Loving Vincent

Ok, vielleicht ist es ein klein wenig ungerecht, diesen Film hier aufzuzählen. Schließlich erschien er erst am 28.12.17. Andererseits läuft er ohnehin in kaum einem Kino und vielleicht kann ich ja den einen oder anderen von euch dazu überzeugen, den Film nächstes Jahr zu sehen.

Das wohl auffälligste Merkmal des Films ist sein Artstyle. Dieser Besteht ausschließlich aus Ölgemälden von über 100 Artists, welche sich stark an Kunstwerken von Vincent Van Gogh orientieren. Selbst im Kino wirkt das Gesehene aufgrund einer sehr statischen “Kamera” und einem Seitenverhältnis von 1,33:1 stark wie ein Gemälde. Die Handlung muss sich jedoch überraschenderweise nicht hinter der grandiosen Bildebene verstecken. Armand, der Sohn eines Postboten bekommt von seinem Vater einen Brief des bereits verstorbenen Vincents in die Hand gedrückt und wird dazu aufgefordert, ihn dem nähesten Verwandten zuzustellen. Auf seinem Weg lernt Armand viele Menschen kennen, die ihm von Van Gogh und seinem Ableben erzählen. Schnell muss er lernen, dass er nicht allem Glauben schenken sollte. So baut sich eine Kriminalgeschichte mit stark biografischen Zügen auf.

Jeder, der sich auch nur ansatzweise für Kunst interessiert, oder einfach nur eine gut erzählte Geschichte mag, sollte sich diesen Film ansehen!

Berlin Syndrome

Gleich vorneweg: Müsste ich das intensivste Kinoerlebnis des Jahres bzw. der letzten Jahre bestimmen, dann wäre das Berlin Syndrome. Ich liebe diesen Film, aber ich will ihn nie wieder sehen.

Dabei beginnt das Ganze noch relativ harmlos. In den ersten 20 Minuten begleitet der Zuschauer die australische Touristin Clare (Teresa Palmer) auf ihrem Erkundungstrip durch Berlin. Man ist bei ihr, wenn sie, nur mit Rucksack und Kamera ausgestattet, nach Deutschland kommt und die Straßen der deutschen Hauptstadt erkundet. Man ist bei ihr, wenn sie mit spontanen Bekanntschaften Parties auf Hochhausdächern feiert. Man ist bei ihr, wenn sie den sympathischen Englischlehrer Andi (Max Riemelt) kennen lernt. Und man ist bei ihr, wenn Andi sie in seiner Wohnung einsperrt. Was darauf folgt, ist nichts für schwache Nerven.

So klischeehaft dieser Satz auch klingen mag, so wahr ist er auch. Berlin Syndrome zeigt uns ein Szenario, dass so schon hunderte Male im Kino zu sehen war, aber selten eine derartige Intensität erreicht hat. Es ist das Wechselspiel zwischen dem krassen Entführungsszenario und banalen Alltagssituationen, das Berlin Syndrome so nervenaufreibend macht. Andi geht Einkaufen, fragt Clare nach ihrer lieblings Pasta, vergewaltigt sie, witzelt mit Arbeitskollegen, spricht mit seinem Vater über Ängste, Hoffnungen und Träumen und schenkt Clare einen Hund. Der Wechsel zwischen nettem Typen und kranken Psychopathen wird für Clare und den Zuschauer immer verstörender. Mit jeder Szene wächst das Unbehagen, das flaue Gefühl im Magen, dass selbst viele Horrorfilme nicht erreichen. Mit jeder Szene wünscht man sich, die Tür zu Andis Apartment würde endlich aufgehen.

Berlin Syndrome ist kein Film für jeden. Von der ungewohnt realistischen Gewalt, über den genial verstörenden Antagonisten, bis hin zu der schieren Panik, die Clare und der Zuschauer fühlen. Berlin Syndrome ist eine cinematische Grenzerfahrung und damit einer der übersehensten, aber sehenswertesten Filme 2017.

