Eine Filmperle aus dem letzten Jahrtausend: Eugen Onegin ist ein Müßiggänger aus St Petersburg. Ausgestattet mit genug Geldmitteln, einiger kritischer Beobachtungsgabe und Talent  für bösartige Karikaturen seiner Zeitgenossen befindet er sich im Zustand abgeklärter Langeweile.

Als sein Onkel stirbt, reist er auf dessen Gut, freundet sich mit dem jungen Poeten Lenskij an und begegnet Tatjana, mit deren Schwester Lenskij verlobt ist. Angetan von Onegins scharfem unerbittlich ehrlichem Geist und seinen modernen Vorstellungen verliebt sich die belesene junge Frau in ihn, doch er weist sie stolz ab. Nachdem es zwischen ihm und Lenskij zum tödlichen Duell kommt, verlieren er und Tatjana sich aus den Augen. Als Onegin schließlich, sechs Jahre später, wieder nach St Petersburg kommt, ist sie inzwischen verheiratet.

Mit „Onegin“ gelang Regisseurin Martha Fiennes (ein weiteres Mitglied der ausufernden Fiennes-Familie) ein Werk, dass 13 Jahre nach seiner Entstehung tatsächlich den oft missbrauchten Titel „zeitlose Schönheit“ verdient, sowohl inhaltlich wie auch optisch (und akustisch, denn  die Musik ist einige Aufmerksamkeit wert). Umso seltsamer mag es einem vielleicht erscheinen, dass der Film in der breiten Öffentlichkeit  sozusagen eher unter die Kategorie „Extra- Spezial-Geheimtipp“ fällt. Vielleicht verwundert es andererseits auch nicht, denn es ist sicherlich nicht so, als wäre „Onegin“ ein Film der jedem ohne weiteres gefällt. In jedem Fall sollte man sich nicht von dem unsäglichen Beititel in die Irre führen lassen, den man ihm in Deutschland anhängt –  „Eine Liebe in St Petersburg“ – oh je, oh je… das wäre etwa so irreführend wie „Buddenbrooks – lustige Familiengeschichten in Lübeck“.

Basierend auf einer Verserzählung Puschkins, hätte die Verfilmung sicherlich auch zum zweistündigen Epos heranwachsen können, wozu bei der Verfilmung von (russischer) Literatur offenbar eine Tendenz besteht, siehe hierzu  ungefähr alle bisherigen Verfilmungen von „Anna Karenina“. Dass er es nicht tut, ist sicherlich ein Pluspunkt, denn in 104 Minuten gelingt es, den Inhalt gut komprimiert darzustellen ohne in die Gefahr zu geraten sich in Details zu verlieren. Gottlob, denn handlungsspezifisch passiert nicht viel und das wenige ausfzublasen wäre  zwar nicht unüblich, aber deshalb nicht weniger fatal weil ätzend.

Nein, es ist nicht die Länge die hier abschreckend wirken kann, auch wenn, je nach persönlicher Ausrichtung, einem vermutlich auch eine Stunde beredtes Schauen ohne viele Worte (was wohl die Hauptinteraktion in „Onegin“ ausmacht) zu lang werden könnte. Aber einmal davon ausgehend, dass sich nur Menschen den Film ansehen, die Literaturverfilmungen mit wenig Handlung und viel Subtext lieben, wird auch diesen Filmeschauern eines eventuell etwas schwer bekömmlich erscheinen, nämlich der Schluss: Er kommt abrupt und irgendwie scheint da noch ein ganzes Stück zu fehlen, so kommt es einem zumindest vor. Es ist kein sehr befriedigendes Ende, denn dieser Mr Darcy kommt leider zu spät zur Einsicht, seine Lissy ist für ihn längst nicht mehr erreichbar.

Der kleine Spoiler tut mir leid, aber es ist wohl eine Voraussetzung um den Film genießen zu können, dass man nicht allzu große Erwartungen an den Schluß richtet, sonst sitzt man über kurz oder lang nämlich ziemlich dumm da und nimmt es am Ende dem armen Film übel. Kein Happy End. Streng genommen ist es auch kein sehr dramatisches Ende. Eher ein recht realistisches: Wir haben Einblick in einen kurzen Abschnitt des Lebens zweier Menschen erhalten und ebenso abrubt wie wir eingestiegen sind, steigen wir wieder aus. Alternativer Titel: Wenn Stolz und Vorurteil ein Tatsachenbericht wäre.

Angemerkt sei hier: Ich persönlich finde das gut, denn es nimmt dem Film gerade den Hauch von Kitsch der den Unterschied zwischen Trivialstreifen und Charakterfilm ausmacht. Wer Onegin ansieht, weil er hofft Colin Firth und Jennifer Ehle nahtlos mit Ralph Fiennes und Liv Taylor zu ersetzen, bzw. wer Puschkin für Jane Austen hält, der hat wohl nicht so viel Spaß an der Sache und so oder so, die Frage „Und jetzt?“ die bei diesem Film offen stehen bleibt, könnte mehrere Parteien stören. Auch ich fand es zunächst schwierig, kam aber dennoch zu dem Schluss, einen Film so enden zu lassen wie „Onegin“ erfordert Mut und wenn man sich frühzeitig damit abfinden kann das Puschkin, wie gesagt, nicht Jane Austen ist, dann wird man sich sicherlich mitgenommen fühlen

Die Stolz und Vorurteil-Analogie kommt dabei nicht von ungefähr: Der Charakter des Eugene Onegin hat, zumindest so wie ihn Ralph Fiennes darstellt, viel von diesem vielfach umschwärmten Frauenidol. Da auch Tatjana in ihrer Belesenheit und Eigenwilligkeit Miss Elisabeth Bennett nicht unähnlich ist, fühlt man sich, während ihrer ersten Begegnung nachdem Onegin Tatjanas Liebesbrief erhalten hat, auch unwillkürlich daran erinnert, wie Mr Darcy dereinst endlich Gefühl offenbarte und Lissy seine Liebe gesteht. Nur dass sich hier die Rollen etwas vertauscht zu haben scheinen und man plötzlich sehr ketzerisch denkt: Dieser Mr Darcy ist wohl doch genau so wie er erscheint, nämlich stolz und überheblich, um nicht zu sagen ich-fixiert. Er ist es und er bleibt es auch als er endlich seine Gefühle für Tatjana erkennt.

