© Christine Schroeder von Pyjama Pictures und Prime Video Deutschland via filmcontact

Die Amazon Prime Video Serie Die Discounter ging am Mittwoch in die dritte Staffel. Was macht diese Serie aus? Bei Die Discounter handelt es sich um eine Mockumentary, im Stile von Stromberg und The Office, die den (vermeintlichen) Alltag  eines Supermarktes in Hamburg-Altona zeigt. In der dritten Staffel wird der Fillialleiter Thorsten Kruse, gespielt von Marc Hosemann mit seiner gesamten Crew, nach Billstedt am Rande von Hamburg, strafversetzt. Das bringt natürlich neues Konfliktpotenzial. Die Discounter ist eine inszenierte Comedy-Serie von den jungen Regisseuren Oskar und Emil Belton sowie Bruno Alexander, den viele noch aus den Pfefferkörnern als Max Paulsen kennen könnten. Gerade bei den Pfefferkörnern fängt das Problem an. Wenn man sich heutzutage die vom NDR produzierte Serie anschaut, merkt man, dass kein Zehnjähriger heute so sprechen würde oder damals gesprochen hat. Die Drehbücher wurden nämlich nicht mit Absprache mit den Jungschauspielern konzipiert, sondern sie wurden wahrscheinlich von Ü50 Heike und Jürgen geschrieben. Bei dieser Kinderserie werden alte Fachbegriffe aus der „Detektivensprache“ genutzt, sei es „wir gehen ihm auf die Schliche“ oder „das ist spitze“. Gerade das Nutzen von vermeintlichen Jugendwörtern aus 2006 wie „Yolo“ oder „Swag“ werden ausgereizt bis zum Gehtnichtmehr.

Natürliches Schauspielern geht nur durch natürliches Reden. Wenn das Drehbuch gut geschrieben ist und dem Schauspieler auch die Möglichkeit gibt, in seinem Charakter zu wachsen, ist es ein gutes Drehbuch, aber wenn die Schauspieler, Schwierigkeiten haben, ihren Charakter überzeugend darzustellen, dann ist es nicht mehr der Fehler des Schauspielers. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann passe ich es dem darstellenden Künstler an und nicht einfach Textpassagen hinschreiben, die jeder Hans und Franz wie ein Gedicht von Theodor Fontane aufsagen muss. Preisgekrönte Serien wie 4 Blocks zeichnen sich durch genau das aus. Beim Schauen hatte ich immer den Eindruck, als würde Tony Hamady wirklich als Clanchef in Neukölln agieren. Aber warum hatte ich diesen Eindruck? Weil das Drehbuch einfach Raum für den Schauspieler Kida Khodr Ramadan gelassen hat, es war authentisch und ehrliches Schauspielen. Authentisch ist jetzt so ein totes Wort, aber es ist erleichternd, wenn ich das schreibe, weil ich damit einfach das Verkrampfte von anderen Serien vergessen kann. 

Renn, Kevin, renn!

Das Ziel von Serien, die inspiriert von wahren Begebenheiten sind, sollte doch sein, diese Personen wahrheitsgetreu darzustellen.  Warum muss denn im Tatort immer der kriminelle Drogendealer aus dem Nahen Osten oder aus Afrika kommen? Warum kann es nicht Kevin, Jura-Student aus Bayreuth, sein? Nur weil Oma Renate aus Villingen-Schwenningen das glaubt? Gerade die x-te Vorabendserie zeigt doch, dass die Kreativität fehlt. Warum zeigt man nicht in einer Polizeiserie, welche Probleme die Polizei momentan so hat? Chatgruppen der Polizei, durchsetzt von nationalsozialistischen und fremdenfeindlichen Texten. Gerade die Doppelfolge der Sendung ZDF Magazin Royale mit Moderator Jan Böhmermann hat uns gezeigt, welch Konfrontationen momentan unsere Exekutive ausgesetzt ist. Es handelt sich nicht um die AFD oder sonst einer rechtsextremistischen Gruppierung. Es ist die Polizei, die der Gesellschaft in Notsituationen helfen sollte.

Wenn wir also Drehbücher für Filme und Serien schreiben, dürfen wir die Probleme unserer aktuellen Zeit nicht außer Acht lassen. Die britische Serie Years and Years, produziert von der BBC, hat genau das gemacht, wie sich das Leben einer Familie innerhalb von 15 Jahren verändern würde, wenn die Welt sich um sie herum, sich negativ entwickelt. Man könnte ja jetzt sagen, „Ja, aber dann guck ich lieber Nachrichten“. Das stimmt, Filme und Serien haben meist den Hang dazu, stark zu übertreiben. Nicht jeder Film mit dem Anfang „Beruht auf wahren Begebenheiten“, beruht auf wahren Begebenheiten. Es werden eher langweilig angesehene Handlungen ausgelassen und Handlungen, die vielleicht in etwas so passiert sind, maximal ausgereizt, um die Zuschauer zu unterhalten. Ich habe in Filmen mit vermeintlich wahrer Begebenheit mehr Gänsehautmomente. Warum? Weil ich glaube, dass das genauso passiert ist. Wenn ich aber dann die Hintergrundinformationen des Filmes recherchiere und es jetzt nicht eins zu eins gleich ist, bin ich zwar im ersten Moment davon enttäuscht. Aber dann denke ich mir: Solche genialen Drehbuchautoren wie die Discounter-Jungs brauchen wir mehr, weil sie aus wenig, viel gemacht haben. Sie haben die Grenze des Fiktiven fast überschritten, aber jeder, der schonmal im Supermarkt gejobbt, kann bestätigen, dass da schon ein großer Unterschied herrscht, was das Arbeitsumfeld angeht. Die Macher haben sogar selbst fünf Tage lang in einem Edeka gearbeitet. Oskar Belton erläuterte in einem Interview, dass man als Kunde nicht merke, wie viel „Scheiße hinter den Kulissen passiert. Zwei Mitarbeiter hätten in die Putzmaschine gepisst und der Laden hätte dann drei Wochen nach Pisse gerochen. Diese Situation haben sie aber nicht mit in die Serie übernommen, weil es sonst zu trashig gewesen wäre. Die Realität ist also in der Serie nicht in der Gänze dargestellt, weil man das Publikum abschrecken und es eher als Mockumentary auf RTL2-Niveau gelten würde. Irgendwann erlischt die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Ihr Jonathan Frakes.