Der Plan war eigentlich als freie Autorin selbstbestimmt und unabhängig zu leben. Nach einem Bestseller sah eigentlich auch alles ganz gut aus. Doch dann kommt für Katja Kullmann alles ganz anders.
Mit ihrem 2002 erschienen Buch „Generation Ally“ landete Katja Kullmann einen Hit, der ihr auch gutes Geld einbrachte. Einige Jahre später muss sie Harz IV beantragen, obwohl sie eigentlich nichts falsch gemacht hatte. In ihrem neuen Buch „Echtleben“ beschreibt sie, wie es dazu kommen konnte und wie sie ihrer neuen Lage begegnete. Das Buch ist im Stil der Generationen-Bücher gehalten und so beschreibt Kullmann sich als Teil einer Generation der heute 30- bis 40-jährigen, die sich aufmachte das richtige Leben im Falschen zu finden und damit auch eine neue Art der Arbeit zu erschließen. Diese Leben sollte „frei“ sein, sich also nach den persönlichen Interessen ausrichten und auch emanzipiert und unabhängig gelebt werden können. Das damit verbundene Arbeitsideal war die Selbstständigkeit, am besten im kreativen Sektor. Und es klingt auch erst einmal sehr gut: Arbeiten für wen und wann man will und für das Zu-Papier-Bringen der eigenen Ideen bezahlt zu werden. Kein Chef, kein Herr, die eigenen Ideale durch nichts korrumpieren lassen. Und dabei auch ganz gut leben, Bio essen und hip sein.
„Echtleben“ stellt diese Ziele in Frage. Mit Zitaten aus Soziologie und Popkultur, gespickt mit den persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen der Autorin, wird das „freie“ Leben als brutaler Konkurrenz- und Einsparungswettbewerb entlarvt. Die Selbstständigkeit entsolidarisiert und ohne Betriebsrat oder sonstige starke Vertretung vor der Geschäftsführung sinken die Gehälter. Weil sich das für die Konzerne rentiert wird das Selbstständigendasein immer mehr zur Zwangsselbstständigkeit, denn die festen Stellen werden zunehmend abgebaut. Die rot-grüne Erfindung der „Ich-AG“ stellt dabei nur die Ausweitung auf weitere Bereiche außerhalb der Kreativwirtschaft dar. Die freie Wahl, die für die Betroffenen dann noch bleibt, ist zuzustimmen, wenn sie für die gleiche Arbeit die sie bisher gemacht haben 30% weniger Geld bekommen, oder abzulehnen und nichts zu verdienen. Und so finanziert Katja Kullmanns Bestseller quasi ihre Selbstständigkeit.
Als dann das Ersparte aufgebraucht ist und ein Auftragt platzt muss sie zum Amt. Der Traum vom selbstbestimmten Leben steht damit vor dem aus. Sie bekommt eine Nummer wie alle anderen, hat aber Glück, dass ihre Sachbearbeiterin ihr zunächst noch erlaubt weiter in ihrer Wohnung zu wohnen. Aus Angst ganz den Anschluss zu verlieren erzählt sie davon niemandem außer einer Freundin, die ebenfalls Harz IV bezieht und die ihr rät das auch weiter so zu halten. Denn ihre „Connections“ sind das einzige was ihr bleibt. Um sie zu bewahren setzt sie alles daran den Schein aufrecht zu erhalten und spart sich für das dazu wichtige Ausgehen am Wochenende das Geld wörtlich vom Mund ab. Doch auch Rezepte, die Toastbrot an mehreren Tagen der Woche unterschiedlich schmecken lassen, helfen irgendwann nicht weiter als das Amt nach einem Jahr nicht mehr bereit ist ihre Wohnung zu bezahlen. Doch durch Zufall ergibt sich ein Jobangebot als Führungskraft in einem Hamburger Verlag. Sie greift zu. Damit wechselt sie die Seiten und ist nun selbst in der Position den freien MitarbeiterInnen die Honorare zu kürzen. Wegen einer Verschwiegenheitsklausel in ihrem Vertrag geht sie an dieser Stelle im Buch nicht ins Detail. Als der Betrieb den meisten KollegInnen kündigt, ist sie in der Position die anfallende Arbeit an freie Kräfte auszuschreiben. Hier stößt ihr Gewissen an eine Grenze und sie kündigt.
„Echtleben“ trägt den Untertitel „Warum es heute so kompliziert ist eine Haltung zu haben“. Es geht darum, wie es der Selbstbehauptung des Individuums in den derzeitigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schwer gemacht wird. Dabei gibt Kullmann zu, zu denen zu gehören, die Glück gehabt haben, die auf Pump von den Eltern leben konnten, ein finanzielles Polster aufbauen und die Selbstvermarktung beherrschen. Vielleicht ist das wichtige an dem Buch, dass es einigen wieder ins Gedächtnis rufen kann, dass Harz IV auch sie betrifft, was sie möglicherweise über dem populären Gerede zur quasi-genetischen Vererbbarkeit dieses Schicksals eines Berliner Ex-Finanzsenators der SPD vergessen hatten. Und doch lässt das Buch einen am Ende mit der Frage „Und jetzt?“ zurück. Zwar klagt sie die Lebenslüge der eigenen Generation an, beschreibt auch wie sich deren Ansprüche ins Gegenteil verkehrt haben, ist desillusionierend und damit auf positive Weise so ganz anders als beispielsweise Sascha Lobos und Holm Friebes Manifest auf die digitale Bohème oder den anderen apologetischen Büchern zur kreativen Selbstständigkeit der letzten Jahre. Doch es wirkt es so, als trauere sie dem falschen Traum weiter nach. Sie beschreibt ihr Handeln als davon getrieben wieder Anschluss zu finden zu denen die ihn – scheinbar – leben. Und sie betreibt mit dem Buch genau die Selbstvermarktung der eigenen Biographie, die Teil des Problems ist, wenn auch nicht unter den Bedingungen der Lebenslaufoptimierung sondern unter dem Zwang auch die verkorkste Geschichte noch verkaufbar zu machen. Damit deutet sie auch noch einmal auf den Funken der Chance im Scheitern, obwohl sie doch erkannt hat, dass der für den Großteil ein Trugbild bleiben muss. Aus dieser Position kann das Buch keine Perspektive aufzeigen und bleibt ganz, wie es auf dem Umschlag auch zugibt, „eine Geschichte aus der Gegenwart“. Die ist aber pointiert geschrieben und neigt trotz der Situation die es beschreibt zu einem besonderen Humor und ist auch als Bestandsaufnahme allemal lesenswert.
„Echtleben. Warum es heute so kompliziert ist eine Haltung zu haben“ ist für 17,95 € im Eichborn Verlag erhältlich. Als wäre es eine weitere Anekdote aus dem Buch hat der Verlag im Juli Insolvenz angemeldet und die Autorin Katja Kullmann ist nun eine von vielen GläubigerInnen.
Oder einen Kurs anbieten: „Wie ich mein eigenes verkorkstes Leben als Buch vermarkten kann“.
Ich schlag mich gleich mal als Dozent vor.
Vielleicht sollte man das Buch zur Pflichtlektüre für Theater- und Medien Studenten und Mekuwis machen?!