Diesen Tweet habe ich vor über vier Monaten verfasst. Was soll ich sagen? Auch nach mehrmaligem Schauen des Filmes fällt es mir nach wie vor nicht leicht ihn in Worte zu fassen. Versuchen möchte ich es nun aber trotzdem.
Der Grund für meinen Mangel an Worten liegt in erster Linie an deren Unzulänglichkeit. An sich kann man das dargestellte Leid problemlos beschreiben, gerecht wird das jedoch weder dem Film, noch den historischen Ereignissen, auf denen selbiger beruht. Menschen leiden, Menschen werden erschossen, Menschen werden in Massen verbrannt – all diese Formulierungen lassen die Geschehnisse nahezu banal wirken.
Der Titel des Films kommt somit nicht von ungefähr. Dementsprechend sollte auch dieser Text explizit als Aufforderung betrachtet werden, sich den Film anzuschauen. Im Folgenden werde ich näher darauf eingehen, welche ästhetischen Mittel der Film nutzt, um seine Wucht zu entfalten. Zunächst aber eine kurze Zusammenfassung der Handlung:
Belarus 1943. Der junge Flyora befindet sich auf der Suche nach einer Waffe, um sich einer Gruppe von Partisanen anschließen zu können. Schon bald soll ihm dieser Wunsch erfüllt werden. Nach einer ersten Auseinandersetzung mit den Deutschen flieht er zurück in sein Dorf, in welchem er jedoch niemanden mehr auffinden kann. Somit begibt er sich auf die Suche nach seiner Familie und bekommt auf dieser Reise eine Menge grauenvolle Dinge zu Gesicht.
Nahaufnahmen und Blicke
“The close-up, the correctly illuminated, directed and acted close-up of an actor is and remains the height of cinematography. There is nothing better. That incredibly strange and mysterious contact you can suddenly experience with another soul through an actor’s gaze.”
So sagte einst Ingmar Bergman und wer, wenn nicht er, sollte über dieses Thema Bescheid wissen? Die Relevanz dieses Zitats sollte beim Betrachten des Films relativ schnell ersichtlich werden. In seinem Verlauf werden verschiedene Charaktere in eben solchen Nahaufnahmen gezeigt, allen voran natürlich Hauptperson Flyora. Das Gesicht des 13-jährigen Amateurschauspielers, das zunehmend die Spuren des Krieges auf sich trägt, brennt sich über die Laufzeit des Filmes und darüber hinaus in das Gedächtnis der Zuschauenden ein
Verstärkt wird dieser Effekt durch einen direkten Blick in die Kamera. Diese Einstellungen erinnern an Thomas C. Leas Gemälde The two Thousand Yard Stare, in welchem die Gräuel des Krieges bereits 1944 auf ähnliche Weise in Szene gesetzt wurden. Die direkte Adressierung durch das Durchbrechen der vierten Wand erzeugt einen Bruch in der Immersion (Quelle). Wir als Zuschauende werden uns unserer Position auf der Couch bewusst gemacht. Wir sind kein Teil des Geschehens und darüber können und sollten wir sehr froh sein.
Hoher Grad an Naturalismus
Im Rahmen der Dreharbeiten wurden echte Explosionskörper verwendet, mit scharfer Munition geschossen, echte Gebäude abgebrannt, echten Tieren Leid zugefügt, sowie echte Sümpfe durchquert. Vermutlich könnte ich diese Aufzählung noch eine ganze Weile fortsetzen. Diese Detailtreue nimmt an vielen Stellen die Möglichkeit des Spektakels und rückt den Film ein wenig näher in Richtung Dokumentarfilm.
Anstatt wie andere Kriegsfilme unterhalten zu wollen steht hier die Aufarbeitung und die Konfrontation mit der Vergangenheit im Vordergrund. Erzählungen über einschlagende Bomben kennt bestimmt so mache*r aus Unterhaltungen mit Zeitzeug*innen. Die in dem Film gezeigten Szenarien geben diesen Erzählungen die Annäherung eines audiovisuellen Pendants. Zugleich lassen sie uns die zu großen Teilen vollkommen realitätsferne Inszenierung von anderen Kriegsfilmen erkennen. Es gab mehrere Szenen, bei denen ich zunächst davon ausging, dass es sich bei der Darstellungsform von Schüssen um schlecht gealterte Effekte handelt, da ich durch andere Filme an eine künstliche Darstellung gewöhnt wurde.
