Alles ist gut

Janne wird nach einem Klassentreffen von einem ihrer ehemaligen Klassenkameraden vergewaltigt. Beide sind betrunken. Beide sind sich anschließend darüber bewusst was passiert ist. Janne versucht ihr Leben weiterzuleben, als ob nie etwas passiert wäre. Durch Aenne Schwarz’s grandiose Darstellung hört man förmlich wie sie versucht sich einzureden, dass alles gut sei. Doch natürlich ist es das nicht. Dies wird spätestens klar, als sie festellen muss, dass ihr Vergewaltiger Martin in ihrem neuen Beruf ihr Vorgesetzter ist. Interessant ist, dass Martin alles andere als ein eindimensionaler Charakter ist. Er bereut das Geschehene und versucht, wenn auch sehr unbeholfen, Janne in dieser schweren Zeit zu helfen. Janne kapselt sich jedoch immer weiter ab, woran einerseits sie und andererseits ihr gesamtes Umfeld leidet. Diese scheinbare emotionale Kälte ist teilweise für den Zuschauer nur schwer erträglich und gleichzeitig das Alleinstellungsmerkmal des Films.

  • Christopher Dörr

Familiye

2018 setzte man sich in Deutschland so stark wie schon lange nicht mehr mit dem Dasein als Ganster auseinander. Doch aus der Masse aus Nur Gott kann mich richten,  Asphaltgorillas, Dogs of Berlin und einigen anderen Mitstreitern stach ein Film heraus: Familiye.

In dieser Milieustudie, die nicht zuletzt aufgrund der Farbgebung an La Haine erinnert, muss der frisch aus dem Gefängnis entlassene Danyal Verantwortung für seine zwei Brüder übernehmen, da der spielsüchtige Miko auf einem Schuldenberg sitzt und der mit Down-Syndrom geborene Muhammed aufgrund der familiären Probleme in ein Heim gesteckt werden soll. Anders, als in den vorab genannten Titeln, nimmt man hier die Handlung und die Charaktere zu 100% ernst und versucht nicht sie ironisch zu brechen. Die intimen Momente innerhalb der Familie wirken sehr authentisch und dementsprechend wirken Szenen, in denen Charaktere völlig kalt agieren, um so krasser. In Zukunft würde ich mir gerade von deutschen Kino mehr von diesen Mut zur Mehrschichtigkeit wünschen.

  • Christopher Dörr

Climax – Tanz und Terror

Mein persönliches Filmhighlight 2018 war Gaspar Noés Interpretation eines psychedelischen Horrortrips Climax.

Einem bunten Tanzensemble aus 21 einzigartigen Charakteren wird ohne deren Wissen das Psychedelikum LSD verabreicht, wodurch sich die Party nach einer Probe in einen maßlos grotesken Exzess aus Panik, Sex und Gewalt steigert.

Gaspar Noé schafft es, in dem 93-minütigen Low-Budget-Film nicht nur das Verhalten vieler verschiedenster Figuren in einer solchen Extremsituation darzustellen, sondern bindet die Zuschauer*innen unvermittelt durch abgefahrene, doch präzise Kameraführung, wenige Schnitte, fast durchgängig diegetische Musik und wüste Farben in das Geschehen mit ein. Diese rigorose Reizüberflutung zeigt einen derart immersiven Charakter, dass Zeitgefühl und rationale Beobachtungsgabe abdanken und man der wilden und absurden Achterbahnfahrt schutzlos ausgeliefert ist.

  • Samuel Helgert

Under the Silver Lake – Bizarre Schnitzeljagd durch Los Angeles

Kinderfreundlich, aufschlussreich, vorhersehbar – Diese drei Eigenschaften treffen definitiv nicht auf Under the Silver Lake zu. Mit diesem Neo-Noir-Thriller hatte Regisseur David Robert Mitchell durchaus gewisse Erwartungen zu erfüllen, da er mit sein letztes Werk It Follows einen der wohl besten Horrorfilme der letzten Jahre schuf. Dass ihm dies dennoch gelungen ist, beweist unter anderem die Nominierung für die Goldene Palme auf den Filmfestspielen in Cannes.

Während die Prämisse – eine junge Frau namens Sarah verschwindet nach einer gemeinsamen Nacht mit dem desillusionierten Sam spurlos – noch leicht verständlich ist, beginnt ab dem Zeitpunkt des Verschwindens eine spektakuläre Odyssee Sams quer durch Los Angeles. Versteckte Nachrichten, etliche Anspielungen auf unsere Pop-Kultur und Verschwörungstheorien bilden dabei nur die Grundbausteine für eine allzeit mysteriöse und spannende Atmosphäre, weshalb ein einmaliges Schauen vermutlich auch nicht ausreichen wird, um den Film im vollen Maße verstehen zu können. Es scheint gar so, also würde manch Handlungsstrang nicht einmal aufgelöst werden, was in vielen Filmen wohl negativ angekreidet werden könnte, jedoch in Under the Silver Lake mehr als nur passend ist. Mit Andrew Garfield kommt zudem eine fantastisch besetzte Hauptrolle hinzu, der nicht nur die verwirrte Emotionswelt des Protagonisten perfekt schauspielert, sondern mit seiner Art trotzdem real und bodenständig bleibt.