Silence

Noch im Kinosessel, konnte ich nicht sagen, ob ich ihn mochte, aber ein halbes Jahr später ist Silence einer meiner Lieblingsfilme geworden.

Silence  ist ein Erlebnis und zieht einen in seinen Bann. Zweieinhalb Stunden begleiten wir Andrew Garfield als Pater Rodrigues bei seiner Reise durchs Japan des 18. Jahrhunderts.

Im Groben ist Silence ein Abenteuerfilm. Doch im Gegensatz zu einem Spielbergfilm, bei dem ich empathisch durch eine Figur das Abenteuer erlebe, habe ich bei diesem Film stets einen Abstand zur Hauptfigur und bewerte sein Handeln ständig neu.

Den Kopf völlig ausschalten, konnte ich während des Films daher nicht. Fragen wirft der Film viele auf, man sollte aber nicht erwarten auch die Antworten zu bekommen.

Als ich aus dem Kino gegangen bin, fühlte ich mich allein zurück gelassen. Ich war schon fast wütend und ungläubig über das Ende. Dann habe ich angefangen darüber nachzudenken was es denn nun war. Ich wusste nicht genau, wie ich die Hauptfigur bewerten soll. Es schwankte während des Filmes zwischen Mitleid, Sympathie und tiefster Abneigung. Aber gerade deswegen fühlt sich Silence so anders an. Vor allem im Vergleich zu den letzten Werken von Scorsese sticht Silence heraus. Keine Drogenexzesse, kein Gangstermilieu und vor allem: Sehr viel Stille. Kein treibender Soundtrack, keine ausufernden Dialoge.

Silence ist anstrengend und fordert einiges vom Zuschauer. Blind empfehlen kann ich ihn daher nicht, aber jeder der sich für die Thematik interessiert und sich von großartigen Bildern begeistern lässt, wird empfänglich sein für die Faszination die Silence mit sich bringt.

Simpel

Deutsch, Tragikomödie, Buchverfilmung. Die Kombination dieser drei Dinge sorgt normalerweise für seichte 08/15 Unterhaltung à la Schweiger/Schweighöfer. Nicht so bei Simpel, dem neuen Film von Markus Goller (Friendship).

Die Story um Ben (Frederik Lau), der mit allen Mitteln das Sorgerecht für seinen geistig zurückgebliebenen Bruder Barnabas (David Kross) erhalten will, ist zwar nicht immer ganz frei von Klischees, weiß aber durch hervorragende Schauspielleistung und die wunderbare Chemie der beiden Hauptdarsteller zu begeistern. Vor allem David Kross beeindruckt in der Rolle des liebenswürdigen Barnabas. Mit viel Feingefühl porträtiert er einen Jungen, der eben zu “Simpel” (sein Rufname im Film) ist für die Welt, und der die Pflege seines Bruder braucht. Doch so sehr Simpel auf Ben angewiesen ist, so sehr ist Ben auch von Simpel abhängig. Sein ganzes Leben hat er sich schon um seinen Bruder gekümmert, hat dafür eigene Träume geopfert und kann sich nicht vorstellen, jemals ohne Simpel zu leben. Frederick Lau beweist in der Rolle des sich aufopfernden Bruders einmal mehr, dass er zu den besten Schauspielern Deutschlands gehört.

Im Laufe der Handlung entwickelt sich Simpel zu einem Roadmovie, wenn sich die beiden Brüder auf den Weg nach Hamburg machen. Hier besticht der Film durch skurrile Charaktere, Situationskomik und wunderschöne Aufnahmen der Hansestadt.

So sehr die deutsche Kinolandschaft  2017 auch mit schlechten Komödien (Auf der anderen Seite ist das Gras viel Grüner) oder einfallslosen Fortsetzungen (Fack ju Göhte 3) auffiel, so sehr zeigte sie mit Simpel, dass man den deutschen Film noch nicht abschreiben sollte.

