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Lies of P ist das beste Soulslike, das es bisher gab. Trotzdem versteht es sein Genre nicht. Denn: Es ist einfach nicht kinky genug.

Eine der aufregendsten Eigenschaften des Games-Markts im Vergleich zu anderen Kunst- bzw. Unterhaltungsmärkten ist, dass er noch jung und damit in seinem Potenzial unausgeschöpft genug ist, sodass neue Genres entstehen können. So sprach beispielsweise vor dem großen Erfolg von Player Unknown’s Battlegrounds und dem anschließenden noch viel gewaltigeren Erfolg von Fortnite niemand über Battle-Royale-Shooter. Gleiches gilt für Dota 2 und League of Legends und das Genre des MOBA. Hin und wieder ist es sogar nur ein Spiel, das eine Innovation – meist in Form einer Gameplay-Mechanik – mitbringt, die so entscheidend, so zentral ist, dass alle anderen Spiele, die auf dieselbe Mechanik zurückgreifen, sich am Originaltitel messen lassen müssen, ja, dass der Originaltitel sogar namensgebend wird. So verweist jedes Metroidvania immer noch auf die genregründenden Spiele Metroid und Castlevania

Dasselbe Prinzip gilt für die sogenannten Souls-Spiele des Studios From Software. Angefangen bei Demon’s Souls und spätestens ab dem großen Erfolg von Dark Souls begründete die Firma eine neue Art des Action-Rollenspiels, die vor allem dadurch berühmt wurde, dass die Spiele sehr schwer waren, aber dennoch eine große, für Außenstehende oft irrational scheinende Begeisterung bei ihren Spielenden auslösen. Was ist so besonderes an diesen Spielen? Wieso sprechen alle, die sie spielen davon, als wären sie die Einzigen, die jemals einen Souls-Titel gespielt haben? Diese Fragen waren für mich vor einigen Jahren der Auslöser dafür, mich selbst in From Softwares düstere Fantasy-Welten zu stürzen und schließlich selbst einer jener Menschen zu werden, die gerne mal zu viel Begeisterung für diese Spiele ausdrücken. Meine Einstiegsdroge war Dark Souls III. Inzwischen habe ich mich auch durch alle anderen Souls-Spiele und Souls-Erben gekämpft, also durch Bloodborne, Sekiro – Shadows Die Twice und das Open-World Spiel Elden Ring. Ich bin dabei unzählige Tode gestorben, habe mal laut, mal leise meinem Ärger über gewisse Situationen, Bosse, Fallen, Gegner-Designs und so weiter Luft gemacht, nur um jedes der Spiele nach dem Abspann sofort wieder neu zu starten und mir teilweise selbst Regeln aufzuerlegen, um es noch schwerer zu machen. 

Entsprechend groß war meine Hoffnung auf Lies of P, das 2023 erschienene Spiel der Studios Neowiz Games und Round8, das vorab als eine Bloodborne-Variation in der Welt Pinocchios angekündigt wurde, nur dass Pinocchio erstaunliche Ähnlichkeit mit Schauspieler Timothée Chalamet hatte. Inzwischen habe ich Lies of P beendet, jedoch nicht aus Lust am Spiel, sondern der Integrität dieses Artikels wegen. Denn leider ergeht es der großen Soulslike-Hoffnung wie vielen anderen Spielen des Genres, die nicht aus dem Hause From Software stammen: es dreht an den falschen Stellschrauben, es missversteht das Genre, oder wie Games Journalist Rainer Sigl es in der Folge zum Spiel des Jahres 2023 des Podcasts CUTS auf den Punkt bringt, es betet am falschen Altar.

