Ein subjektiver Festivalbericht.
Als ich am Dienstag die U-Bahn-Station Schlossplatz in Stuttgart verlasse, regnet es in Ströhmen. Wie praktisch! Denn bei diesem Sauwetter muss ich mich vor niemandem großartig rechtfertigen, warum ich lieber acht Stunden am Tag in den abgedunkelten Sälen der beiden Kinos gleich nebenan sitze, statt unter der Jubiläumssäule im Gras zu liegen, wie es die Einheimischen und Tourist_Innen sonst im Mai tun. In diesen Kinos findet nämlich zum 17. mal das internationale Trickfilmfestival statt. Ich bin zum dritten mal in Folge dabei. Und so fällt mir auch gleich ein kleiner Unterschied zu den letzten Jahren auf: Im Café Schlossblick, das den Gästen für die Zeit des Festivals zur Verfügung steht, gibt es diesmal keinen Promo-Kühlschrank, der mit dem neuesten trendigen Bionade-Klon zur Selbstbedienung gefüllt ist, sondern nur Apfelsaft und Mineralwasser in kleinen Plastikflaschen. Muss wohl an der Wirtschaftskrise liegen. Oder an den animierten Figuren Äffle und Pferdle, einer Art schwäbischer Mainzelmännchen, die gesponsort von einem lokalen Mineralwasserproduzenten ihren 50. Geburtstag auf dem Festival feiern. Ok, das ist auf den ersten Blick nur ein vernachlässigbares Detail. Aber wo, wenn nicht hier kommen so viele detailverliebte Menschen zusammen? Der Animationsfilm ist ja schließlich die Kunst der kleinen Unterschiede. Die Eingeweihten denken in Frames, den einzelnen Filmbidern. Sie sind sozusagen die Atome, die kleinsten Elemente jedes Films. Die kaum wahrnehmbaren Unterschiede, die zwischen ihnen statt finden, werden schließlich in der Wahrnehmung zu Bewegung. So müssen sich die Animator_Innen mit wichtigen Kleinigkeiten beschäftigen, z.B. damit wie viele Frames diese oder jene Bewegung dauern darf und wo und in welchem Takt die KeyFrames, die wichtigen Stellen, gesetzt werden sollen. Und so kann es leicht passieren, dass man/frau/sonstige sich in einem Wald von Details verliert.
Also wo war ich noch gleich? Ah ja, ich stehe in der Menge vor einem der Kinosäle und warte auf den Einlass. Dort findet nämlich gleich der erste Teil der von Sarah Thußbas kuratierten Reihe zu Animation und Propaganda statt. Die Filme der Reihe stammen größtenteils aus einer Zeit, als Propaganda noch ohne Schamgefühl als solche bezeichnet wurde, statt wie heutzutage verschleiernd von Öffentlichkeitsarbeit zu sprechen. Zu sehen sind viele seltene Dokumente. So wirft die deutsche Obrigkeit John Bull als Vorbereitung zu den beiden Weltkriegen in noch heute immer wieder gerne wieder vorgetragener Tiersymbolik vor, ein krakenartiger Imperialist zu sein der sich an den Schätzen der Welt fett frisst, und vergisst dabei selbstverständlich zu erwähnen, dass diese Schätze in ihren Augen lieber zum Übergewicht des Deutschen Michel beitragen sollten. Die Sowjetunion stimmt die Bevölkerung mit an ihre damals als avantgardistisch geltende Plakatkunst angelehnte Animation darauf ein gegen die faschistischen Wölfe geworfen zu werden. Und auch in Amerika rettet sich Walt Disneys durch Fantasia an den Rande des Ruins getriebenes Zeichentrickstudio durch Auftragsarbeiten für die Regierung vor dem Bankrott – auch mit ihren bekannten Figuren.