Bereichert um einen traurigen Charakterzug mehr, denn nun fragt man sich warum ihm das nicht früher eingefallen ist, erweist er sich nun als genau der weltfremde Narzisst den man von Anfang an in ihm gesehen hat, denn das die inzwischen verheiratete Tatjana vielleicht nicht eben Lust hat ihm bei erster Gelegenheit seufzend in die Arme zu fallen kommt ihm gar nicht in den Sinn. Bei allem vagen Mitgefühl sieht man nun, was sich längst deutlich gemacht hat nocheinmal in aller Schärfe: Hier ist jemand, der die Depression sucht und letztenendes Langeweile gegen edle Qual tauscht. Noch boshafter formuliert: Erfüllte Gelüste hatte er en masse, warum nicht jetzt mal zur Abwechslung in der unerfüllten Liebe schwelgen?

Ein wenig hart, ein wenig sehr realistisch: Der Antiheld nimmt keine magische Wandlung an sich vor, er folgt weiter den Charakterzügen, die bereits von Anfang an sichtbar waren. Wird der Film deswegen schlecht? Nein, er ist nur ein Warnruf an alle Jane Austen-Fans: Menschen sind eben manchmal doch genau das, was sie zu sein scheinen und Situationen die verfahren sind, bleiben es eben manchmal auch. Dass der Traum von der großen Liebe auch in diesem (traurigen) Realismus nicht ungeträumt bleibt, ist ein recht schwacher Trost aber sagt letztenendes aus, dass der Film, wenn schon nicht für Liebhaber von „Stolz und Vorurteil“, dann doch sicherlich für Fans von „Abbitte“ ideal ist.

Warum der Film, trotz zwiespaltigen Endes, letztenendes aber auch für alle anderen sehenswert ist?  Ohne Zweifel der Bilder wegen. Von Onegins Schwermut bis zu Tatjanas fiebriger Unruhe fängt Remi Adefarasin die einzelnen Gefühle nicht nur gekonnt ein, er spiegelt sie auch in einer so bittersüßen Leichtigkeit wieder, dass allein die Ästhetik an sich die sonst kargen, eher durch Blicke denn Worte wiedergegebenen Emotionen mehr als wett machen – sie sind durch seine Linse betrachtet fast körperlich spürbar und ich hätte nie gedacht das mich einmal ein Bild eher zum Weinen bringen könnte als eine aktive Handlung. Noch einmal zeigt der Brite hier deutlich, was ihm bereits ein Jahr zuvor für „Elisabeth“ Preise einbrachte: Was an dem Stoff  „Onegin“ schwer und behäbig ist, macht er durch seine Bilder fast schwerelos, die durch Worte wenig beschriebenen Stimmungen lassen sich durch sie mühelos begreifen und überstreifen.

Onegin also, ist ohne Zweifel ein Film zum Genießen und wohl auch nur das, denn er ist nicht sehr spannend und das Ende wie gesagt irgendwie, als hätte man der Schlange den Schwanz abgeschnitten. Genießen kann man die Bilder und die hohe Kunst der Hauptdarsteller: Wo Liv Taylor in „Herr der Ringe“ zu viel weinte ist sie hier eindeutig der perfekt ausbalancierte emotionale Gegenpool zu dem kühlen Onegin. Ralph Fiennes („Der englische Patient“, „Harry Potter“), der diesmal auch als ausführender Produzent tätig war, lässt erkennen, dass er den Charakter des Onegin von Grund auf verstanden hat (in einem Interview erzählt er, sich bereits in der Schauspielschule mit dem Text befasst zu haben) und setzt gelangweilte, bornierte Distanzierheit geschickt gegen plötzlich aufbrechende Menschlichkeit und Gefühl.

Dass Onegin diese Ambivalenz zu spät an sich entdeckt ist sein Dilemma, Fiennes wird es zum Glanzstück: Der Moment in dem er Tatjana seine Liebe gesteht und nach und nach alle Manieriertheit abblättern lässt wie Goldlack, bis er schließlich vor ihr auf Knien liegt, ist sicherlich große Kunst. Vielleicht, je nach Veranlagung, genießt man sogar, dass eine Geschichte mit derart bekanntem Verlauf ein so unerwartetes Ende nimmt. Ob es einen nun entrüstet oder kalt lässt, erwartet hätte man es wohl nicht.

Wer also mag diesen Film ? Jeder Fan von „Abbitte“ und eventuell auch die „Stolz und Vorurteil“-Anhänger mit gefestigtem Charakter. Eventuell findet sogar ein „Stirb-Langsam“-Fan Gefallen daran, wenn er sich damit abfindet, dass aktiv außer einer kleinen Schießerei nicht viel passiert. Ich mag alle drei benannten Filme… und „Onegin“.

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Onegin – eine Liebe in Sankt Petersburg (1999)

Regie: Martha Fiennes

Darsteller: Ralph Fiennes, Liv Tyler, Toby Stephens