Insgesamt wird Under the Silver Lake aber sicher nicht jedem so gut gefallen wie dem Autor dieser Zeilen, für einen möglichen Geheimtipp für Filmliebhaber, die beispielsweise auf David Lynchs Werke stehen, reicht es dennoch allemal.

  • Simon Schuhmann

Eighth Grade – Maximale Realität

Was gibt es schlimmeres als nervige Kinder in Filmen, die sich in nahezu jeder Situation dumm oder peinlich verhalten. Umso überraschender ist es, dass Bo Burnhams Eight Grade trotz fast ausschließlich mit Schülern und Jugendlichen besetztes Coming-Of-Age-Drama all diese negativen Aspekte nicht erfüllt, sondern gar in der Thematik des Filmes damit spielt und in fast jeder Hinsicht überzeugt.

Kayla Day ist eine schüchterne Achtklässlerin, die zum Abschluss ihrer Middle School-Zeit den „Most Quiet“-Award erhält und ironischer Weise währenddessen motivierende Videos über Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung auf YouTube veröffentlicht. In der Schule hat sie große Probleme Freundschaften zu knüpfen und erst als sie auf eine Geburtstagsfeier eines Klassenkameraden gezwungen wird, lernt sie mehr und mehr ihre Ängste zu überwinden. Zu Beginn des neuen Schuljahres startet sie fast schon ein neues Leben mit veränderter Persönlichkeit und muss sich fortan mit neuen Problemen eines typischen Teenagers umherschlagen, die sich jedoch zu keinem Zeitpunkt des Filmes klischeehaft oder befremdlich anfühlen. Aus diesem Grund variiert der Film von lustig zu traurig zu schön, wobei auch vor unangenehmen Themen nicht Halt gemacht wird und selbst beinah unerträgliche Szenen bemerkenswert funktionieren. Doch diese eh schon gut erzählte Geschichte wäre nur halb so gut ohne eine fähige Hauptdarstellerin. Elsie Fisher, die mit Eight Grade ihren verdienten Durchbruch feierte, lieferte eine tadellose und mehr als überragende schauspielerische Leistung ab und trägt daher enorm zum Erfolg dieses Filmes bei.

  • Simon Schuhmann

Spider-Man: Into the Spider-Verse – Ein Comic auf der Leinwand

Als Superhelden Fan konnte man sich 2018 nicht beklagen. Egal ob Marvel oder Dc, aus dem Hause Disney oder Warner, es mangelte nicht an zu Filmen gewordenen Comichelden. Und doch sollte man einem Film besondere Aufmerksamkeit schenken. Einem Film, der sich deutlich von seinen Mitbewerbern abhob und mehr denn je den Fokus auf das Wort “Comic” in Comic-Adaption legte: Spider-Man: Into the Spider-Verse.Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist Into the Spider-Verse nämlich keine Realverfilmung, sondern lässt die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft durch ein animiertes New York schwingen und ermöglicht so Bilder, wie man sie so noch nicht auf der großen Leinwand gesehen hat. Die Geschichte fokussiert sich dabei auf Fan Liebling Miles Morales, der mit einer deutlich anderen Story daherkommt als der bereits bekannte Peter Parker. Durch die Handlung rund um einen Dimensionsriss bekommt der Zuschauer aber mehrere Spider-Versionen zu Gesicht. Von einem faulen Peter Parker, über Gwen Stacy als Spider-Woman bis hin zum Cartoon Schwein namens Spider-Ham ist alles dabei. Gesprochen von verschiedenen Stars, etwa Nicolas Cage als in schwarz-weiß gehaltener Spider-Man Noir, sind die verschiedene Charaktere wohl die sympathischste Heldentruppe seit dem die Unglaublichen anno 2004 die Welt retteten. Obwohl die Story ab und zu auf altbekannten Superhelden Pfaden wandelt, besticht Into the Spider-Verse mit ehrlichem Humor, einem hippen Soundtrack (Anspieltipps: Sunflower und What’s up Danger?) und Bildern, die man sich am liebsten einrahmen und an die Wand hängen möchte. Alles in Allem die beste Comicverfilmung 2018 und einer der unterhaltsamsten Filme des Jahres.

  • Luis Neumann Pérez