicht bewertet werden und zudem mit reichlich Action untermischt sind, fehlt der Serie der moralinsaure Beigeschmack, der bei der Sichtbarmachung verschiedener Missstände oft mitgeliefert wird.
Alles in allem ist Breaking Bad eine abgerundete Serie, die unterhaltsam ist ohne doof zu sein und die ohne die bescheuerten Werbeunterbrechungen, die bei den haufenweise von den Privaten aufgekauften amerikanischen Erfolgsserien unvermeidlich sind, noch mehr Spaß machen dürfte.
Hallo Michael,
CSI ist Breaking Bad in der Ästhetik ähnlich – wie das Kochen dargestellt wird, Schnitte, Mise en scene usw. – ansonsten sind die Serien wie geschrieben weit voneinander entfernt. Die Frage ist ja auch, ob Walter jemals ein „Guter“ war. Über den Vorkrebs-Walter wird relativ wenig erzählt und das bisschen deutet darauf hin, dass er ein total flacher Character war, der erst duch die kriminelle Karriere beginnt Profil zu bekommen.
Ich hatte auch die Assoziation zu Kochsendungen, daher die Überschrift. Im Prinzip dreht sich ja auch alles ums Kochen, nur dass hier der Fokus auf dem weitläufigen Drumherum liegt. Mal schauen wann arte die Rezepte aus der Sendung ins Netz stellt. 😉
„Breaking Bad“ ist derzeit mit Abstand eine der besten Fernsehserien überhaupt, und sie „nur“ mit dem eher massentauglichen „CSI“ zu vergleichen wird der inhaltlichen Tiefe und dem hohen Niveau der Produktion überhaupt nicht gerecht.
Denn der beschriebene Grundplot ist ja nur Ausgangssituation für eine Reihe interessanter Fragen. Neben der unterschwelligen Kritik am amerikanischen Gesundheitssystem, das einen guten und durchschnittlichen Bürger wie Walter zwingt, kriminell zu werden, beeindrucken mich am meisten die psychologischen Fragen, die in vielen Folgen auftauchen. Nämlich immer dann, wenn Walter gezwungen ist an seine Grenzen zu gehen und man förmlich fühlen kann, welche Gedanken ihm gerade durch den Kopf gehen. Ich denke da zum Beispiel an die fast kammerspielartig anmutende Folge, in der Walter eine Geisel in Jesses Keller hält und mit ihr ins Gespräch kommt. Oder die Sequenz aus der zweiten Staffel, als Walter Zeuge wird, wie Jesses Freundin eine Überdosis nimmt. Man spürt dabei als Zuschauer regelrecht, wie in Walters Brust zwei Herzen schlagen: das des biederen Familienvaters und Lehrers und das des eiskalten und skupellosen Geschäftsmannes. Und das ist in meinen Augen das Thema der Serie: mitzuerleben wie jemand (wie der Titel schon sagt) „auf die schiefe Bahn gerät“ und wie die äusseren Umstände einen Charakter formen können.
Das „Breaking Bad“ dabei so gut und mitreissend ist liegt zum einen natürlich an den genialen Drehbüchern von Vince Gilligan, der es im Vergleich zu einigen anderen Autoren jede Woche aufs Neue schafft, hervorragende Geschichten zu erzählen und seine Charaktere ernst zu nehmen. Hauptsächlich ist der Erfolg der Serie aber zweifelsohne Bryan Cranston geschuldet, der in der Hauptrolle zur Höchstform aufläuft und zu recht drei Jahre in Folge dafür mit dem „Emmy“ als bester Schauspieler in einer Dramaserie ausgezeichnet wurde. Cranston beweist, dass er mehr kann als den trotteligen Dad aus „Malcolm mittendrin“ zu verkörpern und macht Walter White – oder „Heissenberg“, wie er in Insiderkreisen genannt wird – zu einer wunderbaren Figur, die einen mitleidig berührt und im nächsten Moment angeekelt abstösst, aber stets sympathisch bleibt und nachvollziehbar handelt.
Damit steht „Breaking Bad“ in einer Reihe mit anderen erstklassigen Serien wie „Rescue Me“ oder „Dexter“, deren Hauptfiguren ebenfalls zwischen Gut und Böse hin- und hergerissen sind, dabei aber die Sympathie des Publikums immer auf ihrer Seite haben. Keiner deutschen Produktion wird dieses Kunststück je gelingen, weil einheimische Film- und Fernsehmacher einfach nicht diesen Mut und dieses Talent haben, sondern lieber auf Ärzte, Nonnen und Anwälte setzen – wie bedauerlich!
Mein Fazit: dank „Breaking Bad“ macht Fernsehen Spass, macht Medienwissenschaft Spass und machen herbstliche Abende in Bayreuth Spass. Unbedingt einschalten, Daumen nach oben!