
Was eine Regionalbahnverbindung in einem Medienblog zu suchen hat? Mehr, als mensch auf den ersten Blick vermuten würde. Züge sind Medien. Denn Züge sind nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch Medien im eigentlichen Sinne: Sie vermitteln zwischen Orten, Menschen und Zeiten, strukturieren Alltag, Wahrnehmung und soziale Begegnungen. Als technische wie kulturelle Medien prägen sie unsere Vorstellung von Mobilität, Fortschritt und Verbindung. Wie McLuhan sagte: The medium is the message – und Medien sind Erweiterungen des menschlichen Körpers. Damit ist alles gesagt, warum ich über eine Zugverbindung im Medienblog schreiben darf. Kommen wir deshalb dazu, warum ich die Zugverbindung Nürnberg–Bayreuth nicht ausstehen kann. Nicht ausstehen ist vielleicht noch zu schwach – ich hasse sie. Und es stellt sich die Frage, ob sie vielleicht die schlechteste Strecke Deutschlands ist.
Ich fahre diese Strecke viel. Mindestens zweimal wöchentlich, wenn ich von Bayreuth nach Nürnberg zu meinen Eltern fahre und zurück. Jedes Mal, wenn ich diese Strecke mit dem Zug fahre, möchte ich ein Auto, damit ich diese Strecke nicht mehr mit dem Zug fahren muss. Das sollte eine Bahnstrecke nicht mit einem machen – vor allem, weil es in Zukunft noch wichtiger wird, dass möglichst viele vom Auto auf den Zug umsteigen. Die Reise dauert übrigens auch gleich lang, egal ob Zug oder Auto – eine Stunde. Und dass ich bei nur einer Stunde im Zug ohne Umsteigen so sauer auf alles werde, ist ja nicht nur den Zügen geschuldet. Aber hauptsächlich schon.
Die Züge zwischen Nürnberg und Bayreuth sind Dieselzüge von der Baureihe 612 und werden auch als Regioswinger bezeichnet. Bescheuerter Name für einen bescheuerten Zug. Hört sich an wie die Eigenbezeichnung eines bekannten Swingerclub-Inhabers in Berlin-Kreuzberg, nicht nach einem Zug. Naja. Die Züge werden übrigens seit 1998 gebaut und sind auch seitdem im Einsatz. Das heißt, es gibt sie länger als mich – und das ist nicht nur traurig, sondern erklärt auch einiges.
Von außen: Hässlich und aus der Zeit gefallen. Von innen: Hässlich und aus der Zeit gefallen. 192 Stück hat die Deutsche Bahn gekauft und im Bestand. Das sind 192 zu viel. Trotzdem fährt irgendwie immer ein Abteil zu wenig, wenn ich mitfahre, und sie sind überfüllt.
Die Züge haben übrigens zwei Dieselmotoren mit je 19 Litern Hubraum. Die Motoren haben den geschmeidigen Namen Cummins QSK19-R. Das sind Sechszylinder-Reihenmotoren, die jeweils eine Leistung von 563 kW (765 PS) erbringen. Brauchen die ja auch – bei 116 Tonnen Gesamtgewicht. Erreichen können die Züge mit dieser Leistung eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Dafür haben die Züge der Baureihe 612 zwei Dieseltanks mit jeweils 1.300 Litern und verbrauchen auf 100 km – je nach Fahrweise – circa 200 Liter Diesel. Zum Vergleich: Ein Diesel-Golf verbraucht auf 100 km 4 bis 5 Liter.
So, jetzt kann mensch sagen: Aber Lennart, in einem Zug fahren sehr viel mehr Leute mit. Ja, das stimmt – und wisst ihr, wie viele in eine BR 612 reinpassen? Maximal 232 mit Sitz- und Stehplätzen. So voll sind sie aber selten. Nun gut, ich rechne mal optimistisch und sage: Circa 200 werden schon stündlich die Strecke fahren, wenn mensch alle Reisenden über den Tag verteilt in Betracht zieht und sie wieder auf die Stunde herunterbricht. Es gibt aber auch Zeiten – vor allem morgens und abends unter der Woche – da sind die Züge sehr leer.
So, Matheaufgabe: Wie viel Liter Diesel kommen pro Person pro 100km, wenn 200 Personen mit einem RegioSwinger fahren, der einen Verbrauch von 200 Liter pro 100km hat? Genau: einer. Wenn ich 4 bis 5 Leute in einem Diesel-Golf mitnehmen würde von Bayreuth nach Nürnberg, mit einem Motor, der 4 bis 5 Liter Diesel pro 100 km verbraucht – wie viel verbrauche ich dann an Diesel für 100 km pro Person? Genau: einen. Das CO₂-Fußabdruck-Spar-Argument zieht also nicht so wirklich bei der Benzinschleuder Regioswinger. mensch könnte auch sagen, es ist egal ob mensch die Strecke von Nürnberg nach Bayreuth mit 40 bis 50 Diesel Golfs oder einer BR612 zurücklege.