Doch gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Bevor ich mein Argument vorbringen kann, warum Lies of P am Souls-Genre vorbei geht, sollte kurz erklärt werden, was es eigentlich ausmacht. Dies lässt sich hervorragend an Demon’s Souls zeigen, das 2009 schon alle Kernelemente enthält, aus denen auch das 2022 erschienene Elden Ring besteht. Spielende stehen hier mit ihrer Spielfigur einer feindseligen Welt in einem Fantasy-Setting gegenüber, die es zu erkunden und vielleicht sogar zu retten gilt. Die Geschichten in Souls-Spielen bleiben meist vage und lassen sich nur lückenhaft aus dem Design der Welt, aus Item-Beschreibungen und kryptischen Dialogen und Cutscenes zusammenpuzzeln. Auf der Ebene des Gameplays geht es darum, sich langsam, behutsam durch unbekannte Level vorzutasten, die darauf ausgelegt sind, unvorsichtige Spielende in kürzester Zeit in den digitalen Tod zu schicken. Ständig lauern Fallen, Gegner hinter Ecken, neue Gegnertypen oder sonstige Gemeinheiten, die gemeistert werden müssen. Ist man schließlich weit genug ins Level vorgedrungen, können Abkürzungen zu den rar gesäten Speicherpunkten geöffnet werden. Diese helfen, um Seelen, die Währung des Spiels, die von besiegten Gegnern gesammelt wird, sicher zurück zu einem Speicherpunkt zu bringen, um dort die eigene Spielfigur oder deren Waffe aufzuleveln, oder Heil- und sonstige Items zu kaufen. Stirbt man, so fallen alle bisher gesammelten Seelen am Ort des Todes zu Boden. Sie können dort wieder aufgesammelt werden. Stirbt man auf dem Weg dorthin jedoch noch einmal, sind sie für immer verloren. Rastet man jedoch an einem der Speicherpunkte, werden alle besiegten Gegner wiederbelebt. Es muss also immer abgewogen werden zwischen dem Risiko, noch etwas weiter zu laufen und der Frage, ob man sich nach dem nächsten Level-up und mit dem neu erlangten Wissen über Level und Gegner entscheidend leichter an den aktuellen Punkt zurück kämpfen kann.

Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Souls-Spiele nicht nur für ihre Schwierigkeit bekannt sind, sondern auch die Community rund um die Spiele für ihre “Get Good” Mentalität. Wer zu oft scheitert, wer ein Spiel aufgibt, einen Boss nicht schafft, ist einfach nicht gut, hart, ausdauernd genug für ein Souls-Spiel heißt es oft. Dass es sich bei dieser Mentalität um einen Fehlschluss handelt, zeigt Games-Journalist Noah Caldwell-Gervais in seinen zwei ausführlichen Video-Essays zu den Souls-Spielen und ihren Erben. In diesen geht er den kompletten Kanon durch und stellt fest: wer der “Get Good” Mentalität anhängt, also den Leistungsgedanken in den Mittelpunkt stellt, verpasst das eigentliche Spiel. Dass es keinen im Menü einstellbaren Schwierigkeitsgrad gibt, heißt nicht, dass ein Souls-Titel eine fixe Schwierigkeit hat, argumentiert er. Vielmehr sollen Spielende dazu gebracht werden, das Spiel auf der für sie perfekten Schwierigkeit zu spielen. Die Wahl der Startklasse, der im Spiel verwendeten Waffe und die Zeit, die in der Welt verbracht wird, sind alles Faktoren dafür, das Spiel leichter oder schwerer zu machen. Wer Level genau erkundet, hat eine größere Auswahl an Waffen und damit eine größere Wahrscheinlichkeit, genau diejenige zu finden, die zum präferierten Spielstil am Besten passt. Wer viele Anläufe für Level braucht, akkumuliert deutlich mehr Seelen, levelt öfter auf und kommt stärker zum Boss, hat also einen leichteren Kampf. Sollte dieser dennoch zu schwer sein, können leichtere Gegner immer und immer wieder für ihre Seelen besiegt und die Kraft des eigenen Charakters weiter gesteigert werden. Wer dagegen viel unbeachtet lässt oder an vielen Gegnern einfach vorbei läuft, wird eine schwerere Zeit mit Bossen haben. “The games want you to win”, stellt Caldwell-Gervais fest. Sie geben Spielenden eine riesige Bandbreite an Tools, um nicht nur stark genug, sondern sogar viel zu stark in Kämpfe zu gehen. Die Voraussetzung dafür ist Kenntnis der Welt und der Spielsysteme. 

