© Marshl Ceron Palomino via Audiolith Booking

Ich muss es gestehen: Lange hatte ich mich abgewandt, lange hatte ich meine Geschichte verleugnet, meine Liebe versteckt, meine Leidenschaft auf Eis gelegt. Lange hatte ich so getan, als ob da nie etwas gewesen wäre. Als ob ich mit der Sache überhaupt nichts zu tun hätte. Als ob ich auch eigentlich gar nichts darüber wüsste. Doch heute ist der Tag der Wahrheit gekommen. Ich gestehe: Ich höre wieder Deutschrap.

Selbstredend natürlich stets nischig und abseits des Mainstreams habe ich eine längere Historie im deutschen Hip-Hop, als mir selbst lieb ist. Ewig gestrig wie ich bin, hatte ich mich lange im Rap der 90er aufgehalten, bis ich dann über die verstaubten Boom Bap Beats eines Johnny Rakete und den scherzhaften, chronisch-ironischen Anti-Rap von Juse Ju und Fatoni bei einem Künstler ankam, den ich schon seit Jahren hin und wieder, in den letzten Wochen jedoch exzessiv gehört habe: Pöbel MC. Pöbel MC ist ein Rapper aus Rostock, der 2016 mit seinem ersten Album Backpfeife auf Dauerschleife die Manege des großen Zirkus Deutschrap betrat. Der Name des Rappers mit dem Rollkragenpulli und der Sonnenbrille ist ebenso stumpf wie bezeichnend: Es wird gepöbelt. Es wird provoziert, beleidigt, gestichelt, geflucht. Doch – und das hebt Pöbel MC von tausenden anderen Rappern, die selbiges tun, ab – stets mit Rückgrat und klarer Haltung.

So entwickelte ich recht früh eine Faszination für Pöbel MC und seinen Kosmos: Mit Toyanisches Pferd schuf sich der Rapper im fernen Jahre 2016 selbst eine eigene Hymne, die zugleich eine recht passende Zusammenfassung seiner politischen Haltung sowie seines musikalischen Stils darstellt. Toyanisches Pferd war für mich und vermutlich für viele andere die erste Begegnung mit PMC, und seitdem habe kaum mehr eine Veröffentlichung des Künstlers verpasst. Doch worum geht’s bei Pöbel MC?

In seinen Texten behandelt PMC ziemlich alles, was politisch interessierte Menschen unserer Zeit beschäftigt – jedoch aus einer sehr persönlichen, subjektiven Perspektive irgendwo zwischen akademischer Überlegenheit und alkoholisiertem Übermut. Hierbei (und das finde ich an ihm ebenso faszinierend wie kontrovers) blickt PMC als Außenstehender auf den politischen Diskurs: Jenseits von Labels, Bubbles und Kampfbegriffen. PMC gelingt es dennoch, eine klare Haltung einzunehmen und seine Sicht auf die Dinge deutlich zu artikulieren: Teils in stupide anmutenden Pöbeleien („Ich komm in die Kneipe und ich boxe Andrew Tate“), teils in unangenehm treffsicheren Beobachtungen („Komm sei erbost, komm kommentier‘ drauf los / Dort wo Bomben fallen, scheißt jeder auf dein‘ Post“). Ebenso jedoch findet sich in PMCs Texten ein ironischer, selbstreflexiver Humor, der (mal mehr, mal weniger clever) mit den typischen Phrasen des Deutschrap spielt. So werden klassische Mutter-Lines gerne mal ironisch umgedreht, gerne aber auch mal ganz stumpf reproduziert, denn: Pöbel MC will anstoßen. Rein musikalisch zeigt sich dies auch in den gewählten Beats und Samples: Während seine älteren Veröffentlichungen noch bequeme, heimelige Kopfnicker-Beats zierten, klingt etwas sein neuestes Album „Pöbel Sports Tape II“ nach ruppiger, asozialer Schlägermukke. Der Pöbel hat Wut im Bauch. Und damit repräsentiert PMC eine Menschengruppe, deren Wünsche nach sozialer Gerechtigkeit und einem Leben ohne Rassismus, Homophobie und Sexismus kaum gehört werden. Jedoch – und das ist entscheidend – wählt PMC nicht gerade den sachlich-diplomatischen Weg, um über diese Situation zu berichten. „Ungehorsam wird die Welt gerechter“ ist nicht nur ein Zitat aus seiner neuen Single „Bock auf Crime„, sondern auch eine treffende Zusammenfassung von PMCs politischer Haltung.

