Dämonische Geisterwesen, ekelerregende Zombies oder brutale Gewalt – egal ob Splatterfilme, Horrorserien oder Videospiele, bisher war ich stets zufrieden damit, einen weiten Bogen um das Genre des Horrors zu machen, da ich hierfür nervlich einfach zu zart besaitet war. Durch die Begeisterung für Dark Souls bin ich jedoch unverhofft bei From Softwares Bloodborne gelandet, was mich zum ersten Mal in die Welt des Lovecraft-Horrors entführen sollte. Hier streift man als Jäger durch die Straßen der unheimlichen, von abscheulichen Bestien besiedelten Stadt Yharnam, auf der Suche nach dem Heilmittel für eine mysteriöse Krankheit. Völlig unerwartet gefiel mir diese Albtraumwelt und die damit einhergehende düstere Stimmung. Als ich dann hörte, dass einige ästhetische und inhaltliche Aspekte des Spiels von Lovecraft inspiriert wären, wurde meine Neugier geweckt. Ich fragte mich, was genau Bloodborne zum Lovecraft Vertreter macht und durch welche Besonderheiten sich Lovecrafts Horror generell auszeichnet.
Sein Schöpfer und Namensgeber war Howard Philipps Lovecraft, kurz H. P. Lovecraft, der 1890 geboren wurde und bereits 1937 verstarb. Er zeigte bereits als Kind Interesse an Literatur und Poesie, aber auch an Fantastischem, was durch die umfassende Bibliothek seines Großvaters genährt wurde. Aufgrund seiner zeitlebens eher schlechten Gesundheit machte er weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung, widmete sich jedoch stets der Schreiberei. Trotz seiner literarischen Begabung war Lovecraft über weite Teile seines Lebens arbeitslos und lebte oft von Armut bedroht, da er einen gewissen Standesdünkel nicht aufgeben wollte und deswegen lieber hungerte als Geld durch das Schreiben von Groschenromanen zu verdienen. Die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit sah er bei den Einwanderern, die ihm seiner Meinung nach die Arbeitsplätze wegnahmen. Auf diese Weise entwickelte er einen ausgeprägten Fremdenhass, der sich teilweise auch in seinen Erzählungen wiederfindet.
Die Inspiration für viele seiner Arbeiten fand Lovecraft beispielsweise in den Werken von Edgar Allan Poe und in etwas, was ihn beinahe sein ganzes Leben lang begleitete: Albträume. Zu Lebzeiten hielt sich sein schriftstellerischer Erfolg jedoch in Grenzen, da sich viele seiner Erzählungen erst nach seinem Tod verbreiteten. Zu den heute bekanntesten Werken zählen Erzählungen wie „Cthulhus Ruf“ und „Berge des Wahnsinns“, aber auch verschiedene literarische Essays, unter anderem “Supernatural Horror in Literature”.
Alles in allem war das Leben von Lovecraft nicht besonders spektakulär, eher freudlos und von Schwierigkeiten geprägt. Dennoch (oder gerade deswegen) gelang es ihm eine eigene Horror Gattung zu begründen, die auch heute noch reihenweise Schriftsteller, darunter beispielsweise Stephen King, inspiriert. Auch zahlreiche Filmfiguren gehen auf Lovecraft zurück, darunter Davy Jones, der Kapitän der Flying Dutchman aus “Fluch der Karibik 2”.
Für Lovecraft stand in seinen Werken stets die Furcht des Menschen vor dem Unbekannten im Mittelpunkt. In seinen Horrorgeschichten geht es also nicht um einen mysteriösen Mord oder herumspukende Geister, sondern vielmehr um etwas, was die Welt wie wir sie bisher kannten aus den Angeln hebt und alle sicher geglaubten Naturgesetze erschüttert. Das ist die Angst vor dem fürchterlichen Unbekannten, dem Unbegreiflichen, das außerhalb unserer Welt und unseres Verstandes lauert und nur darauf wartet, alles ins Chaos zu stürzen. Diese Vorstellung des fürchterlichen Unbekannten, das dem Menschen seine Nichtigkeit vor Augen führt, bezeichnet Lovecraft als kosmischen Horror oder als kosmisches Grauen.