Im Kanon der From Software Spiele gibt es dabei eine Ausnahme: Sekiro – Shadows Die Twice reduziert die Hilfsmittel für Spielende auf ein Minimum. Hier geht es vor allem darum, die Bewegungs- und Angriffsmuster von Gegnern auswendig zu lernen, um sie mit dem eigenen Schwert perfekt zu parieren. Das Spiel kann als Versuch verstanden werden, tatsächlich vor allem den Player-Skill als Ressource zu begreifen, die über das Spiel hinweg gesteigert werden muss. Entsprechend sind jedoch auch die Level und Bosse gestaltet, die gerade in der ersten Hälfte des Spiels immer darauf ausgelegt sind, einen bestimmten Aspekt des Kampfsystems zu lehren.

Kommen wir nun also zu dem Spiel, um das es hier ja eigentlich gehen soll: Lies of P. Auch wenn das Setting hier stark an die viktorianische Horror-Stadt Yahrnam aus Bloodborne erinnert, so baut Lies of P seine Kernmechanik doch um Sekiro herum auf. Auch hier muss vor allem pariert werden. Manche Attacken von Gegnern sind so angelegt, dass sie weder durch Blocken, noch durch Ausweichen aufzuhalten sind. Es muss die Parade sein und die zu erwischen ist schwer. Das Zeitfenster, das Spielende haben, um eine Parade perfekt zu setzen, ist dabei noch kleiner als bei Sekiro. Außerdem ist die Steuerung schwammiger als bei From Software Titeln. Charaktere bewegen sich in Lies of P oft sehr langsam oder haben so gut wie keine Rüstung, was dazu führt, dass sie meist recht statisch vor Gegnern stehen und versuchen, die Attacken zu parieren. Haben sie dies oft genug geschafft, kann die Haltung des Gegners gebrochen werden, wozu ein perfekt getimter aufgeladener (durch längeres Halten der Angriffstaste) Angriff nötig ist, was dann endlich erlaubt durch einen kritischen Treffer mehr als nur ein klein wenig vom Lebensbalken des Gegners zu entfernen. Dies führt dazu, dass Spielende immer wieder in einen sehr passiven Spielstil hinein gedrängt werden, in dem jeder Schlag des Gegners einen Skill-Check darstellt, der unbedingt geschafft werden muss, da es sonst keinen Fortschritt gibt. Die meisten Tode lassen sich auf das Versagen bei diesen Skill-Checks zurückführen. Wissen über die Welt hilft hier wenig. Erkundung wird hier deutlich öfter narrativ als mit für das Gameplay hilfreichen Items belohnt. Lies of P ist damit stark in der “Get Good” Mentalität verfangen, die den Souls-Spielen angedichtet wird. Und ich muss beim Spielen feststellen: So schafft das Prinzip Souls mehr Frust als Spaß.

Wo also liegt das fundamentale Missverständnis von Lies of P? Ist es einfach zu schwer? Oder einfach zu schwer für mich? Ist dieser Text am Ende nur Gejammer? Ich glaube nicht. Denn es gibt eine fundamentale Design-Maxime, auf die Hidetaka Miyazaki, Game Designer der Souls-Spiele und inzwischen Chef von From Software, in einem Interview mit Mitchell Saltzman von IGN verweist. Er bezeichnet sich darin selbst als Masochisten, der Spiele baut, in denen er auf eine Art und Weise sterben kann, die ihm Spaß macht. Die Souls-Spiele sind insofern Software gewordener Kink zum Nachspielen und dies zeigt sich bei genauerem Hinsehen an allen Ecken und Enden. Da ist zum Beispiel diese Stelle im ersten Gebiet von Bloodborne. Man kämpft sich durch die Straßen von Yahrnam und kommt an einer Abzweigung zu einem kleinen Innenhof vorbei. Durch das Spiel schon auf Hinterhalte vorbereitet, schaut man vorsichtig um die Ecken und erblickt dabei einen lauernden Gegner. Ist man jedoch in dem Winkel, ihn zu sehen, triggert man gleichzeitig einen anderen Gegner, der nun im eignen Rücken hinter ein paar Kisten hervorspringt. Die Stelle hat Humor und lässt man sich in Panik bringen und stirbt hier, muss man sich eingestehen, wieder einmal hereingelegt worden zu sein, wenn man dachte, man hätte endlich alles gelernt. Oder man nehme den Moment in Dark Souls, in dem man tief in einer lichtlosen Höhle nach vielen grauenerregenden Gegnern endlich auf einen freundlichen NPC trifft. Dieser fragt einen, ob man in einem nahen Abgrund etwas leuchten sieht, ein seltsames Item. Sieht man hin, wirft er einen über die Klippe und in den nächsten, aussichtslosen Kampf. 