Apropos „Fantasia“: Dummerweise finden auf einem Filmfestival immer mehrere Veranstaltungen parallel statt. Es ist also nie möglich das ganze Programm zu sehen, außer ein dahergelaufener Zauberlehrling würde einen in genügend eigenständige Teile zerhacken. Man/frau/sonstige muss sich also überlegen was angeschaut wird und was ausgelassen werden kann. Als mit der Sesamstraße sozialisierter Mensch („Wer, wie, was“ usw.) behaupte ich mal übermütig, dass die interessantesten Teile des Stuttgarter Trickfilmfestivals nicht die Wettbewerbe sind (die ohne Zweifel auch wunderschöne Beiträge haben), sondern das Rahmenprogramm, bei dem Animationsfilmstudios und Künstler_Innen Teile aus der ganzen Welt einen Einblick in ihre Arbeiten geben. So erzählt David Schaub, Animation Director bei Sony Pictures Imageworks, wie Tim Burtons Wunderland fast vollständig im Computer gemacht wurde. Selbst Johnny Depp hatte überraschenderweise dem Film nicht viel mehr als sein Gesicht beizusteuern. Sein Körper war ein CGI-Charakter, genauso sein Pferd. Und um die Welt hinter dem Spiegel auch schön plastisch wirken zu lassen, wurde der Film auch noch – zunächst ungeplant – zum 3D-Film. Wie sich schon letztes Jahr zu erahnen war ist 3D – oder genauer Stereoskopie – zum großen Thema im Animationsfilm geworden. Nirgends sonst in der Kinolandschaft sieht diese Technik so gut aus wie im Animationsfilm. Um dabei den Vorsprung zu anderen Studios zu behalten hat Pixar Bob Whitehill als „Stereoscopic Supervisor“ angeheuert. In seinem Vortrag macht er auch gleich Schluss mit meiner naiven Vorstellung Stereoskopie wäre einfach nur eine zweite Kamera pro Einstellung. Weit gefehlt! Der kleine Bereich, in dem das Publikum durch die Sinnestäuschung – wahrscheinlich – keine Kopfscherzen bekommt muss kompliziert berechnet werden und kann für jede Einstellung anders aussehen. Außerdem überlässt Hollywood auch hier nichts dem Zufall: Wie viel Tiefe die Einstellungen haben dürfen hängt von dem emotionalen Effekt, den der Film gerade erziehlen möchte ab. Sprich: wenig Tiefe in traurigen Szenen, dafür umso mehr dafür in ausgelassenen Szenen und Actionsequenzen.
Trotz 3D-Hype finde ich mein persönliches Highlight unter den Vorträgen des Festivals aber schließlich bei Disneys Rückbesinnung auf seine 2D-Zeichentrickfilm-Tradition. Niemand sonst erzählt hier so unterhaltsam von seiner Arbeit und vor allem dem damit verbundenen Drumherum, wie Bruce Smith, Animator bei „Küss den Frosch„. Er erzählt erst stolz vom Basketballspiel mit Michael Jordan am Set von „Space Jam“, bei dem er überraschend nicht trotz, sonder gerade wegen seiner Talentlosigkeit, gegenüber dem verdutzen Sportler des Jahrhunderts punkten konnte, dann kommt er zum eigentlichen Thema: Der Shadowman „Dr. Facilier“ aus Küss den Frosch. An der Arbeit an dem Charakter hatte er sichtlich Spaß. Die Schurken sind ohnehin die eigentlichen Helden in Disney Filmen und dem aus South Central Los Angeles stammende Bruce scheint als „Schauspieler mit Stift“ die Rolle des Bad-Boy-Voodoozauberers auf wie auf den Leib geschnitten zu sein. Die Boshaftigkeit des Charakters versuchte er dann auch in der Produktion an seine Grenzen zu treiben. Er erzählt von Testscreenings, bei denen die zunächst angedachte Gesichtsbemalung der Figur Kinder aus dem Kino flüchten lies und seiner durch die persönliche Begegnung mit Football-Typen der High-School inspirierten Version der Szene, in der Dr. Facilier das Glühwürmchen Ray zermatscht. Die Szene war für Disneys Image vom Produzenten von harmloser Familienunterhaltung dann aber doch zu brutal. Jetzt arbeitet Bruce am bösen, bösen … Piglet aus Winnie Pooh. Nach ersten Schwierigkeiten sich mit dem Charakter anzufreunden, weiß er aber auch hier aus seinen persönlichen Erfahrungen aus dem Los Angeler Armenviertel zu schöpfen: Piglet ist Poohs Dealer, der dafür sorgt, dass der Bär jederzeit seine Honigsucht befriedigen kann.