Die Erfindung der Wahrheit

Der Politthriller mit Jessica Chastain startete eigentlich schon 2016 in den USA, kam bei uns aber erst am 6. Juli 2017 in die Kinos. Ist ein ein so großer Zeitraum zwischen den Veröffentlichungen normalerweise ein Grund zur Sorge, so ist Die Erfindung der Wahrheit jedoch die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Chastain dabei zu beobachten, wie sie als  knallharte, karriereorientierte Lobbyistin die Seiten wechselt und einen PR-Krieg gegen die Waffenlobby entfesselt, ist von der ersten bis zur letzten Minute spannend und zwingt einen des Öfteren zum angespannten Fingernägelkauen. Es ist dabei vor allem die Entwicklung und Darstellung seiner Hauptfigur, die den Film zu etwas Besonderem macht. Die von Jessica Chastain gespielte Elisabeth Sloane erlebt nicht die typische “vom Saulus zum Paulus” Charakter/Klischee-Wandlung. Sie legt ihre intriganten und skrupellosen Methoden nicht ab, sondern setzt diese lediglich für eine andere Sache ein. Vereinzelt zeigt uns Chastain jedoch auch Momente der Erschöpfung und Unsicherheit, was den Charakter der eiskalten Powerfrau erdet und realitätsnaher wirken lässt. Ein Mensch der 24 Stunden am Tag unberechenbar, unnahbar und undurchsichtig ist? So was gibt es eben nicht. Oder der dieser Mensch leidet eben auch darunter.

Genau diese starke und ambivalente Darstellung seiner Hauptfigur und die mit Twists gespickte Handlung sind es, die Die Erfindung der Wahrheit  zu einem der interessantesten und spannendsten FIlme 2017 machen.

(Bonus: Zum ersten Mal in der Geschichte des Kinos, der Übersetzung und der Menschheit, ist die deutsche Titelgebung besser als das englische Original. Die Erfindung der Wahrheit klingt dann doch deutlich spannender als das nichtssagende Miss Sloane.)

A Ghost Story

Der auf dem Sundance Film Festival Premiere feiernde Film A Ghost Story von David Lowery (bekannt durch Elliot, der Drache), ist wohl einer dieser Filme, von denen man von Freunden erzählt bekommt, ihn aber selbst nicht sieht. Warum dies ein Fehler ist, möchte ich kurz erklären:

A Ghost Story ist mit seinen 90 Minuten recht kurz; auch die Story ist schnell zusammengefasst: C (gespielt von Oscargewinner Casey Affleck) und M (gespielt von Rooney Mara) sind ein Paar und leben in einem kleinen Häuschen irgendwo in Texas. C stirbt und kehrt als Geist zurück (keine Sorge, es ist kein Film mit Patrick Swayze). Fertig. Das ist alles, was man von der Story wissen muss, denn was nach diesen fünf Minuten passiert, ist schwer in Worte zu fassen: der Film handelt von Trauerbewältigung, nicht nur für M, sondern auch für den Geist und das macht der Film auf eine besondere Art und Weise.

In einigen Momenten wird sich unglaublich viel Zeit gelassen und einzelne Bilder werden sehr lange gehalten, ohne, dass etwas passiert. So bekommt M im Laufe des Films z.B. einen Kuchen und isst diesen komplett auf, während die Kamera statisch auf sie gerichtet ist. Diese Szene dauert fünf Minuten oder länger und obwohl wir nur „ein Bild“ sehen, passiert viel: man fühlt sich als Zuschauer irgendwann unwohl, möchte, dass der Film endlich weiter läuft und wir neue Dinge sehen. Was für einen Teil der Zuschauer unerträglich war, weshalb auch viele das Kino verlassen haben, ist für andere wundervoll. Ghost Story lässt sich nun mal Zeit. Die Verarbeitung der Trauer wird eben nicht in vielen Bildern und Dialogen erzählt, sondern langsam und mit wenigen Mitteln.

