Vier Musiker. Sechzehn Songs. Vierundzwanzig Kameras. Eine dreihundertsechzig-Grad Bühne. Tausende Fans. Ein Film: Das ist Metallica – Through the never.
„Nicht schon wieder ein Konzertfilm“, wird sich der ein oder andere jetzt missmutig denken. Doch Metallica – Through the Never ist viel mehr als nur das. Nach ihrer 2004 erschienenen erfolgreichen Dokumentation Some Kind of Monster versucht sich die Band nun daran, sich selbst und den traditionellen, totgelaufenen Konzertfilm neu zu erfinden: Um das Konzert ist eine Handlung gesponnen, sodass der Film auch eine Narrative enthält und eine Verbindung zum Spielfilm gezogen wird.
Um was geht’s?
Trip (Dane DeHaan), ein Roadie von Metallica und zugleich einer der größten Fans der Band, wird eines Abends während eines Konzerts losgeschickt, um dabei zu helfen, die für das Konzert wichtige Ladung eines liegengebliebenen LKWs zur Konzerthalle zu befördern. Nach einem Unfall zu Fuß unterwegs, läuft er ohne es zu merken mitten in eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen einer Menschenmenge und Polizisten. Es erscheint ein maskierter Reiter, der einen riesigen Hammer bei sich trägt und wahllos Menschen mit einem Lasso an Laternen erhängt. Als der Reiter gerade wieder zur Tat schreiten will, lenkt Trip dessen Aufmerksamkeit auf sich: Die Jagd auf Trip beginnt. Auf seiner Flucht entdeckt er schließlich den gesuchten LKW, dessen Fahrer reglos in der Fahrkabine sitzt. Als Trip in den Laderaum sieht, befindet sich dort nur eine Tasche mit unbekannten Inhalt. Auf dem Rückweg zur Konzerthalle wird er wieder von dem Reiter und einer wütenden Menge Menschen verfolgt. In eine Sackgasse rennend, muss sich Trip seinen Verfolgern stellen…
Metallica in Concert
3D has never felt this heavy
So behauptet es zumindest der Trailer. Und gleich vorweg: Er verspricht nicht zu viel. Das Herzstück des Films besteht eindeutig aus den Konzertaufnahmen: 16 Songs live auf einer 360°-Bühne in IMAX-3D-Format, eingefangen von 24 Kameras. Die Lieder sind eine bunte Mischung aus sechs Alben der Band. Allein die Art, wie Metallica die Bühne für sich einnehmen, ist sehenswert. Wer schon einmal ein Konzert der Band sehen durfte, wird wissen, wovon ich rede. Es macht einfach Spaß, den vier Bandmitgliedern zuzusehen und zu erleben, welche Energie in ihrer Show steckt. Der nächste Knaller ist das Bühnenbild: Es variiert zwischen den verschiedensten extravaganten Bauten: So entsteht zum Beispiel zu den Klängen von …And Justice for All eine riesige Justitia-Statue, die am Ende des Liedes in sich zusammenstürzt. Durch Tesla-Spulen werden bei Ride the Lightening Blitze auf einen elektrischen Stuhl gelenkt. Aus dem Boden erheben sich bei Master of Puppets gewaltige Kreuze, die aus der Bühne einen Friedhof zu machen scheinen. Die Licht- und Pyroeffekte runden das Zusammenspiel von Musik, Band, Fans und Bühne ab: An Explosionen und Feuer sowie aufwändigen Lichtshows wird nicht gespart. Besonders ins Gedächtnis brennt sich vor allem der Anfang des Songs One, der die tragische Geschichte eines Soldaten erzählt. In der Show sind Schüsse und Explosionen zu hören, dazu passend wird mit Lichteffekten und Bodenexplosionen der Eindruck vermittelt, gerade selbst in eine Schlacht verwickelt zu sein. Alles in allem wirkt zusammen zu einem audiovisuellen Hochgenuss – kurzgesagt: eine umwerfende Liveaufnahme!
Auf der Suche nach dem Sinn…
Einen visuellen Hochgenuss bietet auch die nebenher laufende Geschichte: in Slowmotion zerberstende Glasscheiben, eine zum Leben erwachte erhängte Puppe, eine Straße voller Erhängter, brennende Autos, brennende Protagonisten… Auch die Kameraführung ist sehr geschickt eingesetzt: Trip läuft beispielsweise gerade eine Straße entlang, man sieht nur seinen Rücken. Plötzlich bleibt er stehen, das Intro zu Wherever I may roam setzt ein, die Kamera dreht sich langsam analog zu Trips Kopfbewegung. Man sieht zum ersten Mal die Aufrührer. Als die Drums einsetzen fährt die Kamera rückwärts und man sieht die Polizisten auf der anderen Seite – mit Schlagstöcken im Takt der Musik auf ihre Schilde schlagen. Der Zuschauer gerät genauso unvorbereitet in die Straßenschlacht wie Trip, wodurch man sich sehr gut in den Protagonisten hineinversetzen kann.
