Was der Mangaka Kentaro Miura hier geschafft hat, ist nicht weniger, als einen umfassenden Ausdruck seiner eigenen Fantasie auf Papier zu bannen. Das wird jetzt wahrscheinlich erstmal positive Assoziationen bei dem ein oder anderen Leser auslösen. Jetzt kommt das große Aber. Denn Miura lässt den Leser auch an all seinen negativen und albtraumhaften Gedanken teilhaben. Und darauf möchte sich bestimmt nicht jeder einlassen, denn die Welt von Berserk ist zeitweise einfach widerwärtig und muss jedem auf den Magen schlagen (Sehr passendes Zitat eines tvtrope-Schreibers: “Any given reader could be left wondering what the unholy fuck is going on inside of Kentaro Miura’s head”). Was auch bei mir die Frage aufwirft, wie ich die Faszination, die von diesem Werk ausgeht, annähernd angemessen bewerten und beschreiben kann.
Denn eigentlich möchte ich gar nicht viele Worte zur Geschichte verlieren, sie ist voller Momente, die man einfach selbst erlebt haben muss. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass man mit der Materie etwas anfangen kann. Nie fühlte ich mich in einem Manga ähnlich involviert, so aufgewühlt, so zerrüttet. Und wohl nie werde ich einen Charakter in diesem Medium so hassen und gleichzeitig verstehen können wie den Antagonisten Griffith. Aber dazu später mehr. Denn eine Sache, die Berserk so stark macht und entsprechend erwähnt werden muss, ist der einzigartig detailgetreue und aufwendige Zeichenstil. Dabei können beispielsweise komplexere Emotionen direkt aus den Gesichtern der Charaktere abgelesen werden. Auch wenn das manchmal einfach nur beängstigend oder fremdartig wirkt. Aber am Besten biete ich im Folgenden ein paar Beispiele des Stils.
Zunächst zum schwarzen Ritter. Ein Name, der das Auftauchen von Tod und Verderben verspricht. So lernen wir Guts kennen, den Protagonisten von Berserk. Gebrandmarkt mit einem Siegel, das dafür sorgt, dass ständig Dämonen Jagd auf ihn machen, streift er durch eine mittelalterliche Welt. Bewaffnet mit einem riesigen Schwert; gekennzeichnet durch zahllose Narben, ein fehlendes Auge und einen mechanischen Ersatzarm. Zerfressen und getrieben von Hass. So macht er Jagd auf die sogenannten Apostel. Denn es gibt Wesen in seiner Welt, deren Macht und Gewalt über das Verständnis von Menschen hinausgeht. Die Verhaltensweisen dagegen sind aber wohl von den Menschen bekannt. Nur viel extremer. Mord, Vergewaltigung, Inquisition und alles Düstere, was man mit dem Mittelalter in Verbindung bringt, findet hier seinen Auftritt. Und das nicht zu knapp und teilweise auch sehr explizit. Miura findet dabei mit seinen Zeichnungen aber eine recht gute Balance, die genug der Fantasie überlassen, aber manchmal auch knallhart zur Konfrontation mit dem Geschehenen drängen und einem nicht so schnell aus dem Kopf gehen.
Schnell lernt man, dass niemand in der Welt von Berserk (ausgenommen der Adel) etwas geschenkt bekommt und jeder sein Leben verteidigen muss. Wer dafür zu schwach ist, stirbt. Die ersten Kapitel erleben wir Guts als teilweise Wahnsinnigen, teilweise Getriebenen. Trifft er auf einen Apostel (meist in einer hohen gesellschaftlichen Position), so wird jeder, der zwischen den beiden Kontrahenten steht, in deren Kampf zermalmt. Am Ende dieses kurzen Aktes verschlägt es Guts nach einem harten Gefecht mit einem der Apostel in die Paralleldimension der „God Hand“. Das sind fünf übernatürliche Wesen, die in gewisser Weise die Geschicke der Welt lenken. Einer davon ist Griffith. Und man merkt, dass etwas zwischen den beiden wirklich schiefgegangen sein muss.
Die Geschichte springt zurück und wir lernen, wie aus „Guts“ der schwarze Ritter wurde und warum er Griffith so abgrundtief hasst. Schon Guts Kindheit steht unter einem schlechten Stern. Neben der Leiche seiner Mutter wird er von dem Söldner Gambino und dessen Frau aufgelesen. Früh stirbt seine Ersatzmutter an einer Krankheit, wofür Gambino Guts verantwortlich macht und ab diesem Zeitpunkt gnadenlos und kaltherzig behandelt. Unter ihm lernt Guts bald, was seine herausragendsten Fertigkeiten werden sollen: Töten und Überleben. Denn Guts hat praktisch nichts, was man Kindheit nennen könnte, weil er nicht nur als Kindersoldat eingesetzt wird, sondern von Gambino ohne mit der Wimper zu zucken für eine Nacht an einen Päderast verkauft wird. Das zeichnet Guts für den Rest der Geschichte schwer. Die darauf folgenden Ereignisse verlaufen tragisch und Guts muss schließlich fliehen. An dieser Stelle könnte man anmerken, dass das alles viel zu negativ und damit übertrieben erscheint. Aber in Berserk geht es unter anderem darum, immer wieder aufzustehen. Weil es immer etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Auch wenn es wieder mal „nur“ das eigene Leben ist und die Welt ein schrecklicher Ort zu sein scheint. Denn mehr als dieses eine Leben hat man nicht.
Nach seiner Flucht verdingt sich Guts als Söldner, bis er eines Tages auf Griffith trifft. Geboren in Armut, nun Anführer einer berüchtigten Söldnertruppe, scheint Griffith all das zu sein, was Guts nicht ist. Charismatisch, anmutig und vor allem zielstrebig. Griffith hat in dieser Welt, in der so viel durch Geburt vorherbestimmt wird, einen Traum: Sein eigenes Königreich. Um diesen zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht. Alles und auch jeder in seinem Umfeld wird diesem Ziel untergeordnet. Aber man versteht Griffiths Handlungen anfangs, so grausam sie auch manchmal wirken mögen. Sie sind pure Berechnung. Im Endeffekt unterscheiden sich seine Methoden nicht von denen des herrschenden Adels. Und wer würde nicht schwach werden, wenn ihm Kräfte angeboten werden, die es ihm ermöglichen die Welt zu kontrollieren. Man versteht, warum Griffith bestimmte Dinge tut, aber dafür hasst man ihn umso mehr. Es gibt wohl keinen prinzipientreueren Egoisten, der dabei emotional nicht unverwundbar bleibt. Und damit ist er meiner Meinung nach auch einer der besten Antagonisten.
Nachdem er Guts im Verlauf des ersten Zusammentreffens in einem Duell besiegt, beansprucht er diesen als Besitz. Mit der Zeit steigt Guts zum besten Kämpfer in Griffiths Reihen auf und schlägt zahlreiche Schlachten unter dessem Banner. Miura gelingt es gewaltige Schlachtengemälde zu entwerfen, die einen nahezu teilnehmen lassen und das Ausmaß des Konflikts immer deutlich machen. Langsam werden Griffith und Guts im Verlauf ihrer Partnerschaft scheinbar zu wahren Freunden. Ihre komplexe Beziehung zueinander stellt auch die tragende Säule der Geschichte dar. Das Motiv dabei bleibt immer der Kampf des Einzelnen gegen die übernatürliche Macht des Schicksals, der Kampf gegen Kräfte, die ihn eigentlich sofort überwältigen sollten. Oder auch einfach der Kampf des Menschen mit der Welt.
Alles scheint sich in die richtige Richtung zu bewegen, bis Guts folgenden Satz aus Griffiths Mund vernimmt:
„A friend would not just follow another´s dream. A friend would find his own reason to live. And if someone were to destroy his dream…he would fight back even if that someone were me. A friend in my mind is someone that is my equal“
Daraufhin wird Guts klar, dass er sich die ganze Zeit nur an Griffith geklammert und selbst kein Ziel verfolgt hat; eigentlich nur überleben wollte. Er will die Truppe verlassen, um Griffith zu beweisen, dass er mehr sein kann. Daraufhin fordert ihn Griffith zu einem erneuten Duell um seine Freiheit heraus und setzt damit die eigentliche Geschichte in Gang.
Berserk ist meiner Meinung nach ein fantastischer Manga und teilt sich bei mir mit Full Metal Alchemist (einer der wenigen erfolgreichen Mangas, der zielstrebig auf sein Ende zusteuert) und Death Note den ersten Platz. Ja, die Gewalt ist explizit und ein nicht zu verachtender Teil des Mangas besteht aus puren Kämpfen. Aber sie sind einfach so klasse gezeichnet und inszeniert, dass man einfach jede Seite verschlingen muss. Die Geschichte bietet genug Tiefe und der Konflikt zwischen Griffith und Guts ist einfach so monumental, dass man bei jedem Aufeinandertreffen der beiden mitfiebert. Mag der Manga auch noch so verstörende Bilder bieten und Dämonen in ihrer perversesten Art präsentieren. Berserk kann eine Reise darstellen, die man nie vergisst, die abwechselnd positive und negative Emotionen auslösen kann, einen verzaubert und im nächsten Moment wieder regelrecht verstört. Selten habe ich so mit einem Charakter gelitten wie mit Guts. Und das, obwohl die Geschichte stellenweise überzeichnet negativ wirkt. Das ist das besondere Kunststück, das Kentaro Miura gelungen ist. Jedenfalls im Falle meiner Wenigkeit.
Leider scheint Berserk in letzter Zeit den Faden verloren zu haben und steuert mit den letzten Kapiteln in eine ungewisse Richtung. Durch Einführung bestimmter Charaktere geht auch etwas die Ernsthaftigkeit, die Berserk so deutlich abhebt, verloren. Aber vielleicht muss Miura genauso wie Guts, erst einmal wieder ein Ziel finden, für das es sich in seinem Falle zu zeichnen lohnt. Das ist jedenfalls meine Hoffnung.
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