„Aber Lorenz“, magst du dich als Leser*in fragen, „Warum würde Pöbel MC dich für diesen Artikel klatschen?“ Nun, wie vorhin erwähnt, nimmt sich PMC in gewisser Weise eine Stellung jenseits politischer Lager und Bubbles heraus, und dabei verurteilt er (neben Neoliberalen und Rechts-Konservativen) all jene, die zwar seine Ansichten teilen mögen, deren Aktivismus sich allerdings etwa auf ihre Onlineaktivität beschränkt. Im Pöbelkosmos zählen Taten, nicht Worte – wobei PMC mit letzteren nur so um sich wirft. Und diese Worte treffen unangenehm oft auf mich zu. Ich persönlich fühle mich beispielsweise bei Zeilen wie „Du Dandy machst auf frei doch wirst vom Handy regiert“ etwas ertappt. Der Pöbel verteilt Schellen. In so ziemlich alle Richtungen. Die einzige Person, mit deren Lebensweise und politischer Haltung Pöbel MC zu 100 Prozent einverstanden ist, ist vermutlich Pöbel MC selbst. Gleichzeitig ist eben diese hier erzählte Lebensweise durchaus kritisch zu hinterfragen. Ein immer wieder auftretendes Element in PMCs Texten ist der übermäßige Alkoholkonsum – und dieser wird regelrecht glorifiziert. Saufen gegen rechts mag zwar eine punkig-rotzige Kampfansage sein, jedoch muss sich PMC in einigen Momenten den Vorwurf gefallen lassen, kaum anders als die von ihm so oft kritisierten Gangsterrapper zu klingen. Auch sein betont männlicher Stimmeinsatz, seine asoziale Schlägerattitüde und der testosterongetränkte Sound seiner Musik bedürfen einer differenzierteren Auseinandersetzung. Ein stumpfes Abfeiern der asozialen Anarcho-Romantik in PMCs Texten ist also wenig zielführend. Wer sich mit Pöbel MC auseinandersetzt, muss Widersprüche aushalten können. Widersprüche wie etwa die Dualität aus ebenso radikalen wie profunden politischen Ansichten, die teils ironisch verdreht, teils lyrisch eloquent geäußert werden, und stupider Säuferpöbelei, die ohne Fäkalsprache, männliche Aggressivität und stumpfe Parolen nicht auskommt, die sich durch Pöbel MCs Werk zieht.

Fairerweise muss hierbei erwähnt werden, dass Pöbel MC durch den Status als Kunstfigur natürlich auch ein Stück weit künstlerische Freiheit zusteht, im Rahmen derer das Schlägerimage und Männergehabe durchaus relativiert werden können. Letztlich bietet Pöbel MC mit seiner Musik genau das, was auch die Popularität so mancher Mainstreamrapper zu erklären vermag: Einen Einblick in eine Welt, die durch ihre Härte, Kompromisslosigkeit und Brutalität gerade diejenigen fasziniert, die in ihrem Alltag keinerlei Berührungspunkte zu ebenjener haben. Pöbel MC verkörpert eine Art der Männlichkeit, die wir im deutschen Hip-Hop nur selten mit Themen wie Kapitalismus- und Sexismuskritik sowie einer klaren Abgrenzung zur politischen Rechten gepaart sehen.

Kommen wir also zum Fazit: Pöbel MC ist letztlich – und es tut mir wirklich Leid, den Abschluss dieses Artikels mit einer so floskelhaften Aussage zu krönen – Geschmackssache. Besonders in musikalischer Hinsicht; der bassreiche Schlägermukke-Style ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Inhaltlich jedoch lohnt sich beim MVP aus MVP eine tiefergehende Auseinandersetzung: In seiner ganz eigenen prolligen Pöbelmanier irgendwo zwischen Universitätsbibliothek und Eckkneipe untersucht, kommentiert und kritisiert Pöbel MC sowohl System als auch Gesellschaft auf radikale wie unterhaltsame Weise und bringt so frischen Wind in die noch immer misogyne, konsumbesessene und homophobe deutsche Rapszene. So bietet PMC insbesondere mir die Möglichkeit, meine heimliche Liebe zu deutschem Hip-Hop ausleben zu können, ohne dabei meinen moralischen Kompass und meine politischen Ansichten hinten anstellen zu müssen. Letztlich bleibt mir die Empfehlung, Pöbels Musik abzuchecken: Idealerweise in chronologischer Reihenfolge. Nun, da dies gesagt wurde, sollte für PMC auch keine Notwendigkeit mehr bestehen, mir eine Lektion seines Schellenesperanto zu lehren. Oder? Bitte.

Anbei noch ein paar Tracks die ich besonders empfehlen kann:

Farbverbrecher*innen

Rollkragenschläger

Bock auf Crime

Boys Cry

Betonasche