Jetzt fahren nicht alle Autos Diesel, nicht alle mit nur 4 bis 5 Litern Verbrauch, nicht alle mit 5 Leuten oder alle sparsam. Trotzdem wollte ich es mal ins Verhältnis setzen und zeigen: Öffentlicher Nahverkehr? Voll gerne. Dieselbetriebener öffentlicher Nahverkehr? Nicht so gerne. Vor allem mit Motoren aus dem letzten Jahrtausend, die zusätzlich auch ganz andere (bis sehr wenige) Filter verbaut haben.
Cool, und was ist noch alles beschissen am Regioswinger?
Da wäre zum Beispiel die Klimaanlage, die nur drei Modi kennt: Vollgas heiß, Vollgas kalt oder kaputt. Mensch friert im Sommer, erstickt im Winter und kann kein Fenster öffnen, sollte mal die Klimaanlage ausfallen.
Da wären die Schiebetüren zwischen den Abteilen: die einfach jedes Mal viel zu schnell wieder zugehen und irgendjemanden immer einquetschen. Dann muss mensch immer noch mal und dann noch mal drücken. Dazu gibt es gleich zwei aufeinanderfolgende Schiebetüren direkt am vorderen und hinteren Eingang, die durch ein Abteil mit zwei einzelnen Vierertischen führen. Super, wie sich da jedes Mal alles durch ein Nadelöhr quetschen muss – da hat jemand beim Entwurf mitgedacht.
Da wären die Steckdosen: Es gibt keine Steckdosen. Ah doch! Aber nur vier Stück in der ersten Klasse. Was meinerseits noch mehr Fragen aufwirft. Weil anscheinend technisch möglich, aber mensch hat sich einfach frei nach dem Motto entschieden: Arme Leute? Ne jucken mich nicht, die haben eh keine Geräte mit Strom, die sind die ja viel zu arm, um sich so was kaufen zu können.
Da wäre der Preis: Die VGN ist im Vergleich mit allen anderen lokalen Bahnbetreibern in Deutschland der teuerste. Bei einer einfachen Fahrt kostet ein Ticket für Erwachsene 15,60€!!! Ich kann garnicht genug Ausrufezeichen setzen wie wütend mich das macht. Zum Vergleich: Das entspricht dem Preis von viereinhalb Dönern als ich in der fünften Klasse war. Das war mein Monats-Essensgeld in dieser Zeit. Ich konnte davon einen ganzen Monat meinen Nachmittagsschule-Döner-Bedarf deckeln. Zum Vergleich: Das Tagesticket Plus mit dem mensch alles im Öffentlichen Nahverkehr (!!!) in der VGN Zone mit zwei Erwachsenen und bis zu vier Kindern/Fahrrädern fahren darf kostet pro Tag 25,50€. Zum Vergleich: Das Bayernticket, mit dem mensch alle Züge im öffentlichen Nahverkehr in Bayern (!!!!!!) als Einzelperson nehmen darf kostet 32€. Das ist ein Euro mehr als zwei Zugfahrten Bayreuth – Nürnberg. Zum Vergleich: Wenn ich eine Woche vor Aufführung ein U27-Ticket im Nürnberger Staatstheater kaufe, kostet das 11€, mit dem Ticket darf mensch übrigens 3 Stunden vor Aufführung und den ganzen Abend alle Züge der VGN nutzen. Ein gott verdammtes Theaterticket mit Bahnticket ist billiger als ein Bahnticket. Das muss mir mal einer erklären. Pro Tipp: Einfach das als Zugticket nehmen und niemals im Theater aufkreuzen. Ist ja billiger. Kenne Freunde, die machen das regelmäßig. Zum Vergleich: Wenn ich heute die Zugverbindung Bayreuth Hbf – Hamburg Hbf mit Super Spar Preis für September buche, kostet das 37€. Da sind dann die 15,60€ schon mit drinnen, also bleiben noch 21,40€ für den ICE Nürnberg Hbf – Hamburg Hbf. Wie kann es sein, dass der ranzige Regioswinger, der mich in einer Stunde von Bayreuth nach Nürnberg bringt nur 6€ billiger ist als der ICE, der mich vier Stunden lang von Nürnberg nach Hamburg bringt. Das soll mir mal einer erklären. Das eine sind 15 Euro pro Stunde RE fahren, das andere sind 5 Euro pro Stunde ICE fahren. Ich frage nochmal: Wie kann das sein?
