Anime und Manga sind immer mehr im Mainstream angekommen, und viele haben schon den ein oder anderen Berührpunkt damit gehabt. Wie viele andere habe ich Anime zuerst durch das TV Programm aus meiner Kindheit kennengelernt. Mit der Zeit entdeckte ich auch Manga, die Anime meist als Source Material dienen. Nach einer Weile hat man dann irgendwann die Klassiker und großen Namen durch und kennt sie: Naruto von Masashi Kishimoto, One Piece von Eiichiro Oda, Dragon Ball von Akira Toriyama, Hunter x Hunter von Yoshihiro Togashi, um mal nur einige zu nennen. Von den neueren namenhaften Mangaka (=Manga AutorInnen) gibt es zwar auch viele, aber einer sticht für mich besonders heraus: Tatsuki Fujimoto.

Tatsuki Fujimoto, wie er sich selbst darstellt

Der Name sagt jetzt nicht gleich jedem was, aber wer etwas in der Szene unterwegs ist, hat vielleicht schon mal von Chainsaw Man gehört. Ein Manga mit einer heiß erwarteten Animeumsetzung, der zunächst klischeehaft wirkt, aber doch anders ist. Kurz gesagt geht es in Chainsaw Man um den Jungen Denji, der auf den Schulden seines verstorbenen Vaters sitzen geblieben ist und sich nur mit Glück die nächste Mahlzeit leisten kann. Sein Geld verdient er durch das Verkaufen seiner Organe/Körperteile oder das Töten von Teufeln mithilfe seines kleinen Dämonenhunds Pochita, der auch gleichzeitig eine Kettensäge ist. Irgendwann haben die Yakuza – seine Auftraggeber – aber genug von ihm und lassen Denji von einem Teufel töten, der zu mächtig für ihn ist. Doch dann opfert sich Pochita und verschmilzt mit Denji, um ihm ein neues Leben als Chainsaw Man, einem Hybrid aus Teufel und Mensch, zu schenken. Er kommt daraufhin in eine Teufelsjäger-Agentur, die es sich zum Ziel gesetzt hat den Gun-Devil zu töten. Die Teufel in Chainsaw Man zeichnen sich dadurch aus, dass sich ihre Stärke proportional zu der Angst, die die Menschen vor ihnen aufgrund ihres Wesen haben, verhält.  Haben die Menschen also Angst vor Schusswaffen, gibt das dem Gun-Devil Macht. Ein durchaus simples, aber geniales Konzept, da es die eigenen Ängste der Menschheit aufzeigt und viel Kreativität mit den Teufeln zulässt. So gibt es beispielsweise auch einen Bomb-, Darkness-, Control-, Strength-, Shark-, Spider- oder Futuredevil.

Der Gundevil und ein Auszug der Namen seiner Opfer
(CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto / SHUEISHA Inc. / Egmont Manga)

Auf dem Weg zum Gun-Devil begegnet Denji somit vielen skurrilen Dämonen, die nicht unbedingt alle feindlich sind und erfährt nach und nach auch, was die kleinen Freuden des Lebens sind, die er sich eigentlich schon immer gewünscht hatte.

Allein dadurch sollte klar sein, dass Fujimoto-sensei (Anrede für Mangaka) etwas verrückte Geschichten schreibt. Manchmal sind sie vielleicht pubertär oder lächerlich, aber auch genauso düster, ernst, brutal und gleichzeitig ebenso tiefgründig. Was ich zudem sehr an Chainsaw Man mag ist, dass hier tatsächlich, im Gegensatz zu anderen großen Manga, viele Charaktere in Gefahr sind und auch sterben können. Somit bleibt die Handlung stets spannend und macht die ruhigen Momente zwischen der Action umso besser. Für viele Fans sind gerade diese Szenen die schönsten und machen die Charaktere wirklich lebendig und liebevoll. Hier kann man mal durchatmen und die Figuren auch wachsen und sich entwickeln sehen.

