Eine Rezension
„Don’t make this any harder“ ist die erste Zeile, die Matt Berningers wohlig tiefe Stimme auf dem neuen The National Album First Two Pages of Frankenstein ins Mikro raunt. Sie folgt auf einige sphärisch-warme Klaviertöne und wird im Verlauf des Openers Once Upon a Poolside noch sehr dezent durch die von Sufjan Stevens ergänzt. Sonst passiert nicht viel, das Gefühl steht für sich. Für Fans der Band ist dies kaum überraschend, denn ähnlich begann das 2017 erschienene Album Sleep Well Beast oder auch das nochmal zehn Jahre ältere Boxer. Überhaupt könnte man sagen, dass The National spätestens seit dem 2005 erschienenen Alligator immer mehr oder weniger versuchen, dasselbe Album noch einmal zu machen. Das mag im ersten Moment langweilig klingen, so wie für mich die Band selbst einst, doch es lohnt sich noch einmal hinzuhören, denn hier geht es um die Details, um die Stimmungen und um die Zeit, die an allen nagt.
Schon zu Beginn ihrer Karriere waren The National eine „alte“ Band. Die Mitglieder waren nicht mehr Anfang, sondern eher Ende 20 oder älter und es war klar, dass die beiden Brüderpaare und Sänger Berninger ihre Identität nicht um jugendliche Energie herum aufbauen konnten. So zumindest erzählt Berninger es immer wieder Interviews. Im Fokus standen deshalb Themen, welche den Bandmitgliedern nahe waren: erwachsene, langjährige Paarbeziehungen, das individuelle Scheitern an hohen Erwartungen, der selbstzerstörerische Umgang mit Alkohol und Drogen und die komplizierte Beziehung zueinander. Oder wie Berninger es 2017 in einem Interview mit NME im Backstage des Glastonbury-Festivals über Sleep Well Beast sagte: „I bet this album is about the same stuff as the other albums. It’s about fear, about the fear of losing the things you love. Trying to find the things you love. Attempting to be kind. The basics.“
Diese „Basics“ füllen nun auch First Two Pages of Frankenstein, das Ende April erschienen ist. Im Podcast Broken Record erzählen sowohl Berninger als auch Gitarrist und Produzent Aaron Dessner davon, dass ihr neues Album in mehrerlei Hinsicht besonders für die Band ist, denn es ist das erste Album, das sie seit der Pandemie aufgenommen haben. Zuvor, so berichtet Dessner, bestand das Leben der Band aus einer langen Tour, die nur von kurzen Studioaufenthalten unterbrochen wurde. Für ihn bedeutete diese Zwangspause vor allem, dass er mit anderen Künstler:innen zusammenarbeiten konnte, u.a. mit Taylor Swift, deren Alben Folklore und Evermore er produzierte. Berninger dagegen stürzte die Pause in eine tiefe Krise, er erzählt von Depressionen und Schreibblockade.
So ist Once Upon a Poolside nicht nur der erste Song auf dem Album, sondern auch der erste Text und die erste Melodie, welche Berninger nach der Pandemie wieder zustande brachte. Ein Befreiungsschlag also, der im Gewand einer zarten, warmen Ballade daherkommt. „This is the closest we’ve ever been“, singt er im Chorus und schließt damit eine vor 16 Jahren geöffnete Klammer, die mit dem verträumten Fake Empire, dem Eröffnungssong von Boxer beginnt, bei Nobody Else Will be There, dem Opener von Sleep Well Beast, ins Traurige abgleitet und sich nun in einer leisen, aber mächtigen Katharsis auflöst.
