Ahzumjot – Alles
Gerade für Deutschrap war 2017 ein starkes Jahr, doch neben Größen wie Casper, Cro oder RIN gehen kleinere Künstler oft unter. Gerade bei Ahzumjot zu Unrecht, schließlich hat der stilsichere Performer dieses Jahr sowohl bei Quantität als auch Qualität richtig angezogen und die Konkurrenz mächtig alt aussehen lassen.
Alleine in diesem Jahr hat der Halb-Ghanaer sage und schreibe zwei Alben und eine Single rausgebracht. Im Gegensatz zur Konkurrenz rappt Ahzumjot aber nicht “nur” auf Beats von anderen Künstlern, sondern produziert von Drums bis Adlibs jeden Ton seiner Musik komplett eigenständig. Das lässt sich besonders gut beim Eröffnungstrack des Albums “Luft und Liebe” hören.
“Alles” beginnt mit einem extrem ruhigen, verträumten Beat, der scheinbar auf einen Lovesong einstimmt. Der wird aber urplötzlich von einer gänzlich anderen Melodie unterbrochen, die wesentlich ernster und düsterer klingt. Zum Finale spielen sie dann aber plötzlich gleichzeitig auf – und ergänzen sich perfekt. Das Ergebnis ist episch, berührend und erstaunlich, was diesen Song mit großem Abstand zu meinem Favoriten 2017 kürt.
Loyle Carner – NO CD
Wie bei Imanuel stammt mein Lieblingssong 2017 ebenfalls vom Anfang des Jahres. Der britische Rapper Loyle Carner brachte nämlich genau dann sein erstes Studioalbum „Yesterday’s Gone“ heraus und erreichte somit über die Empfehlung eines Freundes meine Ohren.
Beim ersten Hören habe ich nicht damit gerechnet, dass ich das Album monatelang immer und immer wieder hören würde. Für meine Auswahl in dieser Liste stand “Yesterday’s Gone” also fest, nun musste ich mich aber natürlich entscheiden welcher Song mein Favorit ist. Die Entscheidung fiel schwer, aber wenn ich jemandem Loyle Carner zeigen will, ist der erste Song immer “NO CD”.
Der Song beginnt mit einem energetischen Gitarrensample, zu dem ein tanzbarer Old-school-Beat einsetzt, bei dem ich immer wieder mit dem Kopf mitnicken muss. Lyrisch hören wir, wie bei allen Songs des Albums, persönliche Texte über Carner’s Familie, Beziehungen, Krisen und das Aufwachsen in Süd-England. “NO CD” ist eine Hommage an das Samplen, an das durchstöbern von alten Platten auf der Suche nach den richtigen Hi-Hats oder Gitarrenriffs, und nicht zuletzt an Hip-Hop Legenden wie, Jay-Z und Ol’ Dirty Bastard. Das Ergebnis ist ein aufgeladener, mitreißender Track, der für mich der bedeutsamste Song 2017 war.
Illa J – Sam Cook
Vor Allem die beeindruckende Stimme war es, mit der mich Rapper Illa J, (mit bürgerlichem Namen Derek Yancey), für sich begeistern konnte. Sein Stil ist geprägt von Einflüssen aus Soul, RnB und Rap, der insgesamt an die (sehr) späten 90er erinnert.
Das lässt sich besonders gut an seiner Debut-Single “Sam Cook” aus dem Album “Home” raushören. Sein hoher, glasklarer Gesang erzeugt richtig gute Vibes und beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue.
Das ist aber nicht der Grund, warum ich Illa J unbedingt in dieser Bestenliste sehen wollte. Nein, mir geht es viel mehr um den Youtube Channel Colors, den ich durch diesen Song entdeckt habe. Der Channel bietet eine sehr ästhetische Plattform für unterschiedlichste Interpreten und Genres aus aller Welt. Das Besondere daran ist, dass diese Künstler dann meist eher unbekannt und gerade erst am Anfang ihrer Karriere stehen. Man könnte also sagen, dass ich durch ein richtig gutes Lied auf eine Goldmine voller richtig guter Lieder gestoßen bin.
Bonobo – Kerala
Der britische Künstler Bonobo wird den meisten hierzulande wahrscheinlich eher kein Begriff sein. Dabei ist seine Musik so wunderbar verträumt und fernab von Allem, was der Mainstream sonst so zu bieten hat. Was seinen Sound primär ausmacht sind einerseits die sehr minimalistisch gehaltenen Beats, die dann teilweise durch Samples oder in einigen Fällen auch durch weibliche Vocals ergänzt werden.