Auch wenn Chainsaw Man mit seiner Fortsetzung gerade wieder ein aktuelles Thema ist, muss ich unbedingt Fujimoto-senseis andere Werke etwas in den Vordergrund stellen. Abgesehen von seiner anderen längeren Mangaserie namens Fire Punch habe ich all seine Werke gelesen und sie sind alle sehr unterschiedlich. Was mich bei Fujimoto-senseis Manga am meisten begeistert ist, dass er das Konzept von “show, don’t tell” benutzt. Eigentlich ein für Filme bekannter Tipp, der bei Manga ein eher seltenes Element ist. Nicht alles wird immer ausdrücklich erklärt und das muss es auch nicht. Die Lesenden können selbst mitdenken oder auch interpretieren.

Erleichtert wird das zudem von einem weiteren Skill Fujimoto-senseis. Er versteht es, ein nahezu perfektes Pacing zu kreieren und das nicht zuletzt durch sein wunderschönes Paneling. Die Manga Panels sind selten überladen mit Informationen und zeigen nur, was wichtig ist. Ich dachte früher auch nie, dass man bei Mangas, wie bei Büchern, von “leicht zu lesen” sprechen kann. Aber bei Fujimoto-sensei ist das so. Es ist übersichtlich, einfach, effektiv und erfrischend, solche Panels zu lesen. Und vor allem reicht es aus und reguliert die Geschwindigkeit der Geschichten perfekt.

Hier mal eine extreme Gegenüberstellung von Panels aus Blame! Tsutomu Nihei (Tier0), One Piece von Eiichiro Oda (Tier 2) und Hunter x Hunter von Yoshihiro Togashi (Tier 3) im Vergleich zu Chainsaw Man … von Tatsuki Fujimoto (Tier 1).

Von links nach rechts: BLAME! © Tsutomu Nihei / Kodansha LTD.

CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto / SHUEISHA Inc.

ONE PIECE © 1997 EIICHIRO ODA / SHUEISHA Inc. / Carlsen Manga

HUNTER X HUNTER © 2000 POT (Yoshihiro Togashi) / SHUEISHA Inc. / Carlsen Manga

Natürlich sind Hunter x Hunter und vor allem One Piece ihre ganz eigenen Meisterwerke, aber auch die beiden haben ab und zu ihre Schwächen. Fujimoto-sensei hingegen hat sich schon den Meme-Namen “FujiGOATo” unter den Fans verdient und mit Aussagen wie “he don’t miss” hat er sich mit jedem weiteren Werk, seinen Platz als eine neue Art von Manga Meister-Autor verdient.

Während Chainsaw Man für zwei Jahre pausierte, veröffentlichte Fujimoto-sensei drei One-Shot Manga, also Kurzgeschichten, die in nur einem Kapitel abgeschlossen werden. Ich würde soweit gehen zu sagen, dass diese drei Werke zu meinen absoluten Lieblingsmanga zählen. Wenn ich nach nur ca. 100 Seiten um Charaktere, die ich vorher nie kannte, weinen muss, zeigt mir das, was für ein Meister Fujimoto-sensei wirklich ist.

In Look Back geht es um zwei Schulmädchen, die langsam zueinander finden, da sie sich als Rivalen im Mangazeichnen sehen, aber dann doch Freunde werden. Die Geschichte streckt sich bis in ihr Erwachsenenalter und kommt ganz ohne Übernatürliches aus, beziehungsweise ist das Interpretationssache. Es zeigt, wie wichtig menschliche Bindungen sind und wie stark Schicksalsschläge das Leben verändern können. Eine Geschichte, die einen wirklich berühren kann und auch für welche die nicht viel mit Anime und Manga anfangen können, empfehlenswert ist. Mehr möchte ich hier aber nicht vorwegnehmen.

