Für ein Album, das 40 Minuten lang eine makabere Faszination von unserer Existenz angesichts unausweichlichen Zerfalls ausstrahlt, entpuppt sich die neue Platte der Noise-Band HEALTH als verblüffend partytauglich. Sich als laute Underground-Gruppe „Gesundheit“ zu nennen, hat schon etwas Selbstironisches und auch musikalisch lieben es die vier Kalifornier, in Widersprüchen aufzutreten. Die größten Gegensätze ihrer Karriere kulminieren nach sechs Jahren Entstehungszeit nun in Death Magic: Descartes’scher Philosophie unter Stadionatmosphäre. Industrial-Lärm im pompösen Klanggewand einer Lady Gaga. Nine Inch Nails’ Untiefen ohne Kitsch.
Von Noise bis Disco
Bevor man sich an den Mindfuck des diesjährigen Albums wagt, lohnt ein Blick auf die Vergangenheit der Noise-Enthusiasten. Bereits auf ihrer Debütscheibe von 2007 herrschen starke Kontraste vor: Während Sänger Jake Duzsik in emotionslos-androgyner Stimme Gleichgültigkeit predigt, scheint um ihn herum die Welt in apokalyptischer Kakophonie zu Grunde zu gehen. Bassist John Famiglietti sägt sich mit seinem bis zum Anschlag verzerrten Rickenbacker durch die Ohrmuscheln; Schlagzeuger BJ Miller, unterstützt vom Multi-Instrumentalisten Jupiter Keyes, konkurriert in wilden Trommelwirbeln mit Ritualisten amerikanischer Urvölker. Empfindet man die übertönende Instrumentalisierung und eingestreuten Schreie wie knüppelhartes Eindreschen, sind Jakes dazwischen gehauchten Worte eine himmlische Wiedergutmachung. Die Gleichzeitigkeit führt zu einer durchaus verstörenden Gefühlsmischung.
Weitreichende Bekanntheit ließ noch auf sich warten, doch die Zusammenarbeit mit Crystal Castles fürs erste Remix-Album Health//Disco bewies sich als cleverer Zug. Die kanadischen Chiptune-Punks Ethan Kath und Alice Glass nahmen HEALTHs “Crimewave” auseinander, das so neu zusammengesetzt zum internationalen Club-Hit avancierte. 2008 traten beide Bands dann eine gemeinsame US-Tournee an, deren Erfolg sie 2012 wiederholten. Tatsächlich ist das gesamte Remix-Album kein billiges Ausbeuten der Fans, sondern einfallsreiche Dance-Alternative – und für HEALTH Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten. 2008 legte Pictureplane “Lost Time“ neu auf, 2011 revanchierte man sich mit einem sexy “Goth Star”-Cover.
Hipster Radio
Die Remixes offenbarten außerdem das Potenzial für Melodien, die sich im grobschlächtigen Debüt hinter den dichten Dissonanz-Attacken versteckten. Davon beeinflusst zeigt das zweite Studioalbum Get Color (2009) mehr Offenheit für Synthesizer und Electronica-Einflüsse mit einer klaren Entwicklung von Tracks zu Songs, also von experimentellen Lärmideen zu wiedererkennbarer Liedstruktur. Poppig ist das noch lange nicht, selbst wenn Singles wie “Die Slow” und “We Are Water” schon recht eingängig daherkommen. Noch immer füllen Trommelgewitter und fieses Gitarrenjaueln die Klanglandschaft. Dem Markenzeichen der Apathie bleibt man sich treu: Die Strophen sind minimalistisch und Gesang steht in der Abmischung an unterster Stelle – Action geht vor Verständnis. Wenn Jake in “Die Slow” wiederholt „Does it matter…“ singt und dann im Lärm untergeht, worauf er sich eigentlich bezieht, spricht das nicht nur textlich für Nihilismus, sondern zeugt auch insgesamt von einer Gleichgültigkeit, überhaupt gehört zu werden. Wieder folgte eine Remix-Platte, Disco2, unter anderem mit Crystal Castles, Gold Panda, Salem, und Alessandro Cortini, den sie zuvor auf der Nine Inch Nails-Abschlusstour begleiteten. Passend zu den verhältnismäßig heiteren, tanzbaren Neuauflagen steuerten HEALTH den Bonus-Song “USA Boys” bei, der vermutlich einer der schönsten melancholischen Geheimtipps für kühle Sommertage ist.
