Die nunmehr dritte Langspielplatte der kanadischen Arcade Fire ist von geradezu epischem Umfang und in ihrer Schwere doch gleichsam ungemein leichtfüßig und zugänglich. Sie ist ein Konzeptalbum – und ein Rückschritt.

Arcade Fire sind seit ihrem Debut Funeral eine allseits ge- und beachtete Band. Ihren orchestralen Indiepop, der zwischen pompöser Theatralik und zurückhaltenden, rhythmischen Momenten pendelt(e), setzten sie auf Neon Bible in erhöhter Intensität fort, verloren dabei aber auch die Leichtigkeit, die den Vorgänger zu einem Konsens-Ausnahmewerk machte. Was bei der Rekapitulation von Aracde Fire’s Schaffen aber oft in ungerechtfertigte Vergessenheit gerät, ist ihre erste, selbstbetitelte EP. Vor allem angesichts von The Suburbs ist dieses Kleinod von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da das neuste Werk auf das erste verweist und gleichzeitig diese rückblickende Perspektive zum Thema macht.

Arcade Fire (2003) zeigt die Band in einem Prozess auf dem Weg zur Selbstfindung. Sie lässt erahnen, was später so typisch wird: das intensiv gestaltete Aufbauen und der kontrollierte Ausbruch danach, der schnelle Wechsel zwischen noisigen Klimax und melodiösem, beat-getragenen Folgeteil. Nur eben nicht so zielstrebig und bedacht auf den Effekt wie später zu hören auf Funeral (2004). Und genau in dem Zwischenraum scheint sich The Suburbs einzuordnen. Es vermittelt Emotionen nicht mehr so direkt durch die dramaturgische Struktur der Musik, sondern verbirgt sie eher in den konventionell anmutenden Songstrukturen und fokussiert die Aufmerksamkeit damit viel mehr auf die Texte. Diese porträtieren das Leben und v.a. die Adoleszenz in den – wie es der Titel sagt – Vorstädten. Ein Leben in Zwischenräumen, auf der Suche nach Dingen, die es wert sind ihnen Bedeutung beizumessen, wo alles nichts und nichts alles sein kann.

Diese Suche ist müßig, das vermittelt schon die Lauflänge des Albums von 64 Minuten. Eine verdammt lange Reise in kontemporären Popmusik-Maßstäben. Gerade weil man als Mensch der Moderne fast nicht mehr in der Lage ist sich über solch einen Zeitraum auf ein bloß auditives Ereignis einzulassen, ist es schwierig das übergreifende Konzept der Platte wirklich zu fassen. Das Zeitportrait, das die Platte in einer Kreisbewegung zeichnet, wird am Ende relativiert: der letzte Song heißt wie der Eröffnungs- und Titelsong The Suburbs, nur mit der Zusatzbemerkung „continued“. Bevor allerdings die Textzeile „Sometimes I can’t believe it/I’m moving past the feeling again“ aus dem ersten Song wiederholt wird, nimmt Wil Butler die Hauptthemata der Melancholie und Nostalgie und relativiert deren Bedeutung: „If I could have it back/all the time that we wasted/I’d only waste it again/if I could have it back/you know I’d love to waste it again.“

Auch das musikalische Thema des Ursprungsongs ist neu instrumentalisiert worden. Wo vorher die typische Arcade Fire Besetzung von Gitarre, Klavier, Bass und Schlagzeug zu hören war, haben wir jetzt lediglich ein Ensemble von Streichern. Es wirkt fast wie eine Reminiszenz an die dominierende Orchestrierung, die Neon Bible (2007) durchzogen hat und Arcade Fire bekennt sich damit auch gleichsam der Rückbesinnung oder wenn man so will des Rückschritts (ein Blick auf das Cover, bzw. auf eines der zufällig aus sieben Covervarianten ausgewählten, lässt auch einen deutlichen Rückschluss auf die übergreifende Thematik zu).

Arcade Fire haben ein Werk voller Sehnsucht erschaffen, das sich die klassisch amerikanischen Musikformen des Folk und Blues zu eigen macht, sie aber gleichsam aktualisiert. Fort- und Rückschritt liegen hier dicht beieinander (Sprawl II z.B. spielt auch mit der elektronischen Ästhetik der 80er; eine Neuheit für Arcade Fire, aber im Grunde auch nur eine Reaktion auf die grundsätzlich spürbare Rückwärtsbewegung in der aktuellen musik-ästhetischen Entwicklung). Und so ist ihr drittes Album nicht wirklich ein Fortschritt, sondern eher ein Blick zurück, eine Konserve von Versatzstücken der Vergangenheit, die die Erinnerung in eine hörbare Form bringt. Doch Erinnerungen sind Fundamente, die den Nährboden unserer Existenz bilden und derer es manchmal zu würdigen gilt.