HBO ist seit den Sopranos berühmt dafür komplexe Serien mit einer Vielzahl an Darstellern zu produzieren, die inhaltlich anspruchsvoll, historisch akkurat, ästhetisch ansprechend und narrativ wertvoll sind. HBO malt uns herrliche Portraits von anderen Zeiten. Gemeinsam haben all die Serien, die in der Nachfolge der Sopranos stehen, dass sie Arschlöcher als Protagonisten haben (Seht euch nur Don Draper an. Oder alle Game of Thrones-Charaktere.) Unter diesen merkwürdig sympathischen Fieslingen war mir Ian McShanes Al Swearengen immer am liebsten.
Al Swearengen: „Pain or damage don’t end the world. Or despair or fucking beatings. The world ends when you’re dead. Until then, you got more punishment in store. Stand it like a man… and give some back.“
Welcome to fuckin Deadwood
In der Westernserie Deadwood wird das Portrait eines Lagers in den Dakotas 1876 gefertigt. An der Spitze des bunt gemischten Glücksritterhaufens stehen Steh Bullock, der leider nach der ersten Folge nur nervt, und Al Swearengen, dargestellt von dem wunderherrlichen Ian McShane. Beides sind historische Charaktere und stehen Seite an Seite mit Wild Bill Hickock und Calamity Jane, die jedem Lucky Luke-Leser bekannt sein sollten. Al Swearengen ist einer dieser Arschloch-Sympathen. Tatsächlich würde ich soweit gehen zu sagen, dass er die Meisterklasse erreicht hat.
Let me explain: Die meisten dieser Charaktere, darunter Don Draper, Hank Moody und Tony Soprano, wirken auf den Zuschauer, weil sie gewisse Sympathien hervorrufen. Aber alle bleiben sie moralisch verwerflich. Wenn wir ehrlich zu uns sind, können wir diese Leute nicht bewundern, da schon das mildeste, was sie verbrechen, Ehebruch in hoher Frequenz ist. Al ist anders. Al ist der Chef des organisierten Verbrechens von seinem Saloon aus. Zwar ist er ein extrem jähzorniger und gewalttätiger Mensch, der Frauen zur Prositution zwingt und gnadenlos über seine Untergebenen herrscht, aber er arbeitet auf ein Ziel hin: Er baut Deadwood auf und hält die Korruption im Schach, indem er sie regiert – wie es jeder gute Pate macht. Seine Handlungen sind zwar selbstsüchtig, aber vieles dient dem höheren Zweck: he’s forming a fucking government. Moralische Bedenken hat er nie. Wir können ihn zwar nicht mögen und über seine Verbrechen hinweg sehen; und auch wenn er Sympathieträger der Show sein mag ist er nie sympathisch, denn wir können ihn nie einschätzen und nachempfinden. Aus Swearengen wird man nicht schlau.
Nur ist Al Swearengen wirklich nicht der einzige, der Deadwood zu einer einzigartigen Serie macht.
Trixie: „Fuck every fucking one of you. I Wish I was a fucking tree.“
When you talk,
your mouth looks like a cunt moving.
Die Historienserie war immer für seine Sprache bekannt. Nicht nur der schwere Dialekt, der im originalen Englisch schwer zu verfolgen ist, sondern auch wegen der großartigen Vulgärsprache. Das ist es aber nicht, was die Serie so zitierfähig macht. Es steckt eine ganz hervorragende Schreiberei dahinter. Leider lassen sich Dialoge außerhalb des Kontextes schwer demonstrieren, also müsst ihr es mir einfach glauben. Auf YouTube gibt es „Experimente“ die die fast 50-minütigen Folgen nur auf die Schimpfworte zusammenschneiden und immer noch mehr als zwei Minuten Material haben. Und das ist vermutlich noch gekürzt, wenn man sich die Statistik ansieht.
Die derbe Umgangssprache ist aber bei weitem nicht so historisch, wie man es von HBO gewohnt ist, sondern ein Kompromiss. Der tatsächliche Ton der Zeit war eher gotteslästerlich, denn die Gesellschaft 1876 hatte natürlich einen noch viel größeren religiösen Hintergrund. Insgesamt wirkt die historische Sprache eher albern als wüst und gesetzlos. Also wurde die Obszönität so umgeschrieben, dass sie auch heute noch als anstößig erkennbar ist.