Videospieler haben HEALTH sicherlich schon mal gehört, ohne sich dessen bewusst zu sein. 2012 waren sie für den mehrstündigen Score von Max Payne 3 verantwortlich. Wo in herkömmlichen Shootern sonst lahmes Elektronikgedudel das Geschehen berieselt, peitschen hier furiose Drum-Solos und John Carpenter’esqe Drones den Spieler voran, um ihm – ganz im Sinne der Immersion – die Kopfschmerzen des getriebenen Titelhelden zu verpassen. Neu für die Band waren ruhigere Passagen, in denen gramvoll verzerrte Gitarrensaiten unter brummendem Feedback ausklingen dürfen wie die röchelnden Atemzüge eines Angeschossenen. Stücke wie “Torture” und “Pain” gehören zum düstersten, was die Band bis dato gespielt hat. “Docks” lässt den Bass ächzen wie die Planken, über die Max hechtet. Und über allem liegt eine schwerfällige, sumpfige Aura der Abhängigkeit, passend zum daueralkoholisierten Trancezustand der Hauptfigur. Als in der finalen Mission mit “Tears” auch noch abstrakt rekapitulierender Gesang einsetzt, ergab die Kombinationen aus Musik, Spielgefühl und Spannungsbogen einen der seltenen transzendenten Momente der Videospielgeschichte. Und besorgte HEALTH Millionen an Youtube-Aufrufen. Die gute Beziehung zu Entwickler Rockstar Games resultierte dann nicht nur in einer weiteren Zusammenarbeit für Grand Theft Auto V, wo sie den hippen Radiosender Mirror Park mit einem ironischen “High Pressure Days”-Cover bereichern, sondern war vor allem bitter nötige Finanzspritze, um die bereits 2009 begonnene Arbeit an Death Magic am Laufen zu halten.
Welt voller Lärm
Aber wieso hat das überhaupt so lange gedauert? Zur Gründung HEALTHs vor fast zehn Jahren waren Noise-Rock und Pop noch durchschaubar. Noise waren die Schreie der verstümmelten, gegeneinander getriebenen Instrumente. Pop war das zum Erbrechen Durchgeplante, emotional Offensichtliche und simpel Strukturierte. Aber was, wenn Noise zu vorhersehbar wird und Pop die Massen nicht mehr bewegt? Seit Verbreitung der MP3 steigt die Lautstärke der Produktionen, neue Singles übertönen stets die vorherigen. In einer Welt voller Lärm, sei es der Lärm an Meinungen online oder die Menge an auf uns einströmenden Bildern und Videos, muss Musik nachziehen. Um zeitgemäß zu bleiben, werden modernen Pop-Songs also immer mehr Tonebenen hinzugefügt, bis man in einer dichten, unsauberen Geräuschkulisse kaum noch die Einzelteile unterscheiden kann. Wie der New Yorker kürzlich im Rückblick „It’s all Noise“ kommentierte, schallen die leisen Elemente eines Rihanna- oder Taylor Swift-Songs inzwischen heftiger als die Heavy-Metal-Alben der 80er. Kanyes Yeezus ist ein astreines Noise-Album. HEALTH-Bassist John erinnert sich im Songexploder-Podcast an seine Reaktion zu The Fame Monster: “This Lady Gaga song is kicking my dick off!” Im Interview mit Pitchfork gestanden sie sich dann ein, was an der Albumentwicklung so lange dauerte: Sie haben erst mal Katy Perry studiert.
