© Nick Wall, 2024 Netflix, Inc.

Wenn Erinnerung zur Währung wird

Die siebte Staffel von Black Mirror ist am 10. April erschienen und bringt uns erneut an die dunklen Ränder der technologischen Zukunft. Dorthin, wo Innovation nicht Erlösung, sondern Zerstörung bedeutet. Unter den sechs Episoden der Staffel hat mich besonders die fünfte, Eulogy nicht mehr losgelassen. Sie ist keine schnelle Dystopie mit Schockmomenten, sondern eine leise, aber tiefgreifende Reflexion darüber, was bleibt, wenn wir gehen und wer entscheidet, wie wir erinnert werden.

Digitale Trauerarbeit oder Datenmanipulation?

Wir begleiten die Hauptfigur, Phillip (Paul Giamati), bei der Aufarbeitung des Todes seiner damaligen Jugendliebe in einer nahen Zukunft, in der Erinnerungen vollständig digitalisiert und archiviert werden können. Angehörige haben Zugriff auf das Lebensarchiv eines Verstorbenen – jede Entscheidung, jede Emotion, jedes Gespräch. Was zunächst wie eine Chance zur Trauerverarbeitung wirkt, entpuppt sich schnell als gefährliches Werkzeug der Manipulation.

Denn was passiert, wenn Erinnerungen nicht nur angeschaut, sondern verändert oder gefiltert werden können? Es stellt diese Frage auf subtile Weise und lässt uns mit dem mulmigen Gefühl zurück, dass Objektivität in einer datengetriebenen Welt eine Illusion ist.

Zwischen Wahrheit und Erzählung 

Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Ambivalenz der Technologie. Sie ist weder eindeutig böse noch gut. In einer Szene ist die Wahrnehmung von Phillip ganz anders, als die der verstorbenen Person. Die Episode fragt nicht nur, was wir wissen wollen, sondern auch, was wir lieber vergessen möchten. Hier liegt der wahre Horror, der in der sechsten Staffel zu absurd und überzeichnet war. In dieser neuen Staffel besinnt man sich auf die dystopische Welt, die gerade in den ersten Staffeln, unsere aktuellen Tugenden und Lebensphilosophien hinterfragt.

In Eulogy ist es nicht die fortgeschrittene Technik selbst, sondern in unserer Bereitschaft, sie für emotionale Selbstlügen zu nutzen. Das digitale Gedächtnis wird zur moralischen Waffe und plötzlich ist Erinnerung nicht mehr etwas, das uns gehört, sondern etwas, das kuratiert wird – für die Nachwelt, für die Öffentlichkeit, für den eigenen Seelenfrieden.

Stilistisch zurückhaltend, emotional erschütternd

Inszenatorisch ist Eulogy reduziert, fast steril. Die Farbpalette ist kalt, die Räume leer, als wolle der Macher der Serie, Charlie Brooker uns damit sagen: Hier geht es nicht um Menschen, sondern um Datenfragmente. Diese visuelle Nüchternheit steht im starken Kontrast zu den emotional aufgeladenen Konflikten der Figuren, was die Wirkung nur verstärkt. Besonders gelungen fand ich den Soundtrack von Lucida Chua, I Left The Earth, unaufdringlich, aber punktgenau, mit melancholischen Synth-Flächen, die wie ferne Echos der Vergangenheit wirken.

Paul Giamati bringt eine stille Verzweiflung in die Rolle, die tief unter die Haut geht. Man erlebt ein Wechselbad der Gefühle: Soll ich ihn umarmen oder ihm eine Backpfeife geben? Es gibt keine großen Ausbrüche, kein dramatisches Overacting, sondern echte, glaubhafte Trauer, gepaart mit einem wachsenden Zweifel an der eigenen Wahrnehmung. Man spürt den Frust und beobachtet die Entwicklung von Verschlossenheit zu Offenheit. Patsy Ferran, die durch die einzelnen Fotos führt, kommt zunächst als neutrale Person daher, bevor sie ihre Intentionen offenbart.

Das digitale Vermächtnis ist nicht neutral

Eulogy ist für mich die stärkste Episode der siebten Staffel. Sie macht das, was Black Mirror am besten kann: Sie zwingt uns dazu, über unsere Gegenwart nachzudenken, indem sie eine mögliche Zukunft zeigt. Sie wirft unbequeme Fragen auf, über Wahrheit, Erinnerung, Moral und Kontrolle und lässt sie offen im Raum stehen, ohne moralischen Zeigefinger. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Technologie keine Antworten liefert. Sie stellt uns nur vor neue Fragen. Eulogy ist genau die Art von Episode, die man nicht sofort vergisst, auch wenn man es manchmal gerne würde.