Jane: „I have been recently engaged in complicated negotiations with niggers, who equal any other creature walking upright being able to fuck themselves up!“
You can’t cut the throat of every cocksucker
who’s character it would improve.
Die Sprachgewalt kann aber immer nur Ausdruck bleiben und selten Selbstzweck. Das ist die Natur der Medien, die nur als solches erfunden wurden, wie Sprache. Deadwood ist eine der Serien, die Narration hinterfragt. Viele Handlungsstränge verlaufen im Sand, weil das Leben einfach so ist. Viele Szenen dienen zu nichts anderem, als die Rolle zu präsentieren. Die stringente Handlung, die sich eben hauptsächlich um Al Swearengen dreht, ist ein tolles Skelett an dem auch viel Fleisch hängt, aber gar nicht der treibende Faktor. Deadwood redet über Stimmung. Deadwood erzählt Geschichten, die nicht auf einem Plot basieren, sondern mehr durch das Herz als durch den Kopf wirken. Man geht nicht zu weit, wenn man sagt, dass Deadwood und seinesgleichen das Fernsehen sehr gründlich zu nutzen wissen. Man interessiert sich für die Schicksale der Leute! Und das, obwohl keiner von ihnen besonders unschuldig ist. Viele sind Getrieben, viele sind machtlos, viele sind böse.
Und damit bleibt Deadwood, wie es viele gute Western sind, ein Kind des amerikanischen Sündenfall. Und ein Sündenfall ist immer der erste Schritt in Richtung Zivilisation. Es erzählt das, was später in Amercian Gothic das Unausgesprochene wird und heute an den zwanghaften Freiheitsgedanken sichtbar ist, der dazu führt, dass man keine gesetzliche Krankenversicherung haben will und Sturmgewehre braucht, um sich vor der Regierung zu schützen.
Seth Bullock: „What kind of man have I become?“
Truth is as a base of operations,
nothing can beat a fucking saloon
Was jede Serie braucht, wenn sie historisch und ästhetisch sein will, ist ein cooles Set. Deadwood wurde auf einer Ranch gedreht mit einem wirklich beeindruckenden Szenenbild. Die Serie spielt fast ausschließlich in den Zelten und Hütten des Lagers. Im Verlauf der Zeit gibt es mehr Hütten und weniger Zelte. Die konstant schlammig getretene Straße wird durch die Häuser nach und nach befestigt und das Bild der ganzen Show entwickelt sich – aber langsam, so langsam, dass man es sich erst bewusst machen muss. Eintönig ist es aber bei weitem nicht. Die vielen Räume und Straßen zusammen mit den unterschiedlichen Menschen in ihren detailierten Kostümen ergeben ein großartiges Schauspiel, das so lebendig wirkt wie es nur wenige Panoramen schaffen. Jedes einzelne Bild ist genauer ausgearbeitet als die meisten Fernseher es überhaupt darstellen können. Die Details, die die Geschichte erzählen, von Menschen, die versuchen ein Leben aufzubauen – in einem wirklich coolen Set.
Doc Cochran: „I’m as nimble as a forrest creature.“
God rest the souls of that poor family…
and pussy’s half price for the next 15 minutes.
Das Set war wohl auch der ausschlaggebende Faktor, wenn es um das frühzeitige Ableben der Serie geht. Nur drei Staffeln wurden gemacht und keiner der versprochenen Filme. Wie das passiert ist, weiß keiner so genau. Streitigkeiten zwischen dem Showrunner David Milch und HBO sind allgemein anerkannt, aber ob wirklich nur die Kosten der Serie und Milchs Stolz die Gründe waren, bleibt Spekulationen überlassen. Bevor die versprochenen TV-Filme gedreht wurde, erhielten Fans und Crew die Nachricht, dass das Set jetzt demontiert wird. Völlig unbeendet.
Und das Ende der Serie war so offen, wie es nur sein kann. Ein scharfer Schnitt vor dem Finale der dritten Staffel. Ein Cliffhänger, wie er im Buche steht. Und doch scheint es gar nicht so unpassend, wenn man bedenkt, dass Deadwood eben viel mehr auf Handlung als auf Charaktere gezielt hat. Al wischt das Blut seines letzten Opfers auf und Seth Bullock unterrichtet die Familie. Alles ist wie es ist. Manche Dinge müssen nicht ausgesprochen werden. Manche Dinge sind erzählt.
So say we all.
Noch keine Kommentare