Denji schläft zusammen mit Pochita
(CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto / SHUEISHA Inc. / Egmont Manga)

Danach erschien im letzten April Sayonara Eri/Goodbye Eri und war für mich fast noch eindrucksvoller. In diesem One-Shot geht es um Yuuta, der einen Film für sein Schulfest dreht. Darin dokumentiert er die letzten Tage, Wochen und Monate seiner Mutter, die an einer unheilbaren Krankheit leidet. Er beschloss, den Film in einer wortwörtlichen Explosion enden zu lassen und verstörte damit viele Mitschüler*Innen. Er findet seinen Film aber sehr gut und versteht nicht, dass ihn so viele kritisieren. Als er sich daraufhin vom Dach des Schulgebäudes stürzen will, stoppt ihn Eri. Ein Mädchen, das sich selbst als Vampir ausgibt und Filme über alles liebt. Zusammen schauen sie etliche Filme, damit Yuuta mehr Erfahrungen sammeln kann, und um zusammen einen Film erschaffen zu können, der alle Kritiker umstimmen wird. Doch ist Eri wirklich ein Vampir und ist da nicht vielleicht mehr zwischen ihr und Yuuta?

Dieser Manga spielt häufig mit den Erwartungen und Interpretationen der Leser*Innen und nimmt eine Wendung nach der anderen. Was ihn aber am meisten auszeichnet ist die einzigartige Herangehensweise des Panelings. Man weiß oft nicht, ob man gerade einen Film schaut oder einen Manga liest. Mit vielen POV Shots und aufgefächerten Frames einer Bewegtbild-Szene, wird ein wirklich neues Lesegefühl geschaffen. Nicht selten hört man auch, dass Fujimoto-sensei ein riesen Filmfan sei. In manchen Artikeln oder Interviews wird er als der Quentin Tarantino des Manga bezeichnet. Für Filmenthusiasten kann Goodbye Eri daher ein echt interessanter Manga sein, der das Medium thematisch, wie auch konzeptuell einfängt und beim Lesenden die Interpretation anregt.

Fujimoto-senseis neuester One-Shot erschien erst Anfang Juli und hört auf den Namen Just Listen to the Song. Diesmal nur als Writer beteiligt, überzeugt dieses Werk aber auch am meisten durch seine Story und Message. In dieser Kurzgeschichte geht es um einen Schüler, der seinem langjährigen Schwarm seine Liebe gesteht und einen Lovesong auf Youtube für sie hochgeladen hat, den sie sich bitte anhören soll. Diese erwiderte seine Gefühle jedoch nicht und teilt das Video mit der ganzen Schule. Zunächst wird er für sein Liebesgeständnis ausgelacht, aber dann finden immer mehr Leute komische Phänomene in seinem Video, wie zum Beispiel Geistererscheinungen. Das Video geht viral und wird weltweit bekannt und bekommt Unmengen an Fans, die alle auf einen weiteren Song hoffen. Diesen sieht er sich dann gezwungen hochzuladen und veröffentlicht “Just Listen to the Song”. Ein stinknormales Liebeslied für das gleiche Mädchen in dem nichts besonderes passiert. Die ganze Welt ist enttäuscht und wendet sich von ihm ab.

Und das war’s im Großen und Ganzen auch schon mit dem One-Shot. Eigentlich hat er nichts besonderes an sich, aber da ist eine gewisse Metamessage versteckt. Nachdem das Kapitel online weltweit veröffentlicht wurde, waren viele Fujimoto Fans gespannt, was er uns dieses Mal zeigen würde. Da Just Listen to the Song so “einfach” und “normal” wirkt, diskutierten die Leute in den Foren, ob es nicht doch noch irgendwo eine versteckte Bedeutung gibt und genau damit sind sie quasi in Fujimoto-senseis Falle getappt. Wer hier einen tieferen Sinn und eine große neue Erkenntnis sucht, ist genau so wie die Zuschauer*Innen im Manga, die im Video etwas Besonderes wollten, aber den Song an sich nicht wert schätzten. Es muss nicht immer eine krasse Message in jedem Medium geben und genau das ist Fujimoto-senseis Nachricht. Manchmal sollte man die Dinge nur für das sehen, was sie sind und das reicht auch völlig aus. Eine Film-Variante hierzu könnte heißen “Just watch the movie”. Auch diese Sachen haben einen Wert und sind in ihrem eigenen Sinne schön.