Anfang dieses Jahres veröffentlichte Bonobo sein aktuelles Album „Migration“. Auf diesem befinden sich neben Tracks, die auch bekannte Künstler wie beispielsweise Nick Murphy (ehemals Chet Faker) featuren, auch der Track Kerala. Er fängt typischerweise mit einem sehr sanften Beat an, nur um dann kurze Zeit später durch einen sehr dominanten Bass und ein Sample unterbrochen zu werden, was im weiteren Verlauf des Tracks immer wieder zu hören ist. Interessanterweise entspringt dieses Sample dem Song “Baby” der Künstlerin Brandy, die man so absolut nicht dem üblichen Portfolio von Bonobo zuordnen würde. Dennoch funktioniert das vom Künstler angepasste Sample hier so dermaßen gut, dass mir gerade dieser Song so hartnäckig im Gedächtnis hängen geblieben ist.
Ich muss jedoch gestehen, dass das herausragende Video zum Song auch maßgeblich dazu beigetragen hat, weshalb es definitiv einen Blick wert ist.
Faber – Wer nicht schwimmen kann der taucht
Faber ist ein junger Musiker mit der Stimme eines alten Mannes. In seinem poetischen Debütalbum Sei ein Faber im Wind schlüpft er in verschiedene Rollen, um sich mit den Problemen seiner Zeit zu beschäftigen. Dabei blickt Faber gerne in Abgründe, die so tief sind wie seine Stimme. Seine Texte sind ironisch, bitterböse und verspielt. Er ist poetisch und politisch zugleich, ohne dabei einen moralischen Zeigefinger vorzuhalten.
Das Video zu Wer nicht schwimmen kann der taucht besteht aus einer statischen Plansequenz. In dieser Ruhe besingt er den Sturm. Faber chillt cool am Pool, während er aus der Sicht eines “Ich-bin-kein-Rassist-aber”-Menschen über die Flüchtlingskrise singt. So kommt es, dass er sich “im Liegestuhl am Swimmingpool am Mittelmeer” erholt und dort den “Schlauchbooten beim Kentern” zusieht. Wer da nicht schwimmen kann, der soll eben tauchen.
Faber ist politisch unkorrekt, wenn er im Gossenslang über die Verkommenheit der selbstverliebten Millennials singt. Doch gerade, da er sich über die Grenzen des guten Geschmacks und der politischen Korrektheit traut, trifft er momentan den Nerv der Zeit wie kaum ein anderer Künstler. Es wirkt, als wäre Böhmermanns satirische Kritik an den inhaltsleeren deutschen “Pop-Poeten” erhört worden.
Carach Angren – Charles Francis Coghlan
Symphonische Elemente und Black Metal passen nicht zusammen? Mit ihrem nunmehr fünften Album “Dance And Laugh Amongst The Rotten” beweist Carach Angren, eine dreiköpfige Band aus den Niederlanden, erneut das Gegenteil. Die Band veröffentlichte bisher ausschließlich Konzeptalben, die sich allesamt mit düsteren Geistergeschichten befassten.
Besonders hervor sticht das Lied “Charles Francis Coghlan”, in dem die Geschichte der namensgebenden Person erzählt wird: Sein Sarg wird von einem Schiff geschmissen und treibt nun auf den Weiten des Ozeans umher. Diese einzigartige Stimmung spiegelt sich auch in der Musik selbst wieder, denn durch den treibenden Rhythmus fühlt man das stetige Auf und Ab der Wellen nahezu selbst. Das Zusammenspiel von Streichern, einem Klavier, Blast Beats und Gitarrenriffs haut mich jedes mal aufs Neue vom Hocker.
Kublai Khan – The Hammer
Die texanischen Jungs von Kublai Khan fokussieren sich in ihrer Musik auf Sozialphobie und andere emotionale Hindernisse, so auch in ihrem neuesten Album “Nomad”. Noch stärker als je zuvor geht die Band in Sachen Härte dabei voll aufs Ganze.
Der Vorzeige-Song des Albums: “The Hammer”. Brachiale Sounds, die in Aggression den Schmerz der Menschen ausdrücken, fliegen einem hier um die Ohren. Wenn man harte Musik, Breakdowns oder auch Beatdowns im Mosh Pit mag, dann ist das hier genau das Richtige. Der Song fängt perfekt die Stimmung einer Club Show und ihrer Energie ein, die einen nicht mehr ruhig sitzen lässt.
Mit eindrucksvollen Riffs, tiefem Bass und rhythmischen Drums ist viel für die Core Community da, um auch den ein oder anderen Move im Pit auszupacken. Abgesehen von den Instrumentals weiß außerdem auch Sänger Matt Honeycutt mit einer beeindruckenden Energie im Gesang zu überzeugen, mit der er verletzten Leuten eine Stimme verleiht. “The Hammer” von Kublai Khan ist einfach ein richtiges Brett und fährt ein Maß an Härte auf, dass fast nicht zu überbieten ist.