Lange gehaltene Einstellungen
Die naturalistischen Elemente des Films gewinnen zusätzlich an Wirkkraft, desto länger sie am Stück gezeigt werden. Die ununterbrochene Darstellung verstärkt ihren dokumentarischen Charakter. Sie nimmt uns die bequeme Möglichkeit davon auszugehen, dass die Schauspielenden zwischen den Schnitten Hilfestellungen bekommen haben, oder sich von all dem dargestellten und mitunter erlebten Schrecken erholen können. Das durchqueren eines Sumpfes ist nur eines von vielen Beispielen hierfür.
Split-Fokus-Aufnahmen
Ein weiteres Stilmittel, das in dem Film genutzt wird, ist der Einsatz von Split-Fokus-Objektiven. Diese Objektive ermöglichen es zwei verschiedene Schärfenbereiche darzustellen. Diese Form der Darstellung bricht mit unseren Sehgewohnheiten und macht uns einmal mehr unserer Position als Zuschauer*in bewusst. Der charakteristische unscharfe Bereich, der in vielen anderen Filmen kaschiert wird, ist hier meist klar zu erkennen. Diese Verweis auf die Trennung der Schärfenbereiche verstärkt einerseits die vorab genannte reflexive Reaktion, verweist zum anderen aber auch bildlich auf die räumliche Trennung zwischen Diegese und Rezeptionsraum.
Wiederholungen
Wiederholungen im Film laden zum Vergleich ein. Wie war es das letzte mal, wie ist es jetzt? Komm und sie hat auf diese Fragen zwei Antworten. Betrachtet man einzelne Personen und ihren Blick in die Kamera, so kann man ihnen ihr zunehmend wachsendes Leid vom Gesicht ablesen. Anders steht es um Menschenmassen, sowie Fahrzeuge. Gruppenfotos von Soldaten, seien es nun Russen oder Deutsche, unterscheiden sich auf den ersten Blick nur wenig. Das Flugzeug, das bereits in der ersten Szene des Films seh,- und hörbar ist und immer wieder über den Köpfen der Charaktere kreist, bleibt stets gleich. Seine dröhnenden Geräusche durchziehen den Film und können zuweilen schon fast für einen industriellen ambient-Soundtrack gehalten werden. Individuen werden vom Krieg zu Grunde gerichtet, doch Strukturen bleiben bestehen.
Verweis auf das Material Film
Gegen Ende des Films siedelt sich eine Szene an, die in meinen Augen die vielleicht denkwürdigste des gesamten Filmes ist. Flyora sieht ein Portrait von Hitler in einer Pfütze liegen und entschließt sich dazu, mehrfach auf dieses zu schießen. Nach jedem Schuss wird dokumentarisches Archivmaterial des zweiten Weltkrieges rückwärts abgespielt. Bomben fliegen entgegen der Schwerkraft in die Höhe, zerstörte Gebäude scheinen sich auf magische Weise selbst zu rekonstruieren und ein riesiger Menschenauflauf wird dazu gebracht den Hitlergruß zurückzunehmen.
Diese Sequenz bringt eine Form des kindlich naiven Denkens zutage, dass gesellschaftliche Bewegungen und Geisteshaltungen auf einzelne Personen herunterbricht und deren Tod mit der Lösung des Problems gleichsetzt. Der Film trug nicht umsonst den Arbeitstitel Hitler töten. Der Verweis auf das Trägermaterial macht uns einmal mehr unsere Position als Betrachtende eines Films bewusst. Somit ist es am Ende des Films auch Zeit für uns darüber zu reflektieren, was unsere Erwartungen an Kriegsfilme, sowie diesen Film im speziellen sind. War es die Hoffnung auf ein Happy End? Und wie sollte dieses aussehen?
Fazit
Dass es sich bei Komm und Sieh nicht gerade um leichten Stoff handelt, ist im Laufe des Artikels vermutlich mehr als klar geworden. Dass er äußerst sehenswert ist, aber hoffentlich auch. Er ist einer von wenigen Kriegsfilmen, die sich die Bezeichnung Anti-Kriegsfilm tatsächlich verdient haben. Während konventionelle Blockbuster Kriegskulissen nutzen, um zum Schauen einzuladen ist dieser Film, wie schon der Titel kenntlich macht, eine Aufforderung zum Sehen, der man dringlichst nachkommen sollte.
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