Wie die Abspann-Sitzenbleiber_Innen bereits wissen werden arbeiten an den großen Disneyfilmen selbstverständlich hunderte von Menschen. Doch auch der Typ „einsames Genie“ hat ist auf dem Festival vertreten. Die letzten 40 Jahre hat Bruce Bickford größtenteils im Keller seines Elternhauses verbracht – mit Bergen von Knetmasse. Aus der wurde eine Unzahl von Figürchen als Schauspieler_Innen in seinen Stop-Motion-Filmen. Wer sich jetzt denkt, dass jemand der sich alleine von der Ausenwelt abgeschottet so akribisch mit Animation beschäftigt eventuell ein wenig seltsam werden könnte, liegt gar nicht so verkehrt. Und so liegt es nur Nahe, dass Mitte der 70er Frank Zappa auf den „Amazing Mr. Bickford“ aufmerksam wurde und für sechs Jahre mit ihm zusammenarbeitete. Als Bruce Brickford dann auftritt, geht er ein wenig gebückt und wirkt mit seinem langen weißen Haaren und dem ebenso langen Bart ein bisschen wie ein Zauberer aus dem Märchen. Vor dem Publikum scheint er ein wenig schüchtern zu sein, trotzdem kann er es schnell auf seine Seite ziehen, denn wie alle Weisen kennt er die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: „You and I know that animation is the most important thing in the world.“ Und so kann er auch kein Verständnis für den Emporkömmling Bill Gates aufbringen, der bis heute noch nicht gemerkt hat, dass er die meisten Zimmer seiner Villa als Animationsfilmstudios nutzen könnte. Wie alle guten Zauberer (vgl. Gandalf) hat Bickford auch ein Herz für die Kleinen (vgl. Hobbits). Nicht nur die kleinen Figuren oder die kleinen Schritte zwischen den Frames. Sofern sich in seinen Filmen so etwas wie eine Handlung ausmachen lässt, dreht sie sich häufig um den Aufstand und die Rache der Kleinen und Schwachen gegen die großen Bullies.
Das Gegenteil zur Outsider-Art Brickfords ist auf dem Festival auf jeden Fall Amerikas gelbe Familie. Wie erwartet stehen die Leute Schlange bei der Simpsons-Kultnacht, um David Silvermans Anekdoten aus rund 30 Jahren Mitarbeit bei der Serie zu lauschen. Und zwar obwohl die Leute bis um ein Uhr nachts auf den Einlass warten müssen. Die wichtigsten Dinge kurz vorweg: Entgegen allen Gerüchten, sind die Simpsons deshalb Gelb, weil die Frisuren von Bart, Lisa und Maggie nur aus einer Outline bestehen und eine alberne Hautfarbe wohl weniger schlimm war als die Charaktere mit seltsamen Fleischfarbenen Dingern auf dem Kopf zu lassen. Das Produktionsteam hat nichts gegen „Family Guy“, sondern ist froh, dass ihre Freund_Innen von den Hochschulen für Animation auch endlich Jobs gefunden haben. Nach über 30 Jahren und mehr als 460 Episoden lässt sich natürlich auch mit einer Menge Zahlen protzen, wie der dass allein alle Couch-Gags aneinandergereit über eine halbe Stunde lang wären.
Am Sonntag, circa 10 Millionen Frames nach Beginn des Festivals, werden schließlich unter viel Applaus die Preisträger_Innen gekührt. Doch da befinde ich mich schon wieder auf dem Heimweg. Trotzdem, die gekührten Filme sollte man/frau/sonstige im Auge behalten. Außerdem kann ich den schwedischen Film Metropia empfehlen, der es zwar nicht zu einem Preis schaffen konnte und auch inhaltlich nur mehr oder weniger eine weitere Variation eines orwellschen Zukunftszenarios ist, aber der ästhetisch richtig punkten kann.
Außer vielen Eindrücken bleibt nach so einem Festival aber auch immer eine gewisse Leere. Das sind Entzugserscheinungen, die bei allen Animationsfilmjunkies auftreten, wenn sie sich bewusst werden dass die nächste Dosis dieser Höhe wohl ein Jahr warten muss. Für die Zwischenzeit gibt es aber zum Glück einen Youtube-Klon, ausschließlich mit Animationsfilmen von der größten internationalen Fachwebsite AnimationWorldNetwork . So langsam scheint es auch wieder weniger zu regnen, also vielleicht komme ich ja mit Sonnenlicht zur Anregung der Endorphinproduktion auch so irgendwie über die Runden …
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