Sam Lee & Daniel Pemberton – The Devil and The Huntsman
Ein Muss für alle Fans des Mystischen und Epischen! Der Trailersong „The Devil and the Huntsman“ zu King Arthur: Legend of the Sword, der im Mai 2017 in die Kinos kam, verursacht bei jedem, der düstere Musik mag, reichlich Gänsehaut. Eine sehr gefühlvolle aber doch kräftige Stimme gepaart mit einem immer hektischer werdenden Klangerlebnis vereinigen sich mit dem stark unheilvollen, dunklen Songtext zu einem fantastischen Soundtrack, welcher sich besonders durch das hervorstechende Bass-Dröhnen im Kopf festsetzt.
Die abscheuliche Angst vor dem Tod, welche im Song durch den Teufel symbolisiert wird, zieht sich durch die gesamten Zeilen und frisst den im Text genannten jungen Jägersmann förmlich auf. Dieser weiß, dass ihm sein baldiges Ende bevorsteht, da er wahrscheinlich bald in den Krieg ziehen muss. Da er mit diesem Wissen nicht leben will, greift er zu harten Mitteln…
Begleitet wird diese Geschichte von vielen verschieden lauten Tönen, welche fast an ein Wolfsgeheul erinnern und im Kopf das Bild einer rabenschwarzen Nacht erzeugen. Das Eintauchen in eine ganz andere, finstere Welt, was diesem Song immer wieder aufs Neue gelingt, macht ihn zu meinem Song 2017.
Patrick & Ralph Carney – Bojack Horseman Theme
Wer schon mal eine Folge von Bojack Horseman gesehen hat, der kennt bereits die einzigartige Atmosphäre, die direkt zu Beginn jeder Episode durch den wunderschönen Introsong etabliert wird. Überraschenderweise stammt der Track von Patrick Carney, dem Schlagzeuger der Black Keys, und seinem kürzlich verstorbenen Onkel Ralph. Die beiden machten seit Jahren zusammen Musik und schickten schon Kassettenbänder hin und her, als Patrick noch ein Teenager war. Um sein neues Homestudio einzuweihen, begann Patrick mit diesem ganz besonderen Track. Er schickte seine gelayerten Keyboard- und Schlagzeug-Spuren Onkel Ralph, der das Tenorsaxophon hinzufügte und den Rest des Songs ausarbeitete.
Das Lied wäre vielleicht irgendwo in der Versenkung verschwunden, wäre Noel Bright, der Executive Producer von Bojack Horseman, nicht gewesen. Bright war ein bekennender Black-Keys-Fan und fragte Patrick, ob er daran interessiert wäre, den Intro Song beizusteuern. Daraufhin schickte Patrick ihm die Spur von ihm und seinem Onkel. „Wir wussten, dass es richtig war, als wir es hörten“, bemerkte Bright.
Ich benutze das Lied seit kurzem übrigens als meinen morgendlichen Wecker, wodurch ich jeden Tag wie ein abgewrackter Hollywoodstar beginne. Wenn auch nur für ein paar Sekunden.
Big Shaq – Man’s Not Hot
Für mich gab es dieses Jahr tatsächlich nur einen Song, bei dem ich niemanden sah, der nicht mitfeierte: Man’s Not Hot von Big Shaq. Der Grund?
Man’s Not Hot ist dämlich. Sehr. Sehr. Dämlich.
Wenn Big Shaq uns schnell Mathematik beibringt (“Two plus Two is Four”) oder mit onomatopoetischer Sprachgewalt ein Maschinengewehr entfesselt (“The ting goes skrrrahh! Pap, pap, ka-ka-ka!”), dann ist das aber nicht einfach nur herrlich dumm, sondern auch clever beobachtet.
Denn Big Shaq heißt eigentlich Michael Dapaah und ist Comedian, der dümmliche Londoner Vorstadt-Rapper eine Rolle und der Song eine Parodie auf die Hip-Hop Entwicklung der letzten Jahre. In einem Jahr, in dem Lyrics wie “Gucci gang, Gucci gang, Gucci gang, Gucci gang” als Refrain durchgehen, antwortet Dapaah einfach mit Nonsens wie “I’ve got the sauce, no ketchup, Just sauce, raw sauce, Boom”. Der Song spielt dabei mit Genre Elementen wie Adlibs, Namedropping oder Reimschemata, die trotz ihrer Sinnlosigkeit so überzeugend eingebaut sind, dass Millionen von Menschen nicht aufgefallen ist, dass es sich um eine Parodie handelt. Und selbst das ist eigentlich zweitrangig.
Man’s Not Hot funktioniert nämlich auch als bloße Unterhaltung und mag in den Ohren mancher Hörer erstmal ein “Wtf-happened-to-music” auslösen. Doch genau das ist der Sinn davon. Weit weg waren wir 2017 nämlich nicht mehr von “Hop out the four-door with the .4 4, It was 1 2 3 and 4, Chillin‘ in the corridor, your dad is 44.” Da dürfen sich die Songs des Jahres 2018 mal ein bisschen anstrengen.
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