Vor Death Magic waren HEALTH skeptisch über den Einfluss von Produzenten und professionellen Tontechnikern, bis sie nach viermaligem Verwerfen des bereits aufgenommenen Albums schließlich realisierten, dass für ihre Ambitionen Hilfe von Nöten ist. Kontemporäre Musik zu analysieren, ist eine Sache, neue Trends und futuristische Sounds zu erschaffen eine völlig andere. Wer im 21. Jahrhundert noch glaubt, Pop-Hits seien geniale Geistesblitze oder Zufälle, leugnet mehr als 2500 Jahre Musiktheorie (Hallo Pythagoras), laut der Emotionen logische Reaktionen auf mathematisch konzipierte Tonfolgen sind. Und wenn eine Miley Cyrus kein Algebra kann, werden Rechenkünstler eben angeheuert. HEALTH sehen das ein wenig humorvoller: „It’s like a Magic deck because you can buy the cards and put them in your deck and increase your odds with money, but you still have to build that deck and exploit that part of the system to win.“ Wenn auch nicht gänzlich ohne Zynismus:
Or maybe it’s like a drug cartel where you gotta figure all these different ways to smuggle shit through the border, and some people’s lives might get destroyed, but that one truck gets through and it’s like, „That’s all we needed. Fuck those other guys.“
Death Magic
Mit Lars Stalfors, Andrew Dawson (Yeezus) und Björk-Kollaborateur Bobby Krlic haben gleich drei markante Produzenten an Death Magic mitgewirkt und dennoch ist das Album unverkennbar HEALTH. Was nicht heißen soll, es sei mehr vom Gleichen. Vorbei ist nur die Zeit, in der ahnungslos im L.A.-Clubraum The Smell tagsüber gegen den Straßenlärm aufgenommen wurde. Es ist der Unterschied zwischen dem ersten Mad Max mit mickrigem Indie-Budget und dem 150$ Mio. starkem Fury Road. Die Fulminanz von Death Magic ist so vereinnahmend, dass alles umher vergessen und weggesperrt wird. Die Platte einzulegen, heißt, sich die nächsten 40 Minuten auf einen Ritt ohne Ausstieg einzulassen. Es ist ein neuer Sound ohnegleichen, der wie eine tosende Welle über dich rauscht, und den man in seiner paradoxen Mischung aus poppiger Zugänglichkeit und eigenwilliger Disharmonie noch nicht erlebt hat.
“Victim” kündigt die Höllenfahrt in vier akzentuierten Drum-Schlägen an, gefolgt von acht dröhnenden Bläsernoten, auf die ein Transformer neidisch wäre. Jakes körperlos-überirdische Stimme setzt ein: „Know we’re never gonna feel the same as it was today / Know we’re never gonna feel again“. Death Magic wird dich verändern, so wie Drogen den Protagonisten des Albums verändert haben. Als Konzeptalbum beschreibt Death Magic eine durchzechte Clubnacht, in der “Victim” das verheißungsvolle Vorglühen ist. Fließend gehen dann die letzten Töne des ersten Songs zum brutalen Riff des zweiten über – “Stonefist” öffnet dir die Pforten zur Party deines Lebens. Berghain-Hymne “Flesh World (UK)” fordert zum Loslassen und Einwerfen auf: „Do all the drugs / We die, so what?“. “Men Today” begräbt deine Sorgen im Moshpit-Chaos. Nachdem das pulsierende BPM-Monster “Courtship II” Herzinfarktrisiken maximiert, klingt die erste Hälfte in den langsameren Stücken “Dark Enough” und “Life” aus. Das war’s aber noch nicht – nach der Erholung scheucht dich “Salvia” zur neuen Location. “New Coke” setzt die Nacht mit Pillen fort, seien es die koffeinhaltigen aus der Apotheke oder die mit Smiley-Gravur aus der Gasse daneben. Das schrille “L.A. Looks” ist peinigende Erinnerung an dein angeschlagenes Bewusstsein und mangelndes Durchhaltevermögen. “Hurt Yourself” ist der Heimweg, auch wenn die Melancholie von “Drugs Exist” bestätigt, dass man sowieso noch schlaflos liegen bleibt. In Videoform sieht das dann so aus:
Todestrauma
Aber Death Magic ist nicht nur der Soundtrack dieses Nachtlebens, sondern setzt es lyrisch in Kontext. Dank des zuversichtlicheren Gesangs in der Abmischung versteht man nun erstmals, wovon Jake überhaupt singt. Die durchgehende Sequenzierung des Albums, also der fließende Übergang von einem Lied zum nächsten, legt nahe, es als fortlaufende Erzählung zu betrachten. Wenn Liebe zu Beginn noch kaltherzig abgelehnt wird, aber Album-Outro “Drugs Exist” versöhnlich mit den Worten „Try to love the ones who loved us“ endet, muss irgendwo ein Denkprozess stattgefunden haben. Genauer betrachtet stellt sich Death Magic als Geschichte in fünf Akten heraus, die in Anlehnung ans Kübler-Ross-Modell der fünf Phasen des Sterbens funktionieren: Verleugnung, Zorn, Verhandeln, Depression und finale Akzeptanz.