Es sind diese Selbstbezüge, diese wiederkehrenden Themen und Variationen, die The National zu einer einzigartigen Band machen. Denn Once Upon a Poolside ist nicht der einzige Song, dessen DNA sich durch die Diskographie der Band zurückverfolgen lässt. Man nehme Eucalyptus, den zweiten Song auf der Platte, der sich als Variation eines musikalischen wie textlichen Themas verstehen lässt, das Songs wie den auf High Violet erschienene Sorrow oder auch den gespenstischen Oblivions auf I Am Easy to Find verbindet. Oder Grease in Your Hair, der seine Wurzeln in dem auf Boxer erschienenen Apartment Story, sowie Graceless auf Trouble Will Find Me hat. Entscheidend ist bei all diesen Beispielen nicht, dass ein Thema wieder auftaucht, sondern wie.
Beginnt man eine Reise durch die Diskographie von The National beim 2005 erschienenen Alligator, auf dem die Band die Kernelemente ihres einzigartigen Sounds findet, zeichnet sich ein immer düsterer werdendes Bild. Wo Alligator und Boxer noch mitunter optimistisch nach vorne drängen und bei allen Schwierigkeiten ein Licht am Ende des Tunnels sehen, schwindet dieses auf High Violet und Trouble Will Find Me. Wenn hier Lautstärke und Energie hoch gedreht werden, dann um selbstzerstörerisches Verhalten zu erzählen, wie in Bloodbuzz Ohio, Sea of Love oder High Violets bombastisch-tragischem Opener Terrible Love. Zunehmend ruhiger geht es dann auf Sleep Well Beast zu, aber nicht optimistischer, wie etwa in dem großartigen und schmerzlichen, abgeklärt-resignierenden Trennungssong Guilty Party zu hören ist. Das Album erstarrt in Dunkelheit und auf dem Nachfolger, I Am Easy to Find, scheint sich die Band im Kontrast zum Titel beinahe selbst zu verlieren, so vollgeladen ist es mit neuen Sounds und Gastauftritten und Songs wie dem faszinierend-ziellosen Dust Swirls in Strange Light, das komplett ohne Berningers Stimme auskommt.
Es ist egal, welche Alben man dabei für gelungener hält und welche nicht. Die emotionale Tiefenwirkung entfalten The National in diesem Spiel mit Beständigkeit und Variation. Man erkennt einen The National-Song sofort; an der Art wie die Chords angeschlagen werden, an Bryan Devendorfs einzigartigem Schlagzeugspiel, an Berningers charismatischer Stimme und einer gewissen Melancholie, die immer mitschwingt und die den Bandmitgliedern (und wohl auch ihrem vermuteten Kernpublikum) den Titel „Sad Dads“ eingebracht hat. Was sich verändert, ist die Art und Weise, wie The National auf die Basics blicken, wie sie sich zum Zeitpunkt einer Aufnahme fühlen. Darin steckt, neben allem Musik-Business, das natürlich immer seine Spuren in der Musik hinterlässt, eine gewisse Ehrlichkeit und Menschlichkeit, die – hat man sie einmal entdeckt – mehr auslöst und länger wirkt als ein ekstatischer Chorus.Insofern ist die entscheidende Frage für das neue Album also meiner Meinung nach nicht, ob es Hits hat (ja, man höre Tropic Morning News), welche Features es bereithält (neben Sufjan Stevens noch Taylor Swift und gleich zweimal Phoebe Bridgers), oder ob es gar in Teilen langweilig sein könnte (ja, man höre Your Mind is Not Your Friend). Die eigentliche Frage ist, wo die Band emotional im Moment gerade angekommen ist, und diese ist leicht zu beantworten: Nach einer schwierigen Zeit geht es ihnen gerade gut. Sie sind entspannt. Es gibt wieder Wärme und eine echte Zuneigung zum Menschen. Nach einer langen Zeit, in der The National ihre Sorgen in die Welt getragen haben, wollen sie einfach mal nur Trost spenden und an Stellen sogar gute Laune machen. „Send for me, whenever, wherever“, singt Berninger im Abschlusssong Send For Me und sagt damit seinen Fans: Die Sad Dads sind für euch da. Sie drängen sich nicht auf, es ist ein Angebot, das man demnächst an einem lauen Sommerabend sicherlich mal gut annehmen kann.
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