Wo in den Souls-Titeln hier ein großer Spaß am Leid und ein augenzwinkernder Umgang damit steckt, bleibt Lies of P bierernst und auf der eindimensionalen “Get Good” Ebene verfangen. Es verlässt sich darauf, dass das Triumphgefühl umso größer ist, je schwerer die Herausforderung war, verkennt dabei aber, was From Software verstanden haben, wie niemand anders im Souls-Genre: es geht nie um den Triumph, nie um das Ziel, immer um die Reise. Es geht darum, Spielende auf unerwartete, kreative Arten und Weisen sterben zu lassen, die ihnen mehr über sich selbst als das Spiel verraten, die ihnen die eigene Hybris vorführen oder sie sich darüber ärgern lassen, mit was für billigen Tricks sie aus der Ruhe gebracht werden können.

Natürlich geht dies auch bei From Software nicht immer auf. Sekiro muss sich streckenweise dieselbe Humorlosigkeit vorwerfen lassen und Dark Souls II fehlen an vielen Stellen kreative Ideen, was es mit schierem Chaos überdecken will. Und natürlich macht auch Lies of P vieles richtig. Das Spiel sieht umwerfend aus, erzählt eine interessante Geschichte, hat einige tolle Schauplätze und Level Designs zu bieten und auch einige Bosse, die viel Spaß machen. Gerade am Anfang macht es großen Spaß, diese Welt zu erkunden, bis ab einem Bosskampf nach ungefähr der Hälfte des Spiels die Schwierigkeit schlagartig und drastisch erhöht wird. Danach verliert es viel von der Verspieltheit, die es zu Beginn an den Tag legt, zieht sich in den letzten Leveln, die leider visuell auch trist ausfallen und hat kaum noch kreative Einfälle. Hier tritt der “Get Good” Gedanke vollends in den Vordergrund, während gleichzeitig nahezu alles überraschende aus den Leveln und Bosskämpfen verschwindet. Im Vergleich zu Titeln wie Lords of the Fallen (beiden, 2014 und 2023), Star Wars Jedi: Fallen Order oder den durchaus interessanten, aber nie ganz ausgereiften The Surge 1 und 2 ist Lies of P qualitativ ein großer Sprung in Richtung From Software

Dennoch hat es nicht verstanden, dass der Altar der Schwierigkeit im besten Souls-Sinne nur eine Illusion ist und die eigentliche Faszination viel tiefer liegt. Dass Leistung eindimensional ist und im Videospiel das Spiel im Mittelpunkt steht. Hier muss Leid Spaß machen und Sterben sexy sein. 

Quellen

Saltzman, Mitchell: Elden Ring: The Big Hidetaka Miyazaki Interview – Summer of Gaming. Link: https://www.ign.com/articles/elden-ring-miyazaki-hidetaka-full-interview-summer-of-gaming

Caldwell-Gervais, Noah: I Beat the Dark Souls Trilogy and All I Made Was This Lousy Video Essay. Link: https://www.youtube.com/watch?v=O_KVCFxnpj4&t=1596s

Caldwell-Gervais, Noah: Souls Inheritors: Bloodborne vs. Sekiro vs. Elden Ring [Spoilers]. Link: https://www.youtube.com/watch?v=hPRo4arGaSk&t=11644s