Die von der schweizerischen Psychiaterin im Jahr 1969 deklarierten fünf Phasen beschreiben einen Ablauf der Traumabewältigung nach schwerem Verlust. Death Magic ist spezifisch genug, um diese Struktur erkennbar zu machen, aber vage genug, um die Ursache zu verschleiern. Beginnend bei Verleugnung, eröffnet “Victim” mit dem Widerspruch, trotz besseren Wissens die gleichen Fehler zu wiederholen: „Know we’re never gonna feel again / but I still wake up and lie to myself“. Obwohl man sich bewusst ist, dass gewisse Dinge schädigend betäuben, wird der Lebensstil fortgesetzt. Man fängt an zu bestreiten, was einem etwas bedeutet hat: „Love, your love, it’s not enough“. “Stonefist” setzt das Ganze aggressiver fort: „Love’s not in our hearts“. Begleitet von eindringlichen Stoßrhythmen, muss man nicht dreimal raten, wo „Liebe“ stattdessen steckt. Unromantisch wird Sex als Transaktion zur Selbstbefriedigung postuliert. Dazu passt auch der klinische Klang des vorwiegend digital aufgenommenen Albums. Man hat sich distanziert, ist kühl und kalkulierend. Wieder findet man das Element der bewussten Verleugnung vor: Wir bleiben besessen von Verlangen und (Ver-)Lust, obwohl wir wissen, wie weit es mit uns gekommen ist.
Gleichzeitig funktioniert “Stonefist” als Meta-Kommentar zur Entwicklung der Band. Man fühlt sich noch zur ursprünglichen Szene verbunden, obwohl man musikalisch rausgewachsen ist. „We’re never growing young“: HEALTH sind inzwischen Anfang 30. „We’re never going backwards“: Wir werden nie wieder diesen Amateurscheiß machen! Trotzdem lässt sich eine nagende Ungewissheit nicht verdrängen: „Are we all the same, different?“ Sind wir noch die Alten, nur irgendwie anders? Sind wir jetzt Mainstream, nur ein bisschen indie? Nach zehn Jahren ohne den Megaerfolg im Musikgeschäft wollen es HEALTH jetzt wissen. Wie ihre Zukunft als stinkreiche Popstars aussähe, haben sie schon mal im de(kon)struktiven Musikvideo festgehalten:
Auf Verleugnung folgt Wut, wovon “Men Today” und “Courtship II” förmlich bersten. Es sind die geistigen Nachfolger zum Debütalbum, die jene Kakophonie aus wahnsinnigen Trommeln und kreischenden Riffs von 2007 in eine unbarmherzige, synthetische Zukunft transportieren. Dazwischen liegt “Flesh World (UK)”, das in klarem Gesang die Existenzkrise beschreibt: „We’re here / There’s nothing else / We’re not here to find ourselves“. „Ich denke, also bin ich“ wird mit der Vermutung des „we“ erweitert, also dass es auf andere Menschen auch zutreffen muss. (Der Gedanke ist nicht allzu abwegig, weil die Alternative sonst bedeute, dass „ich“ von Philosophischen Zombies umgeben sei.) Was außer oder über uns existiert, kann keiner wissen. Eine universelle Aufgabe fehlt. „There’s no one here to judge us.“ Führt man alles zusammen, wird gefolgert: „Follow your lust / There’s no need for forgiveness / Do what you want“. Ohne Glauben und Ziel können wir nihilistischerweise machen, was wir wollen. Es ist eine Rechtfertigung für Hedonismus, den die euphorischen Rhythmen erbarmungslos unterstützen. Wäre da nicht das Ende des Verses: „Don’t hurt the ones you love“. Es macht nur so lange Spaß, bis einer weint. Das Paradoxon ist, keinen Zweck zu haben, aber gleichzeitig nicht verletzt werden zu wollen, was der gleichgültigen „Mach, was du willst“-Attitüde eine Grenze vorschiebt. Der einleitenden Logik zufolge heißt das auch, wenn „ich“ nicht verletzt werden will, wollen es andere sicherlich ebenso wenig. Der gesamte Song beschäftigt sich mit diesem Engelchen-Teufelchen-Konflikt, wobei jedoch der lustvolle Refrain dem YOLO-Mantra die Oberhand lässt: „All the bones grew strong before they broke / All the blood runs hot before it’s cold“ Bis wir kaputt gehen, geht’s uns gut! Und wenn wir sterben, „so what?“, es gibt Milliarden von uns. Mit dem unausweichlichen Tod vor Augen sind wir alle die Hauptfigur einer Krebsgeschichte.