Da wäre der Internetempfang: Es gibt wenig bis keinen. Mensch fährt durch tiefste bayerische Natur. Das heißt: Stabiles mobiles Netz kann mensch vergessen. Zum Glück sind die REs seit Neuestem mit WLAN ausgestattet – das aber zum Pech noch schlechter ist als das mobile Netz. Dann eben ein analoges Buch lesen, aber da wäre das nächste Problem.
Denn da wäre das ewige Geschaukel auf der Strecke zwischen Bayreuth und Nürnberg, das so heftig ist, dass selbst einem Wüstenkamel-Reiter schlecht werden würde. Ich frage mich, ob auch die Bahngleise aus dem letzten Jahrhundert sind oder ob bei der Planung einfach ein paar Nähte schief eingezeichnet wurden. Die Strecke an sich ist schon kurvig genug, aber irgendwie wackelt es auch einfach immer wieder ganz kurz zwischen den Kurven oder auf der einer nicht so ganz geraden Gerade sehr schlimm, weil die Gleise so im Arsch sind. Ich würde abraten, nach einer Partynacht in Nürnberg oder Bayreuth mit zu viel Alkohol zu versuchen, in diesem Zug nach Hause zu kommen. Naja, die Toiletten funktionieren. Meistens.
Da wäre der Geräuschpegel der Dieselmotoren. Der nicht nur mich, sondern alle Mitfahrenden irgendwie unnötig aggressiv macht. Nicht auszuhalten ohne Noise-Cancelling-Kopfhörer. Fahre ich gerade Zug oder sitze ich im Flugzeug?
Da wäre der Aufkleber an jedem Regioswinger: „Wir fahren für das Bahnland Bayern.“ Was Witze angeht, ist dieser einfach nur perfekt. Bahnland Bayern? Eher Autoland Bayern. Bitte ausbessern. Ihr müsst mich nicht auch noch anlügen. Jeder weiß wie viel die Autolobby die Politik schmiert, ach nein, entschuldigt, wie viel aufrichtige Lobbyarbeit getan wird. Ich könnte heulen.
Da wären die Abfahrtsgleise vom Nürnberg Hbf: Die Züge nach Bayreuth fahren immer vom letzten oder vorletzten Gleis. Also Gleis 21 bis 23. So weit hinten, wie es nur irgendwie geht. Fast so, als sei es auch der Deutschen Bahn peinlich, dass sie noch mit diesen Zügen fahren muss. Lieber ganz weit weg von den anderen, damit sie keiner sehen muss. Oder sich die anderen coolen Züge noch anstecken.
Da wäre die VGN App: Die ums Verrecken nicht flüssig läuft, seitdem es sie gibt. Das Design ist irgendwo im letzten Jahrzehnt festgesteckt geblieben und mensch wird fast jedes mal wenn man sich einloggt von seinem Account geschmissen, was dann zu peinlichen Situationen bei der Kontrolle führt, weil mensch sich immer neu anmelden muss, das aber wiederum sich schlecht machen lässt, wenn die Internetverbindung so schlecht ist.
Da wäre die Einstiegshöhe: Drei steile Stufen an jeder Einstiegstür, die zusammen so circa eine Höhe von 70 cm ergeben. Manche Bahnhöfe sind nicht mal von der Höhe her auf die letzte Stufe angepasst, was heißt, mensch hat nochmal eine vierte hohe Stufe. Für alle mit Kinderwagen und Fahrrad ist das natürlich ein bisschen blöd gelaufen. Für alle mit kaputter Hüfte und/oder kaputten Knien – wie mensch sie in der Festspielzeit zuhauf im Regioswinger von Nürnberg nach Bayreuth antrifft – ein bisschen schwierig. Für alle Menschen, die im Rollstuhl sitzen: ein bisschen scheiße, weil fast unmöglich, da rein- und rauszukommen. Öffentlicher Nahverkehr? Voll gerne. Behinderten- und altenfeindlicher Nahverkehr? Nicht so gerne.
Da wäre die Festspielzeit, wenn die eben schon angesprochenen vielen reichen alten Menschen aus der ganzen Welt mit kaputten Gelenken sich diese erbärmliche Zugverbindung geben müssen – mit Koffern, die so groß sind, dass mensch Angst hat, dass eben jene alten Menschen vielleicht das halbe Festspielorchester klauen wollen, inklusive Menschen und Instrumente. Wofür sonst brauchen die so riesige Koffer? Und für diese Koffer ist dann kein Platz, weil die Züge keine Gepäckablage haben – außer der über den Sitzplätzen, die aber nicht groß genug für große Koffer ist und in die mensch seine Koffer auch nicht gehievt bekommt, es sei denn, mensch geht fünfmal die Woche ins Fitnessstudio und trainiert genau nur für diesen einen Zweck: Große Koffer während der Festspielzeit in die hohe Gepäckablage vom RegioSwinger zu hieven. Es endet damit, dass die Koffer kreuz und quer in den Gängen stehen. Und Pendler drüber stolpern und fluchen.