Interessant sind auch die Mono- bzw. Dialoge, denn die gibt es nämlich kaum. Zusammengerechnet werden im Film – die Konzertsequenzen nicht mit eingerechnet – vielleicht vier oder fünf Sätze gesprochen. Statt durch Gespräche oder Gedanken vermittelnden Voice-Overs werden Trips Emotionen fast ausschließlich durch dessen Mimik kommuniziert. Hört sich gewöhnungsbedürftig an, ist es aber nicht. Im Gegenteil: DeHaans ausdrucksstarkes Gesicht sagt mehr aus als tausend Worte es tun könnten und macht jegliche Gespräche überflüssig. Der Schauspieler beherrscht es perfekt, seine Mimik sprechen zu lassen, ohne, dass es zu gekünstelt oder übertrieben wirkt. Zu jedem Zeitpunkt des Films kann man Trips Gefühle so, trotz der wortlosen Kommunikation, nachvollziehen.
Doch nun zur Frage aller Fragen: Was ist mit der Handlung? Ich muss gestehen, als ich den Film gesehen habe, war ich von der Handlung einfach nur verwirrt und enttäuscht. Sie scheint neben dem gewaltigen Konzert unterzugehen. Der Story fehlen Tiefe, überraschende Wendungen und überhaupt: eine Nachricht. Der Zuschauer wird ständig im Unklaren gelassen: Was hat die blau-rote Kapsel, die Trip schluckt, für eine Bedeutung? Wieso verprügeln sich plötzlich alle mitten auf der Straße? Was ist in der mysteriösen Tasche? Und was zum Teufel soll dieser maskierte Verrückte auf seinem Pferd, der mal eben dutzende Leute aufhängt? Auch das Ende wirft weitere Fragen auf: Ist die gesamte Geschichte nur Trips bloße Phantasie? Ist bei dem Protagonisten der Name Programm und er befindet sich auf einem Drogentrip? Im Trailer des Films hört man Trip sagen: „My whole life I’ve been waiting for that moment – when it all starts to make sense.“ Und genau das beschreibt am besten, was auch die Zuschauer während des gesamten Films durchleben: Die Suche nach dem Sinn.
Ich selber fühlte mich von den vielen Fragen wie erschlagen, wusste nicht, ob ich den Film lieben oder hassen sollte. Doch gerade diese Offenheit der Geschichte ist das, was den Film zu etwas Besonderem macht: Viele Musiker möchten nicht eine allgemeingültige Bedeutung ihrer Lieder verbreiten. Sie wollen den Zuhörern die Chance geben, ihre Songs selbst zu interpretieren, ihnen eine individuelle, persönliche Bedeutung zu geben, etwas, durch das man sich mit dem Lied identifizieren kann. Und genau dieses Phänomen scheint auch in Through the never aufzutauchen: Das Drehbuch wurde vom Regisseur Nimród Antal und der gesamten Band geschrieben. Was also, wenn die Story wie ein Lied geschrieben wurde, ohne ihr den einen, unverkennbaren Sinn einzupflanzen? Im Making of zum Film verrät der Drummer von Metallica:
„There are many, many, many ambiguous elements in this film. People should feel free to do with those what they want.“ (Lars Ulrich)
Was den Film einzigartig macht, ist die Entscheidungsfreiheit des Zuschauers: Jeder darf für sich selbst entscheiden, welche Nachricht der Film vermittelt, ob die Story gut oder schlecht ist, ob sie Sinn ergibt oder einfach nur eine Abfolge surrealer Ereignisse zeigt. Es ist wie in der Musik: Jeder hat die Freiheit, eigene Botschaften, eigene Schlüsse zu ziehen. Jeder kann Musik auf seine eigene Weise erleben. Und jeder kann den Film auf seine ganz eigene Art und Weise erleben.
„Twisting, turning through the never“ – Fazit
Metallica schaffen also mit ihrem Streifen eine ganz neue Art des Films: Sie entfernen sich vom normalen Konzertfilm durch das Einbauen einer Story. Dass man bei einem Kinofilm, in dem ein gesamtes Konzert gezeigt wird, keine vor Komplexität strotzende, in allen Details ausgeführte Geschichte erwarten darf, ist wohl nicht gerade überraschend. Auch wird jeder, der für ein gutes Filmerlebnis eine voll aufgelöste, in sich schlüssige Handlung braucht, nach dem Ansehen enttäuscht und vielleicht auch etwas verstört sein. Lässt man sich jedoch auf den Film ein und stellt nicht von Anfang an zu hohe Erwartungen an die Geschichte, darf man sich auf kurzweilige Unterhaltung und geniale Musik freuen. Wer also Metallica- bzw. Metal-Fan im Allgemeinen ist, aufwändig inszenierte, eindrucksvolle Aufnahmen und Actionelemente liebt oder einfach nur auf der Suche nach einem außergewöhnlichen Filmerlebnis ist, sollte sich den Film auf keinen Fall entgehen lassen.
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