Mobile Games haben nicht gerade einen guten Ruf. Schnell denkt man an Free to Play, In-App Käufe, nervige Werbung und ganz einfach billige Massenware. Wer sich erstmal durch das wilde Konglomerat an Candy Crush Klonen und Endless Runnern gekämpft hat findet in den Stores aber durchaus die ein oder andere Perle. Und damit ihr euch damit nicht rumschlagen müsst – Stichwort Fehlende Filterfunktion – machen wir das und präsentieren euch in dieser Reihe die Juwelen unter den Handyspielen.

Wer hat mit visual Novels nicht viel am Hut und wen schreckt der Gedanke eher ab sich durch endlose Textwüsten zu ackern? So ging es zumindest mir – bis ich das Kleinod 80 Days auf einem meiner Streifzüge durch den Play Store entdeckte. Aufmerksam wurde ich durch das Setting: In einem alternativen 19. Jahrhundert mit Steampunkeinschlag erlebe ich hier die Geschichte des Romanklassikers Reise um die Erde in 80 Tagen von Jules Verne. Für den Fall, dass jemand noch nie mit der Vorlage in Berührung gekommen ist: Es geht um den reichen englischen Gentleman Phileas Fogg, der eines Tages in seinem Club für reiche englische Gentlemen die Wette eingeht in 80 Tagen einmal die Welt zu umrunden. Mit von der Partie ist sein Diener Jean Passepartout. Der gerade frisch eingestellte Franzose ist klar die Identifikationsfigur. Während Fogg ein unnahbarer Exzentriker ist, erfreut sich Passepartout mit geradezu kindlicher Begeisterung an den Orten und Menschen, die er auf der Reise kennen lernt.

Dementsprechend übernehmen wir auch in 80 Days die Rolle des Dieners. Ein weltumspannendes Netz an Fortbewegungsmitteln steht uns offen. Und diese beschränken sich nicht nur auf Zug und Schiff. Dank des Steampunksetting sind wir hier schonmal mit einem Wüstenläufer (das ist eine Oase auf Beinen) oder einem geklauten, dampfbetriebenen Schaufelbagger unterwegs. Die Möglichkeiten sind umfangreich, aber stets muss auf die Kosten und die Geschwindigkeit geachtet werden. Und es kann passieren, dass ein bestimmter Zug nur einmal die Woche die Strecke fährt die am effektivsten wäre. Dieses Management von Zeit und Geld macht den größten Teil des Gameplays aus. Wir starten zwar mit einem ansehnlichen Vermögen, doch bald wird klar, dass die schnellsten Verbindungen auch entsprechend teuer sind. Um das Konto wieder zu füllen, können wir auf den Marktplätzen der Städte kleine Kostbarkeiten erwerben und Gewinnbringend auf der anderen Seite der Welt verkaufen. Ein Pelz mag in Moskau gewöhnlich sein, bringt aber vielleicht das dreifache in Hanoi. Unendlich viel Platz haben wir leider nicht immer. Auf einem Kreuzfahrtschiff können wir bequem 3 oder 4 Koffer mitnehmen. Bei einem kleinen Automobil müssen wir uns dann mit 1 oder 2 Koffern begnügen. Inventarmanagment ist also angesagt! In den meisten größeren Städten lässt sich notfalls Geld abheben. Nur leider dauert es immer ein paar Tage, bis das Geld da ist, und da Zeit knapp ist, lohnt es meistens mehr, die Reiseroute an das Reisegepäck anzupassen.   Aber wo verstecken sich denn nun die endlosen Textwüsten? Wann müssen wir uns, ausgehungert von oberflächlichem Gameplay, durch das Ödland der Sprache schleppen? Überall und ständig ist die einfache Antwort. Aber das ist überhaupt nicht schlimm. Was jede Reise einzigartig und erinnerungswürdig macht, sind gerade die vielen unterschiedlichen Charaktere die wir treffen, die kleinen Geschichten die sich entspinnen, wenn wir uns darauf einlassen. Mal treffen wir auf einen Zugschaffner, der uns über einen drohenden Krieg in Osteuropa erzählt, mal auf die Kapitänin eines riesigen Linienkreuzers, der den Pazifik überqueren soll. Nicht immer führen die Geschichten zu etwas, sondern sind einfach nur kleine Storyhäppchen. Durch sie erfahren wir mehr über die Welt, über persönlichen Schicksale und manchmal ergeben sich sogar neue Reiserouten. Es lohnt sich also aufmerksam zu lesen, die Dialogoptionen auszuschöpfen und auch mal ein Risiko einzugehen. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn 80 Days lebt von diesen Geschichten. Nur so viel: die am Anfang geplante Route wird unter Umständen nicht ganz so verlaufen, wie es gedacht war. Ganz wie in der Vorlage eben.

Wer also Lust bekommen hat einen Klassiker des Abenteuerromans neu interpretiert zu erleben, sollte einen Blick riskieren. Das Ganze kostet 5,49 € und ist jeden Cent wert. Hier geht es nicht (ausschließlich) ums Gewinnen. Hier geht es ums Erleben. Schafft ihr es nicht rechtzeitig anzukommen, versucht ihr es eben erneut. Die Geschichte wird garantiert nicht dieselbe sein!