Jetzt wird irgendein Uwe oder Jürgen sagen, dass ich mich nicht so haben soll und stattdessen dankbar sein sollte, dass überhaupt ein Zug fährt. Andere könnten ja nicht den Zug nehmen. Und ob ich nicht über was Wichtigeres schreiben könnte. Kinder, die im Jemen an Hunger sterben zum Beispiel. Das wäre doch mal ein Thema. Du bist doch privilegiert, jetzt hab dich nicht so. Genau das bin ich. Meine Privilegien machen meine beschissene Erfahrung im Zug von Bayreuth nach Nürnberg aber leider auch nicht besser.
Witzig auch, dass genau die Uwes und Jürgens dieser Welt noch nie mit dem RE von Nürnberg nach Bayreuth gefahren sind, weil sie ein Auto (nein, einen SUV – wegen der Einstiegshöhe) haben und den Zug dann doch ein bisschen ungemütlich finden. Solche Uwes und Jürgens haben das Leben einfach durchgespielt: jedes Argument und jede Kritik sofort im Keim ersticken und sagen: Aber so, wie es ist, ist doch schon mal besser als nichts – sei doch mal dankbar.
Genau, und Fortschritt hätten wir dann auch nie gehabt, wenn wir uns alle an die Uwes und Jürgens dieser Welt gehalten hätten. Und alles bleibt so, wie es ist und da wird auch nicht dran gerüttelt – dann sind die konservativen Wähler glücklich, aber die Klimakrise haben wir doch nicht beendet gekriegt. Naja.
Wenn Herr Diesel übrigens gesagt hätte: „Der Benzinmotor, hä, der funktioniert doch schon super – warum was Neues erfinden? Jetzt habt euch nicht so. Ihr seid doch privilegiert und bitte seid doch dankbar dafür, dass ihr schon Kutschen habt“, dann hätten wir jetzt nicht mal den Motor, der mich und den Zug von Nürnberg nach Bayreuth bringt.
Das schlimme ist, ich fahre echt gerne Zug. Nur nicht mit dem Regioswinger. Ich mag den ICE. Ich mag die Nürnberger U-Bahn. Ich mag Straßenbahnen und ich mag andere REs. Wie den von Nürnberg nach München oder den von Siegen nach Aachen. Das sind sogar solche Doppeldecker, da kann mensch sich oben hinsetzen und hat ne echt schöne Aussicht. Zum Beispiel ne schöne Aussicht in Ingolstadt auf die ganzen Autos von Audi. Da kann man sich schon mal Modelle anschauen und sich inspirieren lassen für die Autos, die mensch sich vielleicht eines Tages holen wird, damit mensch nicht mehr Regioswinger fahren muss. Es ist eigentlich immer entspannt in diesen Zügen, weil nicht alles so rumwackelt und eigentlich auch meistens genug Waggons zur Verfügung stehen. Ich kann es eigentlich meistens kaum erwarten, bis ich aus dem Regioswinger in irgendein anderes Verkehrsmittel steigen darf. Egal ob ICE, S-Bahn, Straßenbahn, U-Bahn, Fahrrad, E-Scooter, Bus, Auto, Flugzeug, Fähre, Kreuzfahrtschiff, Kutsche, Segway, Pferd oder Kamel. Ist mir alles egal. Hauptsache nicht Regioswinger. Hauptsache nicht BR612.
Ich habe sogar konstruktive Verbesserungsvorschläge und will nicht nur rumnörgeln: Mensch könnte doch zum Beispiel die Strecke elektrifizieren, damit wir wenigstens schon mal mit Strom anstatt mit Diesel fahren. Oh, Überraschung: Mensch hat darüber schon einmal nachgedacht bei der DB. War dann aber zu teuer wegen der ganzen Tunnel und Brücken im Pegnitztal. Voll schade. Hoffentlich wird da demnächst mal was besser. Es ist ja jetzt das erste Mal, dass mehr Geld in den Kilometer Bahnstrecke als in den Kilometer Autobahnstrecke gesteckt wird. Daumen sind gedrückt.
Das wird schon. Und bis dahin spare ich auf ein Auto, setze meine Noise-Cancelling-Kopfhörer auf, mache sonst gar nichts außer schauen, dass ich mich nicht übergebe, und einfach hoffen, dass diese eine Stunde vorbei geht.
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