Power und Kobeni als sie jemanden angefahren haben
(CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto / SHUEISHA Inc. / Egmont Manga)

Bevor ich mit meinen Lobpreisungen an Tatsuki Fujimoto zum Ende komme, will ich noch eine Sache nicht unerwähnt lassen. Sein Zeichenstil ist auf jeden Fall wiedererkennbar und kann von stark detaillierten Action-Panoramen bis hin zu simplen, gar leeren Panels reichen. Was ich bei seinem Stil jedoch am meisten liebe, sind vor allem die Mimiken seiner Charaktere. Man kann manchmal schon von dummen, hässlich aussehenden Gesichtern sprechen, aber genau das finde ich so schön menschlich. Menschen sehen nicht immer perfekt aus und wer kennt es nicht, wenn man mal ein Foto macht und jemand blinzelt oder sich bewegt und dann total komische, unnatürliche Grimassen herauskommen. Danach lacht man zusammen über solche Momente und diese Momentaufnahmen liebe ich an Fujimoto-senseis Manga. Die Emotionen seiner Charaktere wirken auch sehr wenig, wie die typischen Anime/Manga Mimiken, die man so sieht. Seine Werke fühlen sich dadurch um einiges frischer an. Aber vielleicht interpretiere ich hier auch genau wie bei Just Listen to the Song viel zu viel hinein und bestätige dessen Message. Aber wer weiß das schon.

Der Wardevil tötet jeden der ihr im Weg steht
(CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto / SHUEISHA Inc. / Egmont Manga)

Ich hoffe jedenfalls, ich konnte euch meinen Lieblingsmangaka Tatsuki Fujimoto etwas näher bringen. Fujimoto-sensei schafft es Mainstreammangaunterhaltung mit tieferen Themen zu vermischen und hat mich schon des Öfteren zum Nachdenken gebracht. Chainsaw Man ist und bleibt in meinen Augen zwar ein Meisterwerk, aber auch seine One-Shots haben mehr Aufmerksamkeit verdient. Niemand weiß, wann es den nächsten Manga von Fujimoto-sensei geben wird, aber in den nächsten Monaten erscheinen viele davon endlich auch in Deutschland. Zur Überbrückung kann man sich Fire Punch oder Chainsaw Man widmen, die beide schon komplett abgeschlossen im Handel erhältlich sind. Oder auch Chainsaw Man Part 2, der seit einer Weile bei der Mangaplus App/Website von Shueisha weiterläuft. Dort stehen die neuesten Kapitel jeden Dienstag ab 17 Uhr kostenlos und legal zum Lesen zur Verfügung. Die App ist wirklich super, aber mehr dazu vielleicht in einem zukünftigen Artikel.

Bildrechte:

BLAME! © Tsutomu Nihei / Kodansha LTD.

CHAINSAW MAN © 2018 by Tatsuki Fujimoto

All rights reserved.

First published in Japan 2018 by SHUEISHA Inc., Tokyo.

Deutschsprachige Ausgabe erschienen bei:

Egmont Manga verlegt durch Egmont Verlagsgesellschaften mbH,

Alte Jakobstr. 83, 10179 Berlin

HUNTER X HUNTER © 2000 POT (Yoshihiro Togashi) / SHUEISHA Inc. /Carlsen Manga

ONE PIECE © 1997 EIICHIRO ODA / SHUEISHA Inc. / Carlsen Manga