In “Die Berge des Wahnsinns” manifestiert sich dieses fürchterliche Unbekannte in Form von den Alten Wesen, deren Fossilien der Ich-Erzähler auf einer Polarexpedition gemeinsam mit anderen Forschern entdeckt. Durch diese Entdeckung wird klar, dass das Wissen der Menschen über die Erdgeschichte unvollkommen, wenn nicht sogar gänzlich falsch ist. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die Erde vor vielen Milliarden Jahren von jenen alten kosmischen Wesen besiedelt wurde, die über enorme Macht und technisches Wissen verfügten, verstörende und unbegreifliche Bauwerke errichteten und andere Lebensformen zu ihren Sklaven machten.
Charakteristisch für Lovecrafts Werke ist neben dem fürchterlichen Unbekannten, das sich auch in seinen anderen Geschichten meist in Form von kosmische Wesen zeigt, ein ganz eigener Erzählstil. So macht Lovecraft häufig Gebrauch von Foreshadowing, indem er durch bedeutungsschwere Formulierungen ankündigt, dass etwas unfassbares geschehen wird. So beispielsweise: “Jener Flug bezeichnete jene Wendemarke, an der ich, im Alter von fünfundvierzig Jahren, den Frieden und das Gleichgewicht verlor, denen der Geist des Menschen seine gewohnten Vorstellungen über die äußere Natur und die Naturgesetze verdankt” (Lovecraft, Berge des Wahnsinns).
Darüber hinaus spricht er nur selten explizit aus, was genau geschieht oder welche Bedeutung das Geschehen hat: “Denn schließlich waren unsere Folgerungen – so abenteuerlich sie auch sein mochten – jetzt völlig gesichert, und was das bedeutete, brauche ich keinem zu erklären, der meinen Bericht bis hierher gelesen hat” (Lovecraft, Berge des Wahnsinns). Eng damit verknüpft ist Lovecrafts Eigenheit, auch das sich vor den Augen des Erzählers manifestierende fürchterliche Unbekannte kaum näher zu beschreiben, sondern es beispielsweise als “Ding, das nicht sein darf”, zu bezeichnen oder zu erklären, dass sich diese abscheulichen und anormalen Dinge nicht mit Worten wiedergeben ließen.
Nach einer Auseinandersetzung mit Lovecraft scheinen die Parallelen zwischen seinen Werken und Bloodborne offensichtlich. Schließlich trifft man in Bloodborne auf fürchterliche (kosmische?) Bestien, in einer Welt, die im wahrsten Sinne des Wortes einem Albtraum ähnelt. Gleichzeitig spielen die sogenannten Ältesten eine wichtige Rolle, bei denen es sich um außerirdische Wesen handelt, deren Macht die menschliche Vorstellungskraft übersteigt und die beispielsweise an die Alten Wesen aus Lovecrafts “Berge des Wahnsinns” erinnern. Im Spiel gibt es außerdem den Wert der Einsicht, der mit jedem besiegten Boss ansteigt. Je mehr Einsicht vorhanden ist, desto mehr offenbart sich die wahnsinnige Welt. So bemerkt man beispielsweise erst im Laufe des Spiels riesige, vielarmige Kreaturen, sogenannte Amygdalas, die überall in der Welt verteilt sitzen. Ob diese neue Wahrnehmung nun Erleuchtung oder Wahnsinn geschuldet ist, bleibt der eigenen Interpretation überlassen. Auch hier ist das Spiel nah an Lovecraft, bei dem die Einsicht oder Erkenntnis über die wahre Welt den Menschen in den Wahnsinn treiben kann.
Trotz einiger stilistischen Eigenheiten, lohnt die Lektüre von Lovecrafts Werken. Er bietet spannende Welten, einen gekonnten Spannungsaufbau und viele Momente, in denen man kaum erwarten kann zu erfahren, was genau denn nun hinter dem fürchterlichen Unbekannten steckt. Diese Art der Spannung ist auch für Menschen mit eher schwachen Nerven geeignet, da es hier nicht um nächtliche paranormale Aktivitäten in den eigenen vier Wänden oder um Jump-Scares geht, die das Nervenkostüm über die Maßen strapazieren. Vielmehr stehen Fragen nach Realität, den Grenzen der Wissenschaft und der Möglichkeit des Übernatürlichen im Mittelpunkt, zu der auch ausgewiesene Nicht-Horror Fans wie ich Zugang finden.
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