Der Film handelt vor allem von Zeit. Das wird klar, wenn man sich mal das Poster anschaut „It’s all about time“ ist das Leitmotiv des Films. Wer also Lust auf etwas Außergewöhnliches hat, eine unglaubliche Leistung der Schauspieler (ja, Casey Affleck ist 90% unter dem Laken und es funktioniert dennoch!), wundervolle Bilder und einen tollen philosophischen Aspekt hat, sollte sich diesen Film unbedingt anschauen.

Tipp: legt alle ablenkenden, technischen Geräte weg. Der Film braucht Zeit und die muss man ihm auch geben!

Split

Zugegebenermaßen, M. Night Shyamalan war in den letzten Jahren nicht gerade dafür bekannt, spannende und spaßige Kinoerlebnisse zu inszenieren. Was ihm allerdings mit dem Psychothriller Split und vor allem dessen Ende gelungen ist, wird wohl lange in den Köpfen der Zuschauer bleiben. Ohne viel von der Story vorweg zu nehmen: Drei Mädchen werden von einem Mann entführt, welcher unter multipler Persönlichkeitsstörung leidet und daher 23 verschiedene Personalitäten in einem Körper vereint.

Wer diesen Film bisweilen noch nicht gesehen hat, der sollte unbedingt die Finger von einer vorangehenden Recherche lassen und sich stattdessen auf eine ihm unbekannte und wendungsreiche Geschichte einlassen. Während die gesamte schauspielerische Leistung aller Beteiligten durchaus glaubwürdig ist, sticht insbesondere James McAvoy, den meisten bekannt als der junge Charles Xavier aus der X-Men Reihe, hervor. Er verkörpert den Entführer samt all seiner facettenreichen Erscheinungsformen und zeigt uns, dass er sein Werk vollends beherrscht. Ebenso ist die beklemmende und etwas mysteriöse Atmosphäre einer der Gesichtspunkte, die den Film so kurzweilig machen. Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgesetztseins eines scheinbar Wahnsinnigens, bieten eben einfach keinen Platz für spaßiges Gelächter, sondern halten einen stets angespannt. Man ertappt sich förmlich, wie man die Gedankengänge der drei Mädchen oder anderer Charaktere mitverfolgt.

Alles in allem ist Split ein überraschender und spannender, leider etwas untergegangener, Film aus diesem Jahr gewesen, der insbesondere durch gute Regiearbeit und schauspielerische Leistung hervorsticht. Mit einer Länge von ca.118 Minuten besitzt Split eine, für die Story, angemessene Laufzeit, welche für einen erlebnisreichen Abend sorgen wird, bei dem vor allem das Ende bereits etablierten Filmfans zu gefallen weiß.

Axolotl Overkill

Mifti, eine 15-Jährige zwischen erwachsenen Kindern. Das Leben als Künstlerkind ist voller Erlebnisse, Kämpfe und Selbstzerstörungsdränge. Auf der Suche nach sich selbst und der Rebellion trifft sie eine derangierte Schauspielerin, die genauso wütend ist und genauso wenig mit dem Leben zurecht kommt. Mifti erlebt eine unschuldige Liebe mit einer verführerischen Frau, die auch ihre Mutter sein könnte.

Dabei ist es die Teenagerin, die erwachsen, rational und stark im Vergleich zu ihrer Umgebung handelt. Ob Künstler oder nicht, jeder will ihr ans Bein pissen. Ihre Antwort darauf: „Steh‘ auf Fotze und verbeug‘ dich!“

So hart wie ihre Aussagen und die Situationen sind, so melancholisch, witzig und total absurd sind die kurzen Atempausen. Schön zu sehen, dass eine wirklich starke Seele nichts aus der Bahn bringen wird. Auch nicht die erste große Liebe.

Mitwirkende: Christoph Dörr, Luis Neumann Pérez, Patrick Fleischer, Fabian Weber, Simon Schuhmann, Alina Yklymova