Aus den Wortfetzen, die man “Courtship II” entnehmen kann, schleicht sich dann aber doch das schlechte Gewissen ein: „You hurt so much, you hurt someone / You hurt someone for what you want“. Die zuvor zelebrierte Fleischeslust kann nicht die Antwort sein. Die Wut weicht und im ruhigeren Mittelteil nimmt man sich mit den Antihymnen “Dark Enough” und “Life” Raum zum Reflektieren. Resümierend heißt es „We cheat, why not? / It’s hard to know what you want“. Zynismus ist manchmal nur eine unhöfliche Form von Ehrlichkeit. Dank der ungewöhnlichen Ohrwurmqualitäten von “Life” pflanzt sich die clevere Wortspielerei ins Gedächtnis: „I don’t know what I want [but I] know that I don’t know what I want.“ Ich weiß nicht was ich will, aber immerhin weiß ich, dass ich nicht weiß, was ich will. Man belügt sich nicht. Man macht sich nichts vor. Man ist sich bewusst. Es ist ein Fortschritt von der anfänglichen Verleugnung, weil eine erste Erkenntnis erreicht wurde. Verglichen mit all den Predigten und Lebenstipps, die man sich oft in Liedtexten von neunmalklugen Superreichen anhören muss, ist es erfrischend unverhohlen, mal von jemandem ein Eingeständnis der Ahnungslosigkeit zu hören. Das Maximum an Tipp, den man hier rausbekommt, wäre für andere Künstler die größte Bescheidenheit: „Life is strange but it’s all we’ve got.“ Schlimmer sind demnach die, die gedankenlos durchs Leben im Aberglauben irren, ihren Weg gefunden zu haben, der ohne Reflektion wahrscheinlich auch nur vom unmittelbaren Umfeld und Werbung geleitet ist. Die Frustration mit dem Unbewusstsein ist genau das, was HEALTH als “Dark Enough” bezeichnet:
Does it make a difference how I feel as long as I come back to you? Does it make a difference if it’s real as long as I still say I love you? […] It’s dark enough if you don’t know the difference.
. Das Eingeständnis ruft allerdings den Konflikt hervor, der in “Flesh World (UK)” noch unterdrückt wurde. Wenn uns Leben etwas bedeutet, ist der Tod nicht egal. Schmerzen sind real, auch wenn der Protagonist sie mit Drogen zu betäuben versucht. Welche Folgen die wiederum haben können, verdeutlicht “Salvia”. Das nach einem Halluzinogen benannte Instrumentalstück könnte direkt aus Max Panye 3 entsprungen sein und ist mit seinem gedämpften Maschinengewehrwummern der Inbegriff eines miesen Trips. Wie sich der Junkie behilft, verrät der nächste Titel: “New Coke” führt weiter in eine Abwärtsspirale. Laut Elizabeth Kübler-Ross können die Phasen fließend sein und wiederholt auftreten. Wenn jetzt also „Life is good“ behauptet wird, ist Ironie im Sinne der Verleugnung nicht unwahrscheinlich. „Let the guns go off / Let the bombs explode“ ist nicht etwa ein Aufruf zum Amoklauf, sondern beschreibt eher das Gefühl, dem Gehirn neuen Shit auszusetzen. Natürlich weiß man, was die Folgen sind („Let the lights go dark“), aber so lässt es sich halt ertragen. Freundlicherweise wird dem Hörer die gleiche Erfahrung suggeriert, da die Liedstruktur das Einwerfen von Stimulanzien effektvoll imitiert. In 100 nervösen, perkussiv klingelnden Sekunden wird der Spannungsbogen zu einem alles vereinnahmenden Drop gezogen, dessen kathartisches Chaos einen in höhere Sphären befördert. Wozu eigentlich Drogen, wenn Musik sowas auch kann?
Dass der Rückfall vielleicht doch nicht die beste Idee war, wird vom garstigen Klirren von “L.A. Looks” ins Gedächtnis gerufen. Die erste Strophe erinnert zudem daran, dass Partyleben nicht unbedingt soziale Bedürfnisse befriedigt, wenn man keine Annäherung findet. „We’re alone here, no matter who we’re with / Am I stuck with myself along with everyone else?“ Aus existenzieller Sicht ist das Konzept der gemeinsamen Einsamkeit gar nicht so widersprüchlich. Letztendlich werden wir immer nur unsere eigenen Gefühle spüren können, wir werden immer im Zentrum unserer eigenen Erlebnisse stehen. Wir bleiben emotional einsam, denn selbst wenn wir versuchen, uns in die Lage anderer zu versetzen, basiert dies nur auf der eigenen Vorstellung. „I want another life […] I am sick of myself / I’ll never be anyone else.“ Der Protagonist ist sich seiner eigenen Probleme leid und wünscht sich ein anderes Leben. Laut dem Kübler-Ross-Modell ist man beim Verhandeln angelangt. Vielleicht ginge es einem besser, wenn man jemand anders wäre? Der Titel “L.A. Looks” mit Bezug aufs Mekka der plastischen Chirurgie fügt dem ganzen eine zynische Ebene hinzu. Doch was sagt es über den Depressiven aus, der wünscht, nicht in seinem Körper zu stecken, wenn aber sogar die High-Society der Schönen und Reichen unzufrieden mit ihren Körpern ist und sich neue wünscht?
Dem Fokus auf Körpern und Aussehen geht ein oberflächliches Verlangen einher („It’s not love but I still want you“), das in “Hurt Yourself” zur Depression führt, weil der Protagonist nicht loslassen kann: „Whoever you want to want you back / You never let go what you don’t have“. Der Refrain beschreibt dann, dass es ihn innerlich austrockne: „Like water inside us, before long it dries up“. Man sieht sich in einem Zyklus aus Enttäuschungen und Verletzungen gefangen: „Another bond, another cut“. Die letzte Verszeile mag abschreckend klingen: „You learn to love to hurt yourself“, doch es ist der finale Schritt zur Akzeptanz, dass verletzt zu werden zum Leben dazu gehört. Es gibt kein Verhandeln drumherum. Zorn bekämpft es nicht. Man kann es nicht verleugnen.
Akzeptanz ist die letzte Phase, worin der Patient Verlust oder Sterblichkeit annimmt. Die Trauer muss jedes Individuum ohne Verdrängung oder Abkürzung selbst durchlaufen, bevor Überwindung möglich ist. Das Herausragende an Death Magic ist, dass es jeden Schritt ehrlich durchläuft. HEALTH versteht die Verführungen von Drogen und Wollust, Eskapismus und Entertainment. “Stonefist” und “Flesh World (UK)” zu hören, macht Spaß! Obwohl man die Bedeutung dahinter vielleicht ablehnt. Sich zu “New Coke” die Kante zu geben, ist verlockend. Einen neuen Körper zu wünschen, nachvollziehbar. Die tragische Trennung aus “Dark Enough” und “Hurt Yourself” fühlt sich echt an. Hat man all das in Albumform durchgemacht, kommt die abschließende Weisheit von “Drugs Exist” nicht unverdient und die zunächst simpel wirkende Botschaft fühlt sich doch wahr an. „There lies no ghost / The dead will call us home“. Verlass dich nicht auf ein Jenseits. Wir leben jetzt. Wir werden sterben. Deshalb lass uns jetzt das beste daraus machen.
Live as you’d like It’s hard to know what’s right Pray if